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SERIE/008: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 6. Brief - Ankunft Neudeck


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 6. Brief

27.1.08

Ankunft Neudeck


Neudeck, das Münchner Frauen- und Jugendgefängnis in der Au, ehemaliges Paulanerkloster, ab 1806 Strafarbeitshaus, in dem Kettensträflinge mit am Knöchel befestigter Eisenkugel, Züchtlinge mit ständigen Fußschellen ohne Kugel und Zwangsarbeiter verwahrt wurden. Dieses Zuchthaus hat man 1901 geschlossen und abgerissen, auf dem Gelände wurde der heute bestehende Gebäudekomplex als Untersuchungs- und Strafgefängnis neu erbaut. Hier saß 1918 der spätere bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner, 1933 wurde die linke Landtagspolitikerin Rosa Aschenbrenner in "Schutzhaft" genommen und auch die drei Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" waren in Neudeck inhaftiert. Jetzt sind die Tage der JVA Neudeck gezählt, neben der JVA Stadelheim ist ein Neubau im Entstehen und das alte Gefängnis soll zu einem 4-Sterne-Hotel umgebaut werden.

Wir stehen als Neuankömmlinge im Flur und eine von uns sagt: "Gegen die Ettstraße ist Neudeck ein 4-Sterne-Hotel." Erste Station ist die Kleiderkammer, in die wir einzeln hereingerufen werden. Als ich dran bin, muss ich meine Sachen ausziehen. Zum Glück ist die Beamtin dort nett und sensibel. Sie reicht mir gleich einen Bademantel und ich bin froh, die Kleidung, die ich fast vier Tage und Nächte anhatte, endlich loszuwerden. Die Sachen werden gewaschen und dann verplombt in Kleidersäcken verwahrt. Auch alle persönlichen Dinge und Dokumente müssen abgegeben werden. Jetzt habe ich auf keine einzige Adresse mehr Zugriff, auf keine Telefonnummer, nur auf die, die ich im Gedächtnis habe. Für meine Familie bin ich momentan sowieso unerreichbar, meine Freunde wissen garnicht, wo ich bin und auch ich weiß ja noch nicht, wer von ihnen auch weiterhin zu mir stehen wird.

Nachdem mir ein paar unverfängliche Dinge wie Kamm, Bürste, Shampoo ausgehändigt wurden, werde ich gefragt, ob ich eine Einzelzelle will. Auf jeden Fall! Als Untersuchungshäftling heißt es, hätte ich ein Recht darauf, zumindest theoretisch. Aber, da in Bayern besonders viel Recht und Ordnung herrschen, ist Neudeck, wie die meisten Gefängnisse hier, überfüllt.

Viel später, schon die Strafhaft betreffend, lese ich das Strafvollzugsgesetz, in dem in Paragraph 18 ebenfalls das Recht auf Einzelunterbringung festgeschrieben ist. Im Kleingedruckten darunter steht dann "siehe Übergangsbestimmung Paragraph 201". Dieser besagt: Abweichend von Paragraph 18 dürfen Gefangene auch gemeinsam (bis zu 8 Leute in einem Raum) untergebracht werden, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Ein Musterbeispiel, wie findige Juristen und Beamte Hintertürchen und Schlupflöcher schaffen, um unbequeme Gesetze auszuhebeln. So sind sie immer im Recht und natürlich ist alles ganz legal! In der Praxis bedeutet das, daß es meist lange Wartelisten für die wenigen und begehrten Einzelzellen gibt.

Zurück in die Kleiderkammer. Zum Schluss gibt man mir den guten und wie ich heute weiß berechtigten Rat: "Glauben Sie hier niemandem irgendetwas". Ich werde als Zugang auf eine Station gebracht und einer Beamtin übergeben, die mir unheimlich ist, weil sie auf mich streng, kalt und irgendwie militärisch wirkt. Sie ruft jemanden, der mir Handtücher, Wäsche, eine Jeans und einige Oberteile aushändigt. Theoretisch kann man als U-Häftling Privatkleidung tragen, muss aber jemanden haben, der sie alle zwei Wochen austauscht und wäscht. Mir ist es egal. Ich bin hier gefangen, dann trage ich auch Gefängniskleidung. Irgendwie finde ich das ehrlicher.

Endlich, endlich kann ich duschen und mir die tagealte Dreckschicht abspülen. Dann beziehe ich ganz allein eine große 4-Mann-Zelle und räume meine Sachen in einen Schrank. "Lassen Sie nie den Schrank offen, hier wird geklaut" sagt die Beamtin. In einem kleinen Nebenraum befindet sich die Toilette, man kann sogar die Tür schließen und das Fenster öffnen. Luxus im Vergleich mit dem Bunker im Polizeipräsidium. Alle Fenster sind natürlich vergittert und so hoch angebracht, daß man nur hinausschauen kann, wenn man auf's Bett oder einen Stuhl klettert. Eine junge Frau, auch eine Gefangene, bringt das Abendessen: ein paar Scheiben Brot, Butter, Käse, Tee. Es ist gleichzeitig als Frühstück für den nächsten Tag gedacht. Einen Kühlschrank oder ähnliches gibt es nicht und es ist auch verboten, Essen draußen auf dem Fenstersims zu lagern - wegen der Tauben. Wieder werde ich eingeschlossen, aber für Panikattacken bin ich viel zu müde. Die Zeit in der Ettstraße fordert ihren Tribut und ich lege mich hin, obwohl es noch nicht spät ist. Ein Lichtschalter existiert nur außerhalb der Zelle. Täglich gegen 22 Uhr gehen die Beamten durch die Gänge und schalten überall die Beleuchtung aus, erfahre ich später. Jetzt ziehe ich mir die Decke über den Kopf und schlafe sofort ein, tief, fest und traumlos.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2008