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SERIE/042: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 18.05.2007 bis 25.05.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

4. Teil - 18.05.2007 bis 25.05.2007


18.5.07

Heute wieder ein schöner, warmer Tag. Gestern war es kalt und regnerisch. In den letzten Nächten, besonders gestern war mächtiges Geschrei, Geheule und Getöse hier auf der Station. Irgendeine oder mehrere sind wohl ziemlich ausgerastet. Kein Wunder, es war total überfüllt und dann in diesen kleinen Räumen hier. Heute morgen ist dann ein ganzer Schub nach Aichach abtransportiert worden und nun ist es hier relativ leer und ruhig. Nur auf dem Innenhof ist es wieder tierisch laut, Musik aus den Radios, Geschreie und alle paar Minuten lacht eine Gefangene laut, aber es klingt nicht wie fröhliches Lachen, sondern irre. Heute bin ich 84 Tage = 12 Wochen = 3 Monate hier und habe noch nicht einmal die Anklageschrift, obwohl ich am ersten Tag ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, alles klar war und keine Zeugen gehört werden brauchten. So langsam können auch nur deutsche Beamte arbeiten. Mein Gott, ich will hier raus.


21.5.07

Ein grausamer Tag. Schon seit Tagen ist es ca. 30 °C heiß und es soll mindestens noch die ganze Woche so bleiben. In der Zelle, in der ich jetzt Gott sei Dank wieder alleine bin, ist die Luft zum Schneiden. Die Sonne scheint zum Fenster herein, aber es gibt keinerlei Luftzirkulation. Die Junkies schreien aus den Fenstern und hatten in den letzten Tagen die Musik in ihren Radios so aufgedreht, dass ich es nur mit Ohropax ausgehalten habe. Keine gute Stimmung auch auf der F3. Seit einigen Tagen ist hier eine stockschwule Mazedonierin, die offenbar den totalen Hormonstau hat und bei jeder Gelegenheit herumpöbelt und den King Louis raushängen lässt. Wir nennen sie nur den "Mann". Wenn man ihr auf der Straße begegnen würde, käme man nie im Leben darauf, dass sie eine Frau ist. Sie ist 23, gibt sich aber wie 13 und sitzt hier, weil ihr Kampfhund jemanden gebissen hat. Ich bin heute morgen schon mit Schmerzen im ganzen Körper aufgewacht. Mein Knie ist dick angeschwollen, wohl dadurch, dass ich in den letzten Tagen mit einer Russin beim Hofgang Federball gespielt habe. Hoffentlich bekomme ich einen Termin beim Arzt, abgesehen von dem Knie fühle ich mich auch sonst krank. Um 15.00 Uhr war Poesie-Gruppe beim Pfarrer, den ich sehr gern mag. Ernsthafte Gespräche waren leider nicht möglich, es ging zu wie im Kindergarten. Schade! Ob ich nächstes Mal wieder hingehe, weiss ich noch nicht. 3 Monate bin ich jetzt hier, ich kann nicht mehr!


23.5.07

Ich war wieder richtig krank und total elendig, Fieber, tierische Rückenschmerzen, habe gestern fast nur geschlafen, außerdem war ich beim Arzt, Urinprobe, wieder viel Blut im Urin. Wieder einmal die Nieren. 1 Woche soll ich Antibiotika nehmen. Der Arzt meinte, vielleicht stimmt etwas mit meiner "Vaginalhygiene" nicht. Mein Gott, ich mache hier nichts anders als draussen, und da hatte ich seit Jahren keine Probleme mit Niere oder Blase. Das Leben, der Stress hier drin und meine völlig ungewisse Zukunft gehen mir "an die Nieren", die schon immer meine Schwachpunkte waren. M. und P. waren wieder da, wenigstens ein Lichtblick. Es ist so schön, mit ihnen zu reden.


24.5.07

Heute wieder ein wunderbarer Tag - zumindest draußen. Heute vormittag war Einkauf, nachmittags hat dann der Pfarrer mit einem Freund, Fr. T. und noch 2 anderen Damen ein kleines Frühlingsfest organisiert. Sie haben Lieder - meist auf englisch - mit Gitarrenbegleitung gespielt und ein paar einfach Spiele mit uns gemacht. Es war wie immer, viel Gegackere und Gekicher und als sie Mengen von Süßigkeiten hereinbrachten haben sich fast alle wie die Affen im Zoo darauf gestürzt und soviel sie tragen konnten, davongeschleppt. Warum schäme ich mich immer dafür? Fr. T. hatte mit Mutter telefoniert, hat erzählt das ihre Augen soweit in Ordnung sind, auch sollte ich mir keine Sorgen machen, dass H. seinen Schlaganfall wegen mir bekommen hat. Außerdem berichtete sie ganz begeistert, das Mutti gesagt hat, sie solle "ihr Kind" grüßen. Sicher ist es schön, aber ich kann mich über nichts mehr freuen. Fr. T. versucht ihr Bestes, um mich etwas positiver zu stimmen, aber ich kann das einfach nicht annehmen. Hier gibt es - fast - nichts positives! Ich glaube, ich nerve die arme Frau ganz schön und stelle ihre Nächstenliebe auf eine harte Probe. Als ich zum Schluß sage, dass ich hier verblöde, sagt sie: "Klar, weil man keinerlei Anregungen hat". So ist es! Übrigens ist der "Mann" jetzt auf der Jugendabteilung, wo "er" auch hingehört.


25.5.07

Heute gab es ein paar positive Aufhellungen in dem sonst dunkelgrauen Dasein hier. Früh wurde ich aufgefordert, meine Sachen zusammenzupacken, ich würde umziehen. Zu meinem Erstaunen kam ich nicht in die leer werdende Zelle von E., die - zumindest bis zur Verhandlung - nach Hause ging, sondern in die Einzelzelle gegenüber dem Büro. Ich habe noch in Windeseile meine "alte" geputzt und bin dann mit Sack und Pack umgesiedelt. Die Neue ist viel heller, einen Tick kleiner als meine "alte", aber dafür eine echte Einzelzelle. Gott sei Dank! Während des Hofganges wurde ich dann "zum Anwalt" zitiert. Hr. H. war da. Wir haben uns wieder wirklich gut unterhalten, er hat mein psychologisches Gutachten durchgeackert. Glücklicherweise war es ja recht positiv für mich. Er ist ein wirklich netter Kerl und angenehm, sehr höflich, zurückhaltend und sensibel. Er hat mit Hrn. F. telefoniert, der meinte, es gäbe Chancen, mich "herauszubekommen". Glauben will ich es lieber nicht. Wenn ich an unser Waterloo mit Haftrichter M. denke ... Aber ein bißchen Hoffnung hat sich natürlich schon in meinem Herzen eingenistet. Wir haben über eine Stunde geredet und ich hoffe sehr, daß er wiederkommt. So viel Qual und Horror mir meine Verhaftung gebracht hat, ich habe durch sie auch wunderbare oder einfach nur nette Menschen kennen- oder besser kennengelernt: Hrn. K., Hrn. F., Hrn. S., Hrn. H., M. und P., M.H., Hrn. H., Mi. und andere Gefangene und sogar Beamtinnen, die mir geholfen haben.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2010