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SERIE/012: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 10. Brief - Neudeck 2


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 10. Brief

24.2.08

Neudeck II


Immer noch sitze ich in der JVA Neudeck und habe keinerlei Kontakt nach außen, nur mein Anwalt war da und hat mir erzählt, daß mein Bruder ein paar Tage nach meiner Verhaftung einen Schlaganfall hatte und jetzt in einer Klinik liegt. Auch das noch. Meiner 81-jährigen Mutter bleibt auch nichts erspart - ich im Knast, er im Krankenhaus - Zukunft ungewiss, bei beiden. Ich fühle mich noch bedrückter als sowieso schon, habe Schuldgefühle. War der Schlaganfall eine Folge der Aufregung um meine Verhaftung? Wie schlimm ist es? Wird er wieder gesund? Noch vor ein paar Monaten haben wir eine Traumreise gemacht, sind mit einem Geländewagen 6 Wochen lang die Westküste von Australien heruntergefahren und uns dabei nach vielen Jahren, in denen wir kaum Kontakt hatten, wieder näher gekommen. Jetzt das.

Der erste Brief kommt, nicht von der Familie, sondern von Freunden aus der Friedensbewegung. Er berührt mich sehr, aus ihm sprechen Besorgnis, Traurigkeit und Enttäuschung. Später höre ich, daß es schwierig war, überhaupt an mich heranzukommen, Polizei und Justiz haben abgeblockt, wenn nach meinem Aufenthaltsort gefragt wurde. Ein paar Tage später erhalte ich dann auch den ersten Brief von meiner Mutter, in dem sie schreibt, dass die gesamte Familie hinter mir steht. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet, soweit kenne ich die Meinen. Während der Untersuchungshaft läuft die gesamte Post über das zuständige Gericht und wird von einem Richter oder Staatsanwalt gelesen, deshalb ist ein Brief im Schnitt 1 - 2 Wochen unterwegs. Die Rückpost dauert dann genauso lange und so können einige Wochen vergehen, bis eine Frage beantwortet ist. Auch müssen alle Briefe noch einmal in Extra-Umschläge gesteckt und mit Daten versehen werden. Telefonieren ist prinzipiell nicht gestattet, so ist das "draußen" Selbstverständliche, nämlich einfach kurz irgendwo anzurufen, um irgend etwas abzuklären, hier unmöglich. Alles geht zäh und umständlich vonstatten.

Ansonsten müssen wir - wie könnte es in Deutschland auch anders sein - für alles, aber auch wirklich alles, eins der im Büro erhältlichen Antragsformulare ausfüllen. Egal ob man eine Einzelzelle beantragen, mit einem Sozialarbeiter, Pfarrer oder sonst jemandem sprechen möchte, Essensänderungen oder an einer Gruppe teilnehmen will, um was es sich auch handeln mag - stets heißt es: "Schreiben Sie einen Antrag". Sowohl die Post als auch Anträge müssen in einen im Treppenhaus befindlichen Briefkasten eingeworfen werden, der an jedem Wochentag um 8 Uhr geleert wird. Diesen Kasten passieren wir, wenn wir zum sogenannten Hofgang herausgelassen werden und manchmal bildet sich eine lange Schlange davor. Wie mir erklärt wurde, ist der Hofgang - neben dem Anspruch auf Hygieneartikel wie Seife, Zahnbürste, Zahncreme usw. - das einzige, auf das wir ein Anrecht haben, einmal täglich für eine Stunde. Allerdings nur "wenn es die Wetterbedingungen zulassen", was wieder eine der bewährten Gummiregelungen ist, denn die Wetterbedingungen zu deuten, liegt im Ermessen der Beamtinnen. Werden sie als "nicht geeignet betrachtet, kann der Hofgang ersatzlos gestrichen werden. Falls dieser Fall am Wochenende eintritt, sind wir 23 ½ Stunden in der Zelle eingesperrt, so daß mich diese Regelung manchmal zur Weißglut bringt. So schlecht kann das Wetter gar nicht sein, daß ich nicht wenigstens für eine Stunde an die Luft will und sogar dieses kleine Stückchen Freiheit können sie mir verwehren. Groß ist der Innenhof eh nicht, vielleicht 100x30 m. In der Mitte steht ein riesengroßer, alter Ahornbaum, sonst gibt es ein paar Büsche und etwas Rasen, außenherum führt ein asphaltierter Weg. Außerdem steht in einer Ecke ein Container, in dem die diensthabende Beamtin sitzt und auf ihre "Schäfchen", nämlich uns, aufpasst. Das erste, das mir beim Hofgang auffällt, ist, daß alle, auf dem Außenweg entlanggehenden Frauen links herum laufen. Ich frage eine Beamtin, warum. "Macht der Gewohnheit" sagt sie. Also gehe ich rechts herum, was manche offenbar stört. Sie empfinden es als Affront. Warum ich "gegen sie laufe", fragen einige. Jemand, dem man es erklären muss, kann es sowieso nicht verstehen, also sage ich nur freundlich: "Ich laufe lieber so herum" und ernte Kopfschütteln. Egal. Manchmal bilden sich kleine nationale Gruppen, die zusammenstehen oder -gehen, z.B. Afrikanerinnen und Frauen aus Rumänien, zu denen auch etliche Sinti und Roma gehören. Ab und zu legen sie Karten zur Zukunftsdeutung und manchmal singen und tanzen sie auch. Dann scharen sich meist andere Gefangene um sie und klatschen eifrig mit, so daß ein Hauch von Folklore-Stimmung herrscht, der für kurze Zeit ein wenig vergessen läßt, wo wir hier sind und daß wir gleich wieder weggesperrt sein werden.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2008