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LESERBRIEFE/002: Nakba-Ausstellung in Aachen - Eindrücke und Gedanken (Ulrike Vestring)


Nakba-Ausstellung in Aachen - Eindrücke und Gedanken

Von Ulrike Vestring, Mai 2011


Nakba heißt Katastrophe. Ein arabisches Wort, das mittlerweile auch viele Deutsche kennen. Als Nakba bezeichnen die Palästinenser die unheilvollen Ereignisse, die sie im Zusammenhang mit der Gründung des Staates Israel 1948 trafen: Vertreibung und zum Teil tödliche Verfolgung, Auslöschung palästinensischer Dörfer und ca. 750.000 Vertriebene und Flüchtlinge, deren Nachkommen vielfach noch heute in Lagern oder im Exil leben.

Diese über sechzigjährige Geschichte dokumentiert eine Ausstellung, die eine nahostkundige Friedensaktivistin aus Süddeutschland mit wissenschaftlicher Beratung und offizieller finanzieller Unterstützung zusammengetragen hat. Dürfen Deutsche die Nakba-Ausstellung sehen?

Nein, sagen in jüngster Zeit immer mehr Vertreter jüdischer Mitbürger und christlich-jüdischer Organisationen. Die Ausstellung sei geeignet, Israel in ein schlechtes Licht zu setzen und schüre damit Antisemitismus.

Doch, meinen die vielen Menschen, die die Ausstellung in den vergangenen vier Jahren an zahlreichen Orten in Deutschland gesehen haben. Und ja sagten vor kurzem auch Bürgerinnen und Bürger von Aachen, die sich für Verständnis und Ausgleich zwischen Palästinensern und Israelis einsetzen. Der Evangelische Kirchenkreis Aachen und der Aachener Friedenspreis e.V. übernahmen es, die Nakba-Ausstellung trotz heftiger, zum Teil persönlich gefärbter Proteste in die Stadt Karls des Großen zu holen. Eine große Aachener Zeitung berichtete betont sachlich, in Deutschland lebende Juden und die in Berlin ansässige "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden" äußerten Anerkennung und Zuspruch. Vor einigen Tagen wurde die Ausstellung im Haus der Evangelischen Kirche im Beisein von mehr als 200 Gästen und Besuchern eröffnet.

In den kommenden zwei Wochen werden zahlreiche Menschen interessiert und nachdenklich die 13 großformatigen Ausstellungstafeln betrachten. So auch am gestrigen Dienstag, da im Rahmenprogramm der Cap Anamur - Gründer und Friedensaktivist Rupert Neudeck sein neues Buch vorstellte "Das unheilige Land: Brennpunkt Naher Osten. Warum der Friede verhindert wird" (Verlag Herder, Freiburg i.Br. März 2011).

Rupert Neudeck begann seinen Vortrag mit einem Blick ins Grundgesetz, das er im Mini-Format immer bei sich trägt. Artikel 5 garantiert das Recht auf Meinungsfreiheit. Daraus ergibt sich für Neudeck auch das Recht für jedermann, die Nakba-Ausstellung zu zeigen und zu betrachten.

Unter dem Aspekt Menschen- und Freiheitsrechte würdigte Neudeck auch die gegenwärtigen Freiheitsbestrebungen von Menschen in arabischen Ländern. Für ihn stellen sie eine arabische Revolution dar, die in die Geschichte eingehen wird. Diese Revolution habe in den vergangenen Wochen und Monaten hochherzige Momente erlebt, die wir Deutschen nur mit staunendem Respekt zur Kenntnis nehmen können. Ebenso werde es Rückschläge geben.

Die Situation in Palästina wie auch in Israel sieht Neudeck von der Besatzung geprägt. 44 Jahre Besatzung widersprechen eindeutig dem Völkerrecht. Anstatt den Besatzern Sicherheit zu bringen, verunsichern sie die israelische Gesellschaft. Immer mehr junge Israelis zweifeln an der Zukunft ihres Landes und wandern aus. Die Friedensbewegung in Israel ist marginalisiert. "Beide Gesellschaften werden durch die strukturelle Gewalt der seit über vier Jahrzehnten andauernden militärischen Besatzung der palästinensischen Gebiete in Mitleidenschaft gezogen", heißt es in einem heute veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation medico international.

Friedensverhandlungen? Im besetzten Palästina gibt es keine wirkliche Regierung, keinen gleichberechtigten Partner, der mit Israel in Augenhöhe verhandeln könnte. Der auch von den USA und Europa immer wieder neu aufgewärmte "Friedensprozess" ist eine Farce. Erst wenn die Besatzung endet, kann die Entwicklung eines unabhängigen Staates Palästina beginnen. "Die Zeit drängt", mahnte Rupert Neudeck. Als Zeichen der Hoffnung erwähnte er zum Schluss das Gastspiel des israelischen Dirigenten Daniel Barenboim, der neulich mit 30 Musikern über Ägypten nach Gaza reiste und ein Mozart-Konzert gab.

Nach dem Vortrag blieb noch Zeit für einen zweiten Blick auf die Nakba-Ausstellung. Richtiger müsste sie Dokumentation heißen - eine Zusammenstellung von Fakten, die mit Zitaten aus wissenschaftlichen Werken und UN-Dokumenten, Landkarten und zeitgenössischen Fotografien belegt: die Erfolgsgeschichte des Staates Israel hat eine Nachtseite. Der israelische Historiker Ilan Pappe spricht im Namen der Betroffenen, wenn er sagt: ,"Eine derart schmerzhafte Reise in die Vergangenheit ist der einzige Weg nach vorn, wenn wir eine bessere Zukunft für uns alle, Palästinenser wie Israelis, schaffen wollen.

Hans-Peter Bruckhoff, der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, sieht es so: "Wir wollen hier in Aachen mit dieser Ausstellung einen Ort anbieten, in dem die unterschiedlichen Standpunkte im gegenseitigen Respekt, im Hinhören aufeinander ausgetauscht werden können"


In diesen Tagen feiert Israel den 63. Jahrestag seiner Staatsgründung. Dabei haben 20 % seiner Staatsbürger, die als Palästinenser an ihre gleichzeitigen leidvollen Erfahrungen erinnern wollen, einen schweren Stand. Palästinensische Gemeinden in Israel, die Veranstaltungen zum Nakba-Gedenken abhalten, müssen damit rechnen, dass ihre Ansprüche auf staatliche Versorgungsleistungen noch stärker als bisher beschnitten werden.


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Quelle:
© 2011 Ulrike Vestring
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2011