Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → MEINUNGEN

OFFENER BRIEF/002: Freie Ausreise für Mordechai Vanunu (IALANA, ILMR, IPPNW)


InternationaIe Liga für Menschenrechte - 16.11.2010

Freie Ausreise für Mordechai Vanunu
zur persönlichen Teilnahme am Festakt der Verleihung der
Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010


Gerne möchten wir auf den beigefügten Offenen Brief an den israelischen Premier-, den Verteidigungs- und den israelischen Innenminister hinweisen.

In diesem Brief appellieren die Organisationen IALANA, LIGA sowie IPPNW an die Zuständigen in Israel, Mordechai Vanunu anlässlich seiner Auszeichnung mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010 die Ausreise aus Israel zu ermöglichen, damit er beim Festakt der feierlichen Medaillenverleihung am 12. Dezember in Berlin anwesend sein kann. Der Brief wird von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Politik unterstützt. Darunter die Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan Maguire, Günter Grass, Volker Ludwig und Horst Eberhard Richter.

Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin
(Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte)


*


IALANA - ILMR - IPPNW

Freie Ausreise für Mordechai Vanunu
zur persönlichen Teilnahme am Festakt der Verleihung der
Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010 am 12. Dezember d. J. in Berlin

OFFENER BRIEF
- an den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu,
- an den israelischen Innenminister Eli Jishai
- an den israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak

Sehr geehrter Herr Premierminister Netanjahu,
sehr geehrter Herr Innenminister Jishai,
sehr geehrter Herr Verteidigungsminister Barak,

wir, die Unterzeichnenden, nehmen die Auszeichnung Mordechai Vanunus mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010 zum Anlass, an Sie zu appellieren:

Gewähren Sie dieser herausragenden Persönlichkeit ihres Landes, die eindringlich vor den Gefahren der atomaren Aufrüstung gewarnt hat, freie Ausreise aus Israel, um ihr die Teilnahme am Festakt der feierlichen Medaillenverleihung am 12. Dezember in Berlin zu ermöglichen.

Der internationalen Öffentlichkeit wurde Mordechai Vanunu 1985 bekannt, nachdem er einer Londoner Zeitung Informationsmaterial über das israelische Negev-Kernforschungszentrum überlassen hatte. Am 27. März 1988 verurteilte ihn ein israelisches Strafgericht in erster Instanz zu einer 18-jährigen Freiheitsstrafe wegen "Unterstützung des Feindes in Kriegszeiten" sowie "Sammlung und Weitergabe geheimer Informationen in der Absicht, der Sicherheit des Staates Israel zu schaden". Die gegen das Urteil eingelegten Rechtsmittel wies der Oberste Gerichthof ab. Dabei hatten Zeitzeugen - darunter britische und US-amerikanische Atomwaffenexperten - übereinstimmend festgestellt, dass das Wissen des Verurteilten nicht ausgereicht hätte, um eine Gefahr für die Sicherheit Israels darzustellen.

Am 24. April 2004 wurde Mordechai Vanunu nach vollständiger Verbüßung der Strafe - davon 11 Jahre verschärfter Vollzug durch vollständige Isolation - aus der Haft entlassen. Die seinerzeit gerichtlich festgesetzten, im Laufe der Jahre wiederholt verlängerten Auflagen beinhalten u. a. das strikte Verbot, Israel zu verlassen und schränken seine Bewegungs- und Meinungsfreiheit auch innerhalb Israels erheblich ein. Noch am 11. Oktober d. J. wurden die genannten Auflagen vom Obersten Gerichtshof Israels bestätigt. Das Vorbringen der Verteidiger, dass das Wissen Mordechai Vanunus aufgrund der vielen, seit seiner Entlassung aus dem Kernforschungszentrum 1985 verstrichenen Jahre veraltet sei und daher für die Sicherheit Israels keine Gefahr mehr darstelle, wiesen die Richterinnen zurück. Zur Begründung der Aufrechterhaltung des Ausreiseverbots gaben sie im Urteilsspruch vom 13. Oktober 2010 an, er verfüge weiterhin über bisher nicht bekannt gewordenes, sicherheitsrelevantes Geheimwissen, das er im Ausland werde preisgeben können und wollen.

Wir erlauben uns daran zu erinnern, dass der vormalige Ministerpräsident Ihres Landes, Ehud Olmert, im Rahmen seines Besuchs in Deutschland bereits Ende 2006 einräumte, dass Israel Kernwaffen besitze. Mordechai Vanunu betont bis zum heutigen Tage, es hätte ihm fern gelegen, Israel zu schaden. Vielmehr habe er aus Sorge angesichts der Gefahren gehandelt, die von künstlich erzeugtem und zum Bau von Atomwaffen aufbereitetem Plutonium - auch für die Bevölkerung Israels - ausgehen. Diese Sorge teilen seit den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki Millionen Menschen auf der Erde. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sowie angesichts zunehmender Spannungen in Regionen, in denen ein atomarer Krieg wegen fehlender Kontrolle oder als Kurzschlusshandlung nicht auszuschließen ist, haben sich führende Staatsmänner in jüngster Zeit wiederholt für die vollständige atomare Abrüstung ausgesprochen und als ersten Schritt in diese Richtung konkret die Schaffung regionaler Kernwaffenfreier Zonen angekündigt.

Die Gründe, die die Unterzeichnenden bewogen, sich anlässlich der Auszeichnung von Mordechai Vanunu mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille mit dem vorliegenden Brief an Sie zu wenden, gehen über friedenspolitische Anliegen hinaus. Uns ist kein Fall aus anderen demokratischen Staaten bekannt, in dem auch nach vollständiger Verbüßung einer - mit 18 Jahren äußerst hoch bemessenen - Freiheitsstrafe gerichtlich Auflagen von so weitreichender Beschneidung der Grundrechte angeordnet werden, dass sie einer gestaffelten Strafverlängerung gleichkommen. Wir halten es für unverzichtbar, dass in einem demokratischen Rechtsstaat eine vollständig verbüßte Strafe zur Wiedereinsetzung aller Zivilrechte und politischen Freiheiten für den betroffenen Bürger führen muss. Der Internationale Vertrag über bürgerliche und politische Rechte schreibt in Art. 12 das individuelle Recht zur Ein- und Ausreise in jedes Land - einschließlich das eigene - als Grundfreiheit fest. In Art. 14 Abs. (7) heißt es überdies: "Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des jeweiligen Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden."

Wir, die Unterzeichnenden appellieren eindringlich an Sie, unser Vorbringen in allen Punkten wohlwollend zu bedenken und unserem Anliegen nachzukommen, Mordechai Vanunu die Ausreise aus Israel zu gestatten. Gewähren Sie Mordechai Vanunu die Möglichkeit, die Einladung der Internationalen Liga für Menschenrechte anzunehmen und sich vom 10. bis zum 17. Dezember als deren Gast in Berlin aufzuhalten, um am 12. Dezember 2010 persönlich dem Festakt zur Verleihung der Carl-von Ossietzky-Medaille 2010 beizuwohnen.

Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Für eine baldige Erwiderung wären wir Ihnen verbunden.

Hochachtungsvoll

Rechtsanwalt Otto Jäckel - Vorsitzender International Association of Lawyers Against Nuclear Arms - Germany
Prof. Dr. Fanny-M. Reisin Präsidentin - International League for Human Rights - Germany
Dr. med Angelika Claußen - Vorsitzende International Physician for the Prevention of Nuclear War - Germany


Erstunterzeichner:

Mairead Corrigan-Maguire, Friedensnobelpreisträgerin 1979, Trägerin der Carl-von-Ossietzky-Medaille 1976,
Hans-Peter Dürr, Physiker, Träger des Alternativen Nobelpreises 1987,
Günter Grass, Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker, Literaturnobelpreisträger 1999, Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 1967,
Nina Hagen, Sängerin, Schauspielerin und Songwriterin,
Fredrik S. Heffermehl, Jurist, Autor und Friedensaktivist,
Harold (Harry) W. Kroto, Chemiker, Nobelpreisträger für Chemie 1996,
Felicia Langer, Rechtsanwältin und Autorin, Trägerin des Alternativen Nobelpreises 1990 und des Bruno Kreisky Preises 1991,
Volker Ludwig, Dramatiker, Leiter des GRIPS Theaters Berlin, Träger des Verdienstordens des Landes Berlin 2007 und der Carl-von-Ossietzky-Medaille 1994,
Luisa Morgantini, vormalige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments,
Horst-Eberhard Richter, Psychoanalytiker und Sozialphilosoph, Ehrenvorstandsmitglied IPPNW. Träger der Urania Medaille 1993 und der Paracelsus Medaille 2008,
Jack Steinberger, Physiker, Nobelpreisträger für Physik 1988,
Ernst Ulrich von Weizsäcker, Naturwissenschaftler, Träger des Deutschen Umweltpreises 2008


*


Quelle:
InternationaIe Liga für Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Tel.: 030 - 396 21 22, Fax: 030 - 396 21 47
E-Mail: vorstand@ilmr.de
Internet: www.ilmr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2010