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STANDPUNKT/344: Die Sanktionen gegen Syrien verschärfen die humanitäre Krise (IPPNW)


IPPNW-Pressemitteilung vom 29. Mai 2019
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland

Die Sanktionen gegen Syrien verschärfen die humanitäre Krise

UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy in Berlin


Der Europäische Rat hat die EU-Sanktionen gegen Syrien kürzlich um ein Jahr verlängert. Sie umfassen ein Ölembargo, Beschränkungen Investitionen, das Einfrieren der in der EU befindlichen Vermögenswerte der syrischen Zentralbank sowie Ausfuhrbeschränkungen für Geräte und Technologien. Idriss Jazairy, UN-Sonderberichterstatter zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Menschenrechte, kritisierte heute in Berlin, dass diese Sanktionen die durch den Krieg verursachten Leiden der syrischen Bevölkerung verstärkt haben. "Die Maßnahmen, die aus Sorge um die Menschenrechte angewendet worden sind, haben zur Verschärfung der humanitären Krise beigetragen", so Jazairy.

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW setzt sich für die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und ein Ende der westlichen Sanktionen ein. Ihre Fortführung blockiere den Wiederaufbau des Landes, verlängere das Leiden der Bevölkerung und zerstöre die Rückkehrperspektive für einen Großteil der Millionen Flüchtlinge. Anstelle von Sanktionen mit weitreichenden humanitären und gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung fordert die ärztliche Friedensorganisation IPPNW einen ernst gemeinten Friedensprozess unter Beteiligung aller Konfliktparteien, möglichst unter Führung der Vereinen Nationen, der von Deutschland und der EU mit allen Mitteln gefördert werden sollte.

Zwar existieren laut dem UN-Sonderberichterstatter "humanitäre Ausnahmen", doch diese würden sich in der Praxis als kostspielig oder extrem langsam erweisen. Die Unsicherheit darüber, welche Finanz-Transaktionen gegen die Sanktionen verstoßen und welche nicht, habe zu einer "abschreckenden Wirkung" auf internationale Banken und Unternehmen geführt. "Infolgedessen sind diese nicht bereit oder nicht in der Lage, mit Syrien Geschäfte zu tätigen. Dies betrifft syrische und internationale Unternehmen, nichtstaatliche Akteure (auch solche, die in rein humanitären Bereichen tätig sind) und syrische Bürger", so Idriss Jazairy. Alle diese Akteure würden daran gehindert, internationale Transaktionen durchzuführen, auch für Waren, deren Einfuhr legal seien. Selbst internationale Organisationen hätten keine offizielle Möglichkeit, Gehälter oder Auftragnehmer in Syrien zu zahlen.

Die Sanktionen träfen auch die medizinische Versorgung Syriens, die vor dem Krieg zu den besten in der Region zählte. Medikamente, Ersatzteile und Software können aufgrund der Sanktionen nicht eingekauft oder bezahlt werden. Es mangele unter anderem an Ersatzteilen für Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge. Mehr als 40.000 gut ausgebildete Ärzte haben zudem Syrien verlassen.

Die einseitigen Sanktionen haben laut Jazairy zu einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und zum Verlust von Arbeitsplätzen aufgrund der Schließung von Fabriken geführt. Es sei unmöglich gewesen, Rohstoffe oder Maschinen zu beschaffen oder Waren zu exportieren. Ausfallende Wasserpumpen beeinträchtigten die Wasserversorgung erheblich und reduzierten die landwirtschaftliche Produktion. Kraftwerke würden ausfallen und neue Anlagen könnten nicht gekauft oder gewartet werden, was zu Stromausfällen führe. So hätten die Sanktionen wesentlich dazu beigetragen, die Flucht der Syrer*innen nach Europa zu erhöhen.

Mangelnde Ressourcen, Energie- und Wasserversorgung sowie fehlende Lehrmittel führten darüber hinaus zu Verzögerungen beim Wiederaufbau von Schulen. 1,8 Millionen Kindern in Syrien sei der Zugang zu ihren Klassenzimmern verwehrt. Auch werde die Möglichkeit der Syrer*innen, sich an der internationalen Gemeinschaft zu beteiligen, stark beeinträchtigt. Sie seien zum Beispiel von internationalen Bildungsaustauschprogrammen ausgeschlossen. Aufgrund der Schließung der Botschaften seien die Menschen zudem gezwungen, in die Nachbarländer zu reisen, um solche Anträge stellen zu können. Die enormen Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Visums hätten viele daran gehindert, im Ausland zu studieren oder zu reisen, ihre Ausbildung und Fähigkeiten zu verbessern oder an internationalen Konferenzen teilzunehmen.


Den ausführlichen Bericht von Idriss Jazairy finden Sie hier in Englisch:
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Report_jazairy.pdf
und auf Deutsch unter
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Jazairy_Statement_deutsch.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung vom 29. Mai 2019
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2019

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