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STANDPUNKT/087: Am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz den Mut nicht verlieren! (Jürgen Heiducoff)


Am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz den Mut nicht verlieren!

Eine Betrachtung aus dem Fernen Osten

von Jürgen Heiducoff, Jilin, Volksrepublik China - 22. Januar 2015



Es klingt für mich wie von einer fremden Welt - das Terror - Geschrei aus Westeuropa.

Die Angst vor weiterem Terror, die durch die "freien" Medien, die eben nicht die "Weltöffentlichkeit" repräsentieren, geschürt und verbreitet wird, berührt mich auch nur peripher.

Bitte vergessen wir nicht: Den Hunderten von Opfern der Terroranschläge der letzten Jahre in verschiedenen Staaten des Westen gingen Zehntausende Kollateralschäden im Verlaufe der Kriege des Westens in aller Welt voraus. Wo waren all die Jahre Entrüstung und Verurteilung durch Politiker und Medien der westlichen Halbwelt?

Vergeblich sucht man in den staatlich verordneten Medien einen Hinweis auf die realen Gefahren für die Existenz Europas, die von den Kernwaffenarsenalen ausgehen.

Ich jedenfalls fühle mich am anderen Ende des euro - asiatischen Kontinentalmassivs sicher und das inmitten einer disziplinierten und strengen, aber toleranten Kultur, die sich über viele Jahrhunderte trotz westlichen und japanischen militärischen "Engagements" vervollkommnen konnte und deren Potenzen die Welt in Erstaunen versetzt.

Da werden im Westen als Ursachen für Terror die dem Menschen innewohnenden bösen Kräfte herangezogen. Andere begründen die Unfähigkeit von Menschen, friedlich mit seinesgleichen auszukommen mit hormonellen oder psychologischen Gegebenheiten oder mit unausweichlichen Süchten wie Habsucht und Egoismus. Welch ein horrender Blödsinn!

Die Spezies Mensch ist eben nicht so schlecht wie manche Untaten einzelner. Die Gemeinschaft, die Gesellschaft ist nie so entartet wie manche ihrer Führer und Eliten.

Solche Irrlehren sollen die Menschen verwirren und ihnen den Eindruck vermitteln, die Welt sei nicht veränderbar. Ist sie wohl!!! Aber die Leute sollen verharren und in die Weisheit der "Oberen" vertrauen. Optimismus und Zuversicht sind die Zauberworte, die uns die Kraft verleihen, diese dekadente neo-liberale westliche Welt auszuhalten und zu verändern.

Die Welt real, offen, kritisch beschreiben, bewerten und zu klaren Schlussfolgerungen gelangen - das ist die Methode, die Aussicht auf Erfolg und Veränderung hat.

Halten wir uns vor Augen: "Es ist kein gutes Zeichen, wenn jüngere Mitglieder des Bundestages das Gefühl haben, die Beschäftigung mit Außen- und Sicherheitspolitik sei nicht karrierefördernd. Übrigens hat der Deutsche Bundestag seit 1994 ungefähr 240 Mal über Mandate für Auslandseinsätze der Bundeswehr beraten, und zwar in einer Weise, die Respekt gebietet. Allerdings hat das Parlament im selben Zeitraum weniger als zehn Mal grundsätzlich über deutsche Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert. Dabei brauchen wir solche Debatten - im Bundestag und überall: in Kirchen und Gewerkschaften, bei der Bundeswehr, in den Parteien und Verbänden. Denn Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht nur Sache von Eliten. Das Nachdenken über Existenzfragen gehört in die Mitte der Gesellschaft. Was alle angeht, muss von allen beraten werden. Dazu drängt uns immer wieder die Weltlage - in diesen Tagen die Ereignisse in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik. Zum Anspruch, die Debatte zu öffnen, passt, wie Deutschlands ... Außenminister die Politik seines Ministeriums auf den Prüfstand - und zur Diskussion - stellen möchte. Frank-Walter Steinmeier will den Dialog mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft suchen. Das wäre ein Schritt auf dem Weg zu einer neuen gesellschaftlichen Selbstverständigung. Das Gespräch darüber, wie, wo und wann wir unsere Werte und unsere Sicherheit verteidigen wollen, führt uns zu mehr Klarheit über Maß und Ziel von Deutschlands internationalem Engagement." Wie wahr, wie wahr. Halten wir uns daran! Dies hat wörtlich der Bundespräsident während seiner Eröffnungsrede der letztjährigen Münchner Sicherheitskonferenz gefordert. Lasst uns unseren Bundespräsidenten beim Wort nehmen. Lasst uns appellieren, fordern - immer wieder und überall.

Wo findet denn zur Zeit eine solche öffentliche Debatte statt? Im Verteidigungsministerium? Im Rahmen der politischen Bildung beim Deutschen Heer, bei der Luftwaffe, Marine oder bei den Sanitätstruppen, an den Instituten und Universitäten der Bundeswehr? Wohl kaum, denn da hat sich eher die Angst vor einer schlechten Beurteilung und vor einem Karriereknick breit gemacht. Kontroverse Fragen von Krieg und Frieden werden allenfalls bei Seminaren der Friedensbewegung, beim Verein Darmstädter Signal, vielleicht an zivilen Universitäten und an Schulen diskutiert.

Was mag Herr Gauck am 13. Dezember vorigen Jahres gedacht haben, als vor seinem Berliner Dienstsitz mehrere tausend Anhänger der Friedensbewegung Frieden für Europa und die Welt, Frieden mit Russland, ein Ende der Auslandseinsätze der Bundeswehr gefordert sowie Kritik an der NATO geübt haben? Er war im Schloss. Ich war einer der Teilnehmer der Kundgebung. Er hat sich leider nicht zur Kritik seines Volkes geäußert - weder direkt, noch indirekt. Nimmt er die Kritik aus der Mitte der Gesellschaft nicht ernst?

Viele aufrichtige Bürger der Bundesrepublik erwarten wie ich am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz von ihrem Präsidenten und von ihrer Regierung, sich konsequent für den Frieden, zur Zeit vor allem für den Frieden mit Russland einzusetzen.

Jeder hat seine eigene Vita, sein eigenes Schicksal, auch der Bundespräsident. Jeder hat das Recht, damit und danach zu leben - jeder ganz für sich alleine. Keiner jedoch hat das Recht, die Traumata des eigenen Schicksals, wenn er die Macht dazu hat, zum Trauma eines ganzen Volkes zu machen. Deutschland mit seiner leidvollen Geschichte und die Deutschen haben keinen Grund, nach Osten wie auf Feinde zu blicken. Es ist der Wille der meisten Deutschen, auch mit Russland und dessen Völkern in Frieden und Eintracht zu leben. Das hat in den 1990er Jahren mit einem sehr zweifelhaften russischen Präsidenten, der das Volksvermögen verschleudert hat, ganz gut geklappt. Auch hier gilt: die Präsidenten kommen und gehen - das russische Volk bleibt bestehen.

Am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz meine ich:
Keiner darf sich des "Rechtes des Stärkeren" als seines bedienen! Kein Volk, kein Staat, kein Staatenbündnis ist dem anderen gleich, aber auch keines dem anderen überlegen.
Die Völker und Staaten haben sich an das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu halten!
Nicht hilfreich ist es, sich in die inneren Angelegenheiten anderer einzumischen. Nicht anstrebenswert, ja arrogant ist es, sich aufzubäumen und zu deklarieren, "Verantwortung" in und über fremde Kulturen übernehmen zu müssen - noch dazu auch militärische Mittel nicht auszuschließen.

Sicher steht zu befürchten, dass in München wieder einmal zu neuen Feldzügen gegen andere Kulturen und Staaten aufgerufen wird. Sicher nehmen die Kriege des Westens, dieser Terror der Mächtigen noch immer kein Ende. Sicher wird durch diesen staatlich verordneten Terror neuer Hass gesät, neuer Terror der Verzweifelten in diesem ungleichen Kampf gezeugt und geboren.

Sicher überwiegt die Zahl der Getöteten, der Geschundenen und durch unbeschreibliches Leid Betroffenen im Ergebnis westlicher Kriege auch künftig die der Opfer von Anschlägen im Westen.

Dennoch - wir dürfen den Mut und den Glauben an das Gute im Menschen nicht verlieren!

Ich habe als OSZE - Beobachter den ungleichen Krieg der Russischen Truppen gegen das abtrünnige Volk der Tschetschenen 1995/96 vor Ort erlebt. Ich hatte mit den Tschetschenen Angst vor den russischen Kampfbombern und Hubschraubern. Ich habe fast drei Jahre in Afghanistan ausgehalten und hatte Angst vor dem Terror der Amerikaner und der ISAF-Truppen. Aber ich habe den Mut nicht verloren, an den Durchbruch der Vernunft zu glauben. Dieser Glaube versetzt Berge.

Wenn die Architekten der Sicherheit der Zukunft, von denen sich viele in wenigen Tagen in München treffen werden, nicht von selbst zur Vernunft kommen und die Spirale von Krieg und Gewalt auch im Jahre 2015 nicht stoppen, so wird es endlich Zeit, dass sich die Stimmen in der Öffentlichkeit verdichten:

  • gegen Waffenexporte und Waffenlieferungen
  • gegen militärische Ausbildungshilfe
  • gegen Auslandseinsätze und Interventionen des Militärs
  • für die Reduzierung des Auftrages der Bundeswehr auf Landesverteidigung und deren radikalen Abbau
  • für den Austritt Deutschlands aus der NATO
  • für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands
  • für einen nachhaltigen Frieden

Die Menschen sind nicht unverbesserlich!

Und die "Mächtigen" von München sind Menschen!


Der Autor Jürgen Heiducoff war fast 40 Jahre im Dienst deutscher Streitkräfte, zumeist auf dem Gebiet der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauens- und Sicherheitsbildung.

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Quelle:
© 2015 by Jürgen Heiducoff
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2015


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