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SERIE/069: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 17.02.2008 bis 21.02.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

31. Teil - 17.02.2008 bis 21.02.2008


17.2.08

In den letzten Tagen habe ich mehrfach hautnah mitbekommen, wie Gefangene sich auf die Seite der Beamten stellen und denunzieren. Neulich stand A. auf dem Flur, M. kam kurz dazu (sie ist aus dem 3. Stock D III) und sie unterhielten sich kurz. Nach 1 Min. kam Russin N. dazu "Ihr dürft das nicht, sonst bekommt ihr beiden Ärger". M. meinte nur: "Was geht dich das an, ob wir hier stehen. Und Tschüs". Darauf N.: "Frau J., Frau J.!" (Fr. J. ist eine Beamtin). Wie armselig.

Heute morgen habe ich meine Tabletten im Büro geschluckt und ging noch kurz eine Runde auf dem D II Flur. Eine Gefangene sah mich, rannte sofort ins Büro und "petzte". Frau J. kam heraus und drohte mir mit einer Anzeige, wenn ich nicht sofort heruntergehe. Lauter kleine Blockwarte und Denunzianten hier. Ich kann mir gut vorstellen wie es in der Nazizeit ablief. A. war heute locker und "gut" drauf. Diese Woche hatte ich Küchendienst, habe gründlich geputzt, nächste Woche bin ich mit der Spülküche dran, danach ist wieder für ein paar Wochen Ruhe.


18.2.08

Heute morgen, nachdem ich bei der Medikamentenausgabe usw. war, bin ich noch einmal eingeschlafen und hatte einen wunderbaren Traum: Ich stand bei starkem Wind am Ufer des Starnberger Sees und wurde plötzlich in die Luft gehoben und vom Ufer weggetrieben. Als ich den seichten Uferbereich verließ und unter mir das tiefe Wasser sah, bekam ich Angst, die sich dann aber verlor, ich überließ mich dem Wind, der irgendwann drehte und in dem ich schnell Richtung Ausgangsufer zurückgetrieben wurde. Das Wasser unter mir war grünlich, aber glasklar, ich konnte jeden Stein erkennen und sah eine große Meeresschildkröte in ihm schwimmen (Australien!). Plötzlich wurde ich steil in die Luft gerissen und gleich darauf fiel ich ebenso steil ins Leere, wurde dann abgefangen. In der Nähe meines "Abflugplatzes" ging es dann wieder steil herunter und ich sah das flache Wasser schnell auf mich zukommen, dachte noch: "Viel zu schnell, wenn das man gutgeht" und setzte gleich darauf butterweich im flachen Wasser auf. Ich war sehr stolz auf meine gute Landung.

Gestern habe ich mit der Rollwägelchen-Frau, die momentan ohne ihr Wägelchen herumläuft, gesprochen. Ihr sind von Herrn Z. alle noch offenen Strafen erlassen worden, sie hat von Geburt an einen Hirnschaden und kommt in ein betreutes Heim. Ende gut, alles gut? Erst haben sie es mit Gewalt versucht - die alte Frau gequält - und nur, weil das nicht funktionierte, dann endlich nach Ursachen geforscht.


19.2.08

Jedes mal wenn ich in den seltenen Zeiten, in denen die Zwischentür offen ist, auf D 0 gehen will, um mal kurz mit E. zu reden, steht Fr. L. auf dem D II Gang wie ein Zerberus, schleicht dort herum und pfeifft mich sofort zurück. Naja, auch ihr Dienst wird einmal vorüber gehen.

Seit Januar ist nur noch 1 Arzt im Haus, für über 500 Frauen, vorher waren es drei. Vorher konnten wir jede Woche zum Arzt, jetzt nur noch alle 14 Tage. Das Zahnarzt-Debakel, das bedeutet, dass nur 2 x die Woche halbtags ein Zahnarzt hierher kommt, bedingt ewig lange Wartezeiten, ca. 4 Wochen, wenn man nicht absoluter Schmerzpatient ist.


20.2.08

Heute morgen Fernsehen geschaut, Talk-Show, Vera, eine Werbesendung für die Ich-AG, Wiederholung, ein alter Schinken. Hier auf SAT1, ebenso wie bei RTL und auf anderen Sendern (3SAT, DSF, Super RTL, Kabel1, Vox, BR, mdr, ntv, WDR, ZDF, ARD - 20.2. 11.00 + Kika!!!) sind die Hintergrundfarben im Studio - schwarz-rot-gold - immer präsent, patriotisierend. Ich lese gerade das Buch "Schöne Neue Welt" von Aldous Huxley, es passt perfekt zu all dem, was man gerade beobachten kann im Neuen Deutschland. Gehirnwäsche.


21.2.08

P.V. hat mir geschrieben, mein Bankkonto wurde aufgelöst und das restliche Geld an Gläubiger abgegeben. Ohne, dass ich benachrichtigt worden wäre. Super, die Hypo-Vereinsbank. Naja, jedenfalls brauche ich mir um ein - nicht vorhandenes - Konto auch keine Sorgen mehr machen.

Heute ist "unser" Kriegsminister Jung im Kosovo (das am 17.2. seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat, völkerrechtswidrig, es wurden von begeisterten Kosovanern? Nato-, EU-Deutschland - und Mercedes-Fahnen geschwungen) eingetroffen, um die militärische Präsenz in der neuen Kolonie zu organisieren, Nato- und EU-Streitkräfte mit großem deutschen Kontingent und - wieder einmal - deutschem Führungshauptquartier werden "aufpassen".



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2010