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SERIE/041: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 12.05.2007 bis 15.05.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

3. Teil - 12.05.2007 bis 15.05.2007


12.5.07

Gestern der Super-Gau. Nachmittags ging die Tür auf, ich dachte an nichts Böses und die Beamtin stand mit einer Rumänin vor der Tür und meinte fröhlich "Sie kriegen Zuwachs". Einschluß. Wir unterhielten uns, sie saß in Tränen aufgelöst auf dem Bett, erzählte mir ihre ganze Lebensgeschichte rauf und runter, irgendwann heulte ich auch und sagte dummerweise "Ich überlege manchmal, ob ich mich erhänge".

Sie redete auf mich ein wie die Heilige Johanna der Schlachthöfe, von Gott, Christus und schilderte den wunderbaren Aufenthalt in Aichach (wo sie herkommt und nächsten Freitag wieder hingeht, Montag hat sie Verhandlung) in den leuchtendsten Farben. Heute habe ich etwas anderes gehört. Sie meinte, Gott habe sie hierher nach Neudeck gesandt, um mich zu retten. Abends "musste" ich meinen Wecker wegschließen, weil sein Ticken sie störte. Nachts schnarchte sie heftig und ganz früh morgens rumorte sie mit unglaublicher Lautstärke in ihrem Schrank herum, knisterte ewig lange auf Plastiktüten herum und ließ den Wasserhahn minutenlang laufen. Morgens redete sie kein Wort mit mir und beim Hofgang lief sie zu allen Beamtinnen und Mitgefangenen und erzählte ihnen, ich würde nachts Selbstgespräche führen und wollte mich aufhängen. A. und einige andere warnten mich vor ihr. Sie war früher schon einmal hier und hat einen schrecklichen Ruf. Als wir wieder raufgingen sagte ich der Beamtin, ich müsse sie sprechen und erklärte ihr, dass ich der Betreffenden weder etwas getan hätte noch mir selber etwas antun wolle. Mittendrin fing ich dann an zu heulen, konnte nicht mehr aufhören, schluchzte nur, ich halte es nicht aus, so dass ich sogar ihr Herz erweichte und den Nachmittag bei Mi. & Co. verbringen durfte. Dort war es wirklich schön, wir haben uns nett unterhalten und ein bißchen Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt. Nach dem Aufschluß musste ich wieder zurück und meine "Gefährtin" fragte unschuldig "Wo warst du denn?" Ich schnauzte sie heftig an "Laß mich in Ruhe!" und als sie später wieder anfing, erneut "Laß mich in Ruhe, ich will nicht mit Dir reden." Dann der Super-Gau: Ich musste ins Büro und mir wurde eröffnet, dass ich den berüchtigten schwarzen Punkt für Suizidgefährdete an meiner Tür, was bedeutet, dass ich keine Minute allein bleiben darf. Dienstag muss ich zum Arzt und hoffe, ich kann es wieder gerade biegen. Die Beamtin sagte, sie kommt dazu, wenn es nötig ist, sie kennt die Dame gut. Und meinte, ich sei ja sonst ruhig und vernünftig und habe mit niemandem ein Problem. Diese dumme Ziege, ich habe ihr vertraut, ich Idiot. Ich habe kein Wort mehr mit ihr geredet und selbst wenn sie Wochen hierbleibt, nie wieder spreche ich mit ihr. Als ich Nachmittags Englisch lernen wollte und mein Buch aufschlug, fing sie laut an zu singen, Buch zu - sie verstummte, Buch wieder auf - Gesang. Wie im Kindergarten. Später beschwerte sie sich noch, dass die Toilette schmutzig wäre und stinke. Ich sagte nur: "Dann putz sie halt".


13.5.07

Heute nacht war die schlimmste Nacht, die ich während meiner Gefangenschaft erlebt habe, sogar schlimmer als die Nächte in der Ettstraße und das will was heißen. Ich schlief mit Ohrstöpseln tief und fest, bis Fr. T., die Rumänin total ausrastete. Sie schlug auf die Bett-Eisenstangen, schrie herum, wanderte in der Zelle umher und stand stundenlang an der Tür. Immer wieder sagte sie auf Deutsch und Rumänisch "Was ist mit Dir, Du redest im Schlaf und bewegst Dich. Ich helfe Dir, ich bringe Dich ins Krankenhaus. Ich zweifelte an mir selbst, presste meine Lippen zusammen und trotzdem ging das Gezeter weiter. Als "Höhepunkt" stand sie, als ich einmal die Augen aufschlug, dicht vor mir und starrte mich minutenlang an. Ich hatte Todesangst. Irgendwann schrie ich sie auch an und so ging es hin und her. Als ich auf die Toilette ging, sagte sie "Ja, scheiß Dich aus und Mi. hat auch gesagt, du spinnst". Endlich, endlich kam die Beamtin und versuchte in erster Linie, sie zu beruhigen. Ich durfte dann zu A. und den anderen Hausmädchen gehen, die total lieb waren. Ma. + Mi. haben später auch angeboten, ich könne zu ihnen kommen. Habe mich sehr darüber gefreut.

Als die Beamtin mich zurück in die Zelle brachte meinte sie: Fr. T., sie packen ihre Sachen, sie ziehen um." Gott sei Dank! Dafür bekam ich dann eine Russin in die Zelle, die zwar sehr viel redet, aber sonst ist es eine Erlösung mit ihr. Beim Hofgang sprach ich Mi. an "Sie hat gesagt, Mi. hat auch gesagt, du bist verrückt." Mi. packte mich, sagte "Komm mit" und dann ging sie mit mir zu T., die auf einer Bank saß und sagte "Was habe ich Dir über die Frau gesagt?" Sie meinte ziemlich unsicher "Was meinst Du? Mi. wiederholte ihre Frage. Antwort: "Daß sie im Schlaf spricht und sich bewegt". Mi.: "Ich habe Dir gesagt: "Vielleicht betet sie". Sie wieder: "Ich will ihr doch nur helfen". Da schnauzte ich sie an: Ich will Deine Hilfe nicht. Laß mich in Ruhe!" "Ja, gut". Dann kamen schon die Beamtinnen und sagten "Überlassen Sie das uns, wir regeln das". Ich bin Mi. total dankbar. Die Schwester war heute auch da (nicht M.) und ich erzählte ihr kurz, was los war. Sie meinte nur: "Was soll ich dazu sagen? Gehen Sie morgen zu Schwester M., die kennnt Sie besser." Toll, den Punkt habe ich trotzdem, da könnte mir höchstens der Doktor helfen. Na, mal den Dienstag abwarten. Post von Herrn F. habe ich auch bekommen, 150.000 Euro Schulden habe ich. Nicht schlecht. In den nächsten Tagen kommt er mal vorbei. Mein Gott, was für ein Haufen von Problemen, oder auch nicht. Je nachdem, wie man's sieht.


14.5.

Die Russin ist weg, gleich früh, dafür ist eine junge Bulgarin gekommen, die kein Wort Englisch oder Deutsch spricht. Sie hat sich gleich hingelegt und geschlafen. Heute früh war ich dank meinem Punkt bei E. und wir haben uns nett unterhalten, mittags war ich dann bei Mi. & Co. Vormittags kam Schwester M. und sagte "Bevor Sie sich umbringen erschieße ich mich ja eher. Naja, Fr. T. kennen wir, kommen Sie morgen zum Doktor." Als Fr. S. früh zum Dienst erschienen war, meinte von mir "Von Ihnen hört man ja schöne Sachen". Ich habe sie angegiftet "Wenn Sie mich mit einer Irren zusammensperren!" Sie war richtig ein bißchen erschrocken. Nachmittags war meine Poesie-Gruppe beim Pfarrer, der mir sehr sympatisch ist. Thema: Wer bin ich? (Meine Antwort: Ein differenzierter Mensch, auch lt. Gutachter Dr. S.) Nervig die 2 frisch verliebten Lesben, die sich ununterbrochen begrabbelten und ansonsten keinerlei Interesse zeigten.


15.5.07

Heute Mittag war ich beim Doktor und er hat mir sofort den Punkt weggenommen, er wusste wohl schon Bescheid und sagte nur: So, Sie wollen sich also nicht umbringen. Gut, nehmen wir den Punkt weg." Es ist mein Glück, dass die irre T. hier schon überall bekannt ist. Dann war ich wieder bei Fr. T. und wir haben uns recht lange über alles mögliche unterhalten, es ist immer nett mit ihr. Als ich wieder hoch in "meine" Zelle kam, war die Bulgarin schon in einen anderen Raum verlegt und jetzt habe ich wieder ein "Einzelappartement." Die Beamtinnen haben mir sehr geholfen, das werde ich ihnen nie vergessen. In der schrecklichen T.-Zeit habe ich gebetet: "Bitte, wenn es eine höhere Macht gibt, dann nimm diese Frau von mir weg." Es ist passiert. Danke!


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010