Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → MEINUNGEN


STELLUNGNAHME/078: Warum die Teilnahme der Bundeswehr an der Bombardierung des ISIS völkerrechtswidrig wäre (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

Warum die Teilnahme der Bundeswehr an der Bombardierung des ISIS völkerrechts- und verfassungswidrig wäre

Brief an Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages


Der CO-Präsident der internationalen IALANA, Dr. Peter Becker, hat sich an den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages gewandt und in einem Brief und einer kurzen Zusammenstellung noch einmal die Völkerrechtswidrigkeit des vorgesehenen Einsatzes in Syrien unterstrichen.

Wir dokumentieren die Zusammenstellung:

Warum die Teilnahme der Bundeswehr an der Bombardierung des ISIS völkerrechts- und verfassungswidrig wäre
1. Die Rechtslage

Auch für die Bekämpfung des Terrorismus gelten Völkerrecht, Verfassung und allgemeine Gesetze.

Nach Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts und gehen den allgemeinen Gesetzen vor.

Zu den allgemeinen Regeln gehören das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 und das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta.

Davon gibt es nur zwei Ausnahmen:

  • die Ermächtigung des Sicherheitsrats,
  • das Selbstverteidigungsrecht.

Eine Ermächtigung des Sicherheitsrats für einen militärischen Einsatz gegen den ISIS liegt nicht vor.
Das Selbstverteidigungsrecht ist nicht gegeben.

Denn nach der ganz herrschenden Auffassung im Völkerrecht steht das Selbstverteidigungsrecht nur einem Staat gegen den Angriff eines anderen Staates zu (IGH, Advisory Opinion vom 09.07.2004). Ein solcher Fall ist bei einem terroristischen Angriff nicht gegeben.

Die Entwicklung von Regeln für eine sehr weitreichende terroristische Bedrohung wie durch den IS mag wünschenswert sein. Aber diese Regeln existieren noch nicht. Das lässt das 'Sachstands'-Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages deutlich erkennen (S. 8 ff.). Außerdem ist der Angriff abgeschlossen. Schließlich ist Deutschland nicht angegriffen worden.

Der 'Kampf gegen den Terrorismus', ausgerufen nach 9/11, hat schon einmal ins Desaster geführt. Deutschland wurde eben nicht am Hindukusch verteidigt. Auch in Syrien verteidigen wir nicht unsere Sicherheit.


2. Krieg gegen den Terrorismus verkennt sein Entstehen und sein Wesen

Der 'Terror' des IS ist das Ergebnis unglaublicher Kriegsverbrechen vor allem der USA, aber auch die Unterstützung europäischer Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien.

Die richtige Reaktion ist:

  • Die Gründe für die Terroranschläge analysieren,
  • dabei die eigenen Fehlleistungen nicht verschweigen,
  • versuchen, den Terrorismus mit den Mitteln der zivilen Konfliktbearbeitung obsolet zu machen,
  • Terrorakte selbst mit den Mitteln des Strafrechts und des Strafprozessrechts ahnden.

Der Krieg ist dafür nicht das richtige Instrument.

Terrorismus ist die "Waffe der Schwachen" (Noam Chomsky). Er begann am 23.07.1968 mit der Entführung eines israelischen Passagierflugzeugs durch "palästinensische Terroristen". Das war die Antwort auf den Sechs-Tage-Krieg 1967, an dessen Ende israelische Truppen die ganze Sinai-Halbinsel, den Gaza-Streifen, das Westjordanland, Ost-Jerusalem und die syrischen Golanhöhen besetzten. Hunderttausende Palästinenser kamen unter israelische Besatzung und Militärverwaltung. Auch danach kam es zu mehreren gleichartigen Entführungen. Damals entstand das Nah-Ost-Problem, mit dem wir heute noch kämpfen.

Vorangegangen war eine große Zahl von UN-Resolutionen, die Israel niemals eingehalten hat. Insbesondere wertet die UN die Siedlungen gemäß der 4. Genfer Konvention als illegal.

Der Krieg gegen den Terrorismus wurde nicht erst nach dem 11. September 2001 ausgerufen, sondern von der Regierung Reagan schon 20 Jahre vorher. Nah-Ost-Botschafter war damals Donald Rumsfeld, der unter George W. Bush seit 2001 den Antiterrorkrieg leitete.

Der ISIS ist das Ergebnis des ebenfalls völkerrechtswidrigen Irak-Krieges 2003. General Jay Garner, erster Zivilverwalter des Irak, wies Verteidigerminister Rumsfeld schon im Juni 2003 auf drei tragische Fehlentscheidungen hin:

  • Die Auflösung der irakischen Armee,
  • das Ignorieren der irakischen Führungsschicht,
  • das weitgehende Verbot für ehemalige Mitglieder der Baath-Partei, beim Aufbau des Landes mitzuwirken.

Der schiitische Premier Maliki forcierte den Kampf gegen die Baathisten.

Diesem Krieg war eine große Anzahl von Entscheidungen 'des Westens' vorausgegangen, die den Hass der Baathisten geschürt haben:

  • Die USA unterstützten Saddam Hussein im ersten Golf-Krieg gegen den Iran, der nach entsetzlichen Opfern auf beiden Seiten mit einem Waffenstillstand endete.
  • Dann ließen ihn die USA zu Beginn des Zweiten Golf-Kriegs gegen Kuwait fallen: Die irakische Armee wurde in Kuwait von einer internationalen Koalition vernichtend geschlagen. Die zurückflutende Armee wurde von den US-Truppen unter General Barry McCaffrey angegriffen. Tausende starben: ein Kriegsverbrechen.
  • Das folgende Embargo wirkte sich vor allem bei irakischen Kindern aus, die zu Tausenden starben.
  • Das UN-Programm "Food for Oil" wurde insbesondere durch USA und Großbritannien missbraucht, wie wir von dem zuständigen Vize-Generalsekretär von Sponeck wissen.
  • Im Gefängnis von Abu Ghuraib wurden Hunderte von Irakern aufs Schwerste gedemütigt.

Der Hass, mit dem der ISIS jetzt vorgeht, ist die Folge von Verhaltensweisen 'des Westens' und keineswegs ein Wesensmerkmal des Islam.

Frankreich hat ebenfalls schwere Fehler begangen: Die USA, Großbritannien und Frankreich missbrauchten das UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen und betrieben stattdessen einen 'regime change' gegen einen funktionierenden Staat, eine angesehene Führungsmacht in Nordafrika, der zugleich Freund des Westens war.

Die Intervention im Norden Malis ist die falsche Reaktion auf einen ungelösten Regional-Konflikt: Die Tuareg streben nach regionaler Autonomie. Ihre Aufstandsbewegung wurde durch libysche IS-Kämpfer 'infiziert'. Diese Aufstandsbewegung wird nunmehr von französischen Kampfjets beschossen.

Und der Krieg in Syrien? Klar: Machthaber Assad hat die gewaltfreie demokratische Aufstandsbewegung mit Gewalt bekämpft. Aber auch dieser Aufstand wurde 'infiziert', und zwar durch die verschiedensten Milizen, die 'vom Westen' - allen voran die USA, aber auch Saudi-Arabien und Katar - unterstützt werden. In diesem unübersichtlichen Krieg versucht der ISIS einen Staat aufzubauen - rechtlich wichtig: Er ist kein Staat! Und seine Gräueltaten sind einerseits Rache, andererseits Werbemaßnahmen.

Aber ist Bombardieren - mit Hilfe der Bundeswehr bei der Zielbestimmung - die richtige Antwort?

'Wahrheitskommissionen' hat der Westen bisher immer Staaten wie Ruanda etc. empfohlen. Im Verhältnis zum IS sollte 'der Westen' erst einmal die eigenen Fehler analysieren - und dann versuchen zu sprechen. Einer hat es schon einmal geschafft: Jürgen Todenhöfer.


3. Die Alternative

Deutschland, vor allem der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, hat in der jüngsten Vergangenheit immer wieder die Instrumente der Diplomatie eingesetzt, in den Vereinbarungen Minsk I und II, in der Beschlussfassung vom 30. Oktober als einer von 17 Staaten, die an der Syrien-Konferenz in Wien teilnehmen. Das ist der richtige Weg.

Dr. Peter Becker, 3. November 2015


Weitere Informationen:
http://www.ialana.de

*

Quelle:
IALANA-Hauptstadtbüro
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: +49 30 20654857, Telefax: +49 30 20654858
E-Mail: info@ialana.de
Internet: http://www.ialana.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang