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FREE GAZA/125: "Kriegserklärung Israels" (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 2. Juni 2010

"Kriegserklärung Israels"

Von Karin Leukefeld


Nach dem israelischen Angriff auf einen humanitären Schiffskonvoi am Montag ist das Schicksal der meisten Passagiere weiter unklar. Israel erklärte, man habe 480 Personen in das Gefängnis Beersheeba in der Negev-Wüste abtransportiert. Nach Angaben der deutschen Botschaft in Tel Aviv sollen noch sechs Deutsche inhaftiert sein, darunter auch der freie Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Mario Damolin.

48 Teilnehmer der Flottille konnten bisher ausreisen. Zu ihnen gehört die Bundestagsabgeordnete der Linken, Inge Höger, die nach ihrer Rückkehr meinte, sie habe sich "wie im Krieg gefühlt". Ihre Fraktionskollegin Annette Groth sagte, sie seien Zeuginnen "eines barbarischen Aktes" geworden, würden aber "weiter dafür kämpfen, die Blockade zu beenden". Der Völkerrechtler Norman Paech erklärte, der Angriff sei "ein Kriegsverbrechen", denn die Flotte sei eine "rein zivile Mission" in internationalen Gewässern gewesen. Der deutsche Arzt Matthias Jochheim, der für die Friedensorganisation IPPNW an Bord der "Mavi Marmara" war, sagte, er selbst habe vier Tote gesehen, die eindeutig durch Schüsse getötet worden seien. Auch die rund 50 "erheblich" Verletzten hätten zum Großteil Schußwunden gehabt. Nader El-Saqa von der Palästinensischen Gemeinde Deutschlands e.V. bezeichnete den israelischen Angriff als "Kriegserklärung Israels an alle auf den Schiffen vertretenen Nationen".

Am Montag abend einigte sich der UN-Sicherheitsrat nach zwölfstündigen Beratungen auf eine Verurteilung des Angriffs und forderte Israel auf, Menschen, Schiffe und Ladung wieder freizugeben. Eine internationale Kommission solle den Überfall untersuchen. Die Erklärung fiel jedoch schwächer aus, als von den Palästinensern, den arabischen Staaten und der Türkei gefordert. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu, aus dessen Land offenbar die neun derzeit von Israel bestätigten Todesopfer des Angriffs stammten, nannte den israelischen Militäreinsatz "staatlich begangenen Mord" und Piraterie.

Gegenüber junge Welt wies "Free Gaza"-Sprecherin Greta Berlin die Darstellung der israelischen Armee zurück, wonach die Soldaten in "Notwehr" das Feuer eröffnet hätten. "Israel hat uns in internationalen Gewässern angegriffen, also sind sie der Angreifer, nicht wir." Liveaufnahmen der Bordkameras der "Mavi Marmara" zeigten, "wie die Soldaten an Deck landeten und zu schießen begannen. Kein Mensch hat sie angegriffen." Das israelische Militärvideo, das Kämpfe zeige, weise keine Zeitangabe auf, so Berlin weiter: "Warum wohl nicht?" Die Aktivisten hätten sich erst verteidigt, nachdem es die ersten Toten gab. Sie kündigte an, daß das irische Frachtschiff "Rachel Corrie", das eigentlich ebenfalls zu dem Konvoi gehören sollte, aber wegen technischer Probleme zurückgeblieben war, trotz der Ereignisse nach Gaza fahren werde. "Wir werden immer wieder Schiffe schicken, solange die Blockade nicht aufgehoben ist."

Offenbar als Reaktion auf den israelischen Angriff hat Ägypten den Grenzkontrollpunkt Rafah geöffnet. Präsident Hosni Mubarak ordnete die Maßnahme am Dienstag an, um den Transport von Hilfsgütern und Kranken sicherzustellen, wie die ägyptische Nachrichtenagentur Mena am Dienstag meldete. Rafah ist der einzige Grenzübergang zum Gazastreifen, der nicht von Israel kontrolliert wird. Zunächst wurde nicht mitgeteilt, wie lange er geöffnet bleiben soll.


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Quelle:
junge Welt vom 02.06.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2010