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MELDUNG/001: Wiener Asyl - ohne Rezept (SB)


Hungerstreik in der Votiv-Kirche wird fortgesetzt

Camp protestierender Flüchtlinge von der Wiener Polizei aufgelöst



Geflüchtete Menschen versuchen in vielen Ländern Europas, so auch in Österreich, gegen die aus ihrer Sicht unerträglichen Lebens- und Aufenthaltsbedingungen zu protestieren. Sie suchen das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen und wollen ihre Lage öffentlich machen. Ende November begaben sich rund einhundert aus anderen Ländern geflohene Menschen aus der österreichischen Erstaufnahmestelle in Trailskirchen auf einen 35 Kilometer langen Fußmarsch nach Wien, um auf ihre verzweifelte Situation aufmerksam und ihre Forderungen nach einer Verbesserung ihrer rechtlichen Lage öffentlich zu machen.

Als sie die Hauptstadt der Alpenrepublik am 25. November erreichten, begannen sie auf dem zentral gelegenen Votivplatz, unübersehbar für die Wiener Bevölkerung und Regierenden, zu campieren. Kurz vor Weihnachten, am 24. Dezember, intensivierten einige von ihnen ihren Protest. Sie bezogen, mit ausdrücklicher Genehmigung der Kirchenleitung, Quartier in der nahegelegenen Votiv-Kirche, um dort einen Hungerstreik zu beginnen. Nach Angaben der Caritas, die die Prostestierenden in der Kirche betreut, sind die Hungerstreikenden erschöpft und durchgefroren. Ihr Sprecher Klaus Schwertner äußerte sich gegenüber der Wiener Zeitung folgendermaßen [1]:

Wir stehen Seite an Seite mit den Flüchtlingen. Nach den persönlichen Gesprächen mit ihnen ist mir sehr klar, dass es nicht um Erpressung geht. Die Flüchtlinge sind völlig verzweifelt und haben sehr bescheidene Wünsche.

Noch am 21. Dezember war es unter Beteiligung des Bundeskanzleramtes sowie des österreichischen Innenministeriums zu einem Dialog mit Caritas-, Kirchen- und Flüchtlingsvertretern gekommen. Den protestierenden Geflohenen wurde angeboten, in ihre vorherigen Unterkünfte zurückgebracht zu werden, die Caritas bot ihnen eine Notunterkunft an. Doch die Flüchtlinge lehnten dies, wie die Wiener Zeitung schrieb, "aus politischen Gründen" ab. Sie waren eigens ins Zentrum Wiens gekommen, um ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen und wollten nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen. Nach Angaben der Wiener Zeitung lauten ihre Forderungen unter anderem "Grundversorgung unabhängig vom Rechtsstatus, freie Wahl des Aufenthaltsortes, Zugang zum Arbeitsmarkt und zum öffentlichen Wohnbau, Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur inhaltlichen Überprüfung aller negativ beschiedenen Asylverfahren sowie die Anerkennung von sozioökonomischen Fluchtmotiven" [2].

Am Freitag kam es in den frühen Morgenstunden zu einem Großeinsatz der Wiener Polizei gegen die auf dem Votivplatz campierenden Menschen. Nach Angaben der die Flüchtlinge unterstützenden Nichtregierungsorganisation "SOS Mitmensch" sei den Campierenden, die zumeist kein Deutsch verstünden, fünf Minuten Zeit gewährt worden, um das Camp "freiwillig" zu räumen. Danach sei das Gelände von der Polizei geräumt worden, und noch während Flüchtlingsaktivisten und -aktivistinnen versucht hätten, die gespendeten Einrichtungsgegenstände und Kleidungsstücke in Sicherheit zu bringen, sei mit dem Abriß der Zelte begonnen und das gesamte Camp dem Erdboden gleichgemacht worden. SOS Mitmensch bezeichnete die "brutale Räumung des friedlichen Camps" als "zutiefst beschämend" [3].

Aus Sicht der Polizei stellten sich die Ereignisse selbstverständlich anders dar. Sie hatte in einer Aussendung, wie es in Österreich heißt, diesen Einsatz mit fehlenden Genehmigungen begründet. Es habe keine Erlaubnis der Stadt Wien vorgelegen und die Versuche, die Verantwortlichen zu einem selbständigen Abbau des Lagers zu bewegen, seien fehlgeschlagen. Außerdem habe es, so die Polizei, "Vorfälle von gegenseitiger Körperverletzung, Behinderung von Passanten beim Durchqueren des Parks, massiver Bettelei und Anzeigen wegen Herabwürdigung religiöser Lehren und Stören der Religionsausübung am Heiligen Abend gegeben" [4].

Auf einem von der Unterstützerszene der Flüchtlingsproteste betriebenem Blog war unterdessen für Samstagnachmittag zu einer "Demo gegen die Polizeiräumung unter fadenscheinigen Vorwänden und in Solidarität mit größten selbstorganisierten Protesten von AsylwerberInnen in der jüngeren Geschichte" [5] aufgerufen worden.

Die Hungerstreikenden in der Votiv-Kirche scheinen derzeit nicht von einer Räumung bedroht zu sein. Nur mit dem Einverständnis der Kirchenleitung dürfte die Polizei hier einen solchen Einsatz durchführen. Die Erklärung des Wiener Bischofsvikars Dariusz Schutzki, daß eine Räumung "in der jetzigen Situation" ausgeschlossen werde, enthält allerdings eine gewisse Hintertür, da diese sich jederzeit ändern könnte.

Fußnoten:

[1] Flüchtlinge in Votivkirche teils weiter in Hungerstreik. Presseagentur KATHPRESS, 25.12.2012
http://www.kathpress.at/site/nachrichten/database/51560.html

[2] Caritas-Direktor Landau besuchte Flüchtlinge in der Votivkirche. Hungerstreik zehrt an Kräften der Flüchtlingscamper. Von Bettina Figl, Wiener Zeitung, 26.12.2012,
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtpolitik/511907_Hungerstreik-zehrt-an-Kraeften.html

[3] SOS Mitmensch verurteilt brutale Räumaktion der Polizei, 28.12.2012,
http://www.sosmitmensch.at/stories/6845/

[4] Der Platz nach der Räumung, ORF, 28.12.2012,
http://wien.orf.at/news/stories/2564854/

[5] http://refugeecampvienna.noblogs.org/

29. Dezember 2012