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SERIE/049: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 25.08.2007 bis 03.09.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

11. Teil - 25.08.2007 bis 03.09.2007


25.8.07

Übermorgen ist Verhandlung. Gott sei Dank! Heute hat mir An. einen Artikel aus der SZ vom Donnerstag oder Freitag gezeigt, eine Vorankündigung auf den Prozeß. Er ist voller Haß, alles negativ, nichts positives und ein Lehrstück, wie die Meinungsmache in den Medien funktioniert. Und Herr F. schwärmt immer so von der SZ. Komischerweise bin ich überhaupt nicht aufgeregt, vielleicht, weil ich nichts zu verlieren habe. Mo. hat versucht, mich zu "briefen", ich weiß, dass sie es gut meint, aber ihre Form von Taktik und Manipulation des Gerichts (für die ich sie bewundere) ist einfach nicht meine Linie und selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht so verbiegen. An. hat mir Mut gemacht. Sie sagte: "Sei so, wie es für dich richtig ist. Es ist dein Leben und deine Gefängnisstrafe." Sie hat recht! Ich will mich nicht verbiegen, auch wenn es, so wie es jetzt ausschaut, mein Leben kosten wird. Jahrelanges Gefängnis ertrage ich nicht und ich will es auch nicht ertragen. Der Preis, dort langsam unter ständiger Aufsicht von irgendwelchen Beamten zu verblöden, ist mir zu hoch. Dann lieber Schluß.


27.8.07

Heute war der 1. Verhandlungstag. Die ganzen MAPC-Leute waren da, ich liebe sie und sie sind die besten Freunde, die man sich wünschen kann - Gigantisch. Als ich in den Verhandlungssaal geführt wurde (zum Glück war es ein kleinerer, eigentlich ganz angenehm, auch ohne Mikrofone), warteten schon ca. 5 Fotografen mit einem Blitzlichtgewitter auf mich. Ich bin lächelnd und erhobenen Hauptes vorbeigegangen. Zuerst verlas die Staatsanwältin die Anklageschrift, dann fragten die Richter, ob ich mich äußern will. Ja, und dann hielt ich meine kurze politische Rede. Ich kam mir vor wie ein Roboter, ganz anders als sonst. Mein Mund redete, aber es war, als wäre er von meinem Hirn getrennt. Dann befragten mich Richter - und ein bißchen auch die Staatsanwältin, wobei ich total ins Schleudern kam. Hr. F. meinte hinterher, ich hätte das Beste daraus gemacht und als ich ihm sagte, daß ich total am "Schwimmen" war, meinte er, dass die ganze Aktion von mir ja auch völlig schwammig, ohne Plan und klare Linie gewesen wäre und er hat recht. Ich stehe da wie eine Idiotin. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass die Richter mir feindlich gesinnt waren, nicht einmal bei der Staatsanwältin hatte ich diesen Eindruck. Dann kamen noch die Aussagen von Hrn. H. und Hrn. K., die beide sagten, ich hätte behauptet, dass die Bevölkerung Angst und Schrecken wie im Krieg empfinden sollte. Das habe ich niemals gesagt. Anschließend erschien noch Hr. L., der die Durchsuchung in der Uni-Telefonzentrale machte und immer nur von König-Ludwig-Bildern und -Lektüre, (die mir Hr. B. geschenkt hatte) redete, dann kam noch die DNA-Expertin Dr. P. (ich glaube vom LKA) zu Wort und zum Schluss Gutachter Dr. S., der mir nicht besonders gut gefiel, aber mich wenigstens auch von den (Irren)-Paragraphen 20 + 21 freisprach. Zwischendurch hatten wir immer wieder Bilder von meiner Wohnung, Arbeitsstelle, Bahnhöfen, Zügen und Attrappen angeschaut. Dann wurde die Verhandlung von Richter R. beendet. Ich habe noch ca. 2 Stunden in dem Bunker warten müssen und bin jetzt, nach der Aus- und Umziehaktion - gedemütigt von Beamtin P. - in der Kleiderkammer wieder in "meiner Zelle" - hundemüde. Ich fühle mich schrecklich, weil vor dem Gericht und den Zuschauern meine dunkelsten Seiten aufgeblättert wurden. Alle Vorstrafen, alle Macken, die man vor anderen verbirgt, wurden im hellen Licht aufgeblättert und ich habe weiß Gott nicht gut ausgesehen dabei. Am Donnerstag wird das Urteil verkündet und ich glaube nicht, dass es sehr günstig für mich ausfällt. Naja, wenigstens habe ich dann Klarheit.


28.8.07

Wieder Schlagzeilen und Radioberichte, in denen Hr. F. im Interview sagt, ich würde zu seinen angenehmsten Klienten gehören und mich von seinen anderen Klienten abheben (freut mich!), außerdem wird in Presse und Radio verbreitet, ich hätte einen IQ von 146. Naja, Gutachter S. sagte, zwischen 129 und 146, die Medien haben natürlich wieder das spektakulärste herausgegriffen. Naja, wenigstens stehe ich nicht als debile Vollidiotin da.


30.8.07

Heute habe ich von Richter R. mein Todesurteil bekommen: 3 Jahre, 9 Monate d.h. ab jetzt noch 2 Jahre Gefängnis (vorausgesetzt ich würde die 1/3 Straferlassung bekommen) Niemals! Herr F. hat seine Sache gut gemacht, er hat ein tolles Plädoyee gehalten, die Staatsanwältin war auch ganz okay. Der Richter auch, obwohl er mir unterstellte, die ersten 4 Bombenattrappen nur zur Verunsicherung der Bevölkerung gelegt zu haben, um damit den Boden für die anderen 7 Attrappen mit "Bekennerbrief" zu bereiten. So raffiniert habe ich gar nicht gedacht. Er sagte in der Urteilsbegründung: "Alles was über dem Straftatbestand "Störung der öffentlichen Sicherheit durch Androhung von Straftaten" liegt, wird dann schon anders genannt und hat dann auch einen ganz anderen Strafrahmen". Er meinte Terrorismus. Den Antrag von Herrn F., den Haftbefehl auszusetzen, lehnte er ab: "Mag sein, dass die Haftempfindlichkeit bei Ihnen besonders groß ist, weil sie durch ihre hohe Intelligenz nicht zu den Leuten, die üblicherweise im Gefängnis sitzen, passen. Gerade darum ist aufgrund der 3 Jahre und 9 Monate Straferwartung die Fluchtgefahr genauso hoch wie vor 1/2 Jahr. Er meint auch: "Vielleicht war auch ein Kick dabei und es hat sich eine Art Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei entwickelt". Schlauer Richter! Natürlich soll nach seiner Aussage und der Forderung der Staatsanwältin das Urteil Präventionscharakter also Abschreckungseffekt haben. Klar. Naja, bei dem Medienansturm hätten sie mich nie einfach laufen lassen können, wenn auch nur bis zur Verhandlung. Die ganze vordere Reihe im Saal war mit MAPC besetzt, sie sind so süß und haben sich bereit erklärt, meine Sachen unterzustellen und die Wohnung überzustreichen, Herr F. will helfen, sie unterzuvermieten. Sie alle sind toll, aber niemals werde ich 2 Jahre Gefangenschaft ertragen, ich will es auch nicht - nur verschlossene Türen, von teilweise perversen, faulen und launischen Beamten abhängig und mit manchmal mehr als merkwürdigen Gefangenen zusammengepfercht sein. Mindestens 2 Jahre keinen Wald, kein Feld und keinen See mehr sehen - Nein, das ist es nicht wert, das Leben. Nebenbei bemerkt habe ich jetzt 300.000 Euro Schulden. Damit und auch mit der damit verbundenen Armut könnte ich leben, aber ohne Freiheit? Niemals! Auf der Rückfahrt, wie schon in der Wartezelle, war ich mit der Mitgefangenen S. zusammen, die mich mit ihrer Raucherei und ihrem Gequatsche total genervt hat. Beim Umziehen in der Kleiderkammer wie schon am Montag Demütigungen von Beamtin P.


3.9.07

Am Wochenende habe ich allen (oder fast allen) "draußen", mit denen ich während der Untersuchungshaft schriftlichen Kontakt hatte, noch einmal geschrieben und somit auch diese Episode beendet. Sonntag nachmittag beim Umschluß hat mir G. Karten gelegt. Meine einzige Frage (Suizid), die ich aber nicht ausgesprochen, sondern nur "innerlich" gestellt habe, wurde so beantwortet: "Du wirst vor einen anderen Richter kommen und dann frei sein". Zufall? Mag sein. Aber auf jeden Fall eine Antwort, die gut tut.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010