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STANDPUNKT/199: Deutsche Rüstungsexporte boomen - noch (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 4 / 2019
Magazin der DFG-VK

Deutsche Rüstungsexporte boomen - noch
Neue Ansatzpunkte des Handelns gegen Waffenhandel

Von Jürgen Grässlin


1. September 2019. Kundgebungen zum Antikriegstag allerorten. Bundesweit demonstrieren Abertausende von Gewerkschafter*innen und Friedensaktivist*innen für Abrüstung und Entmilitarisierung. Tags darauf verkündet ein Vertreter der Bundesregierung deren Beitrag zu Aufrüstung und Stabilisierung menschenrechtsverletzender Regime. Härter könnten die Konfliktlinien zwischen Pazifist*innen und Bellezist*innen kaum aufeinander prallen.

Denn just an diesem 2. September unterrichtet das Bundeswirtschaftsministerium Mitglieder des Wirtschaftsausschusses des Bundestags, dass der im Geheimen tagende Bundessicherheitsrat (BSR) sein Freizeichen für neuerliche Waffenlieferungen nach Algerien, Indien, Indonesien und Israel erteilt hat. Für eben diese vier Länder wurden "abschließende Genehmigungsentscheidungen" erteilt, wie der für den staatlich legitimierten Waffenhandel zuständige Bundesminister Peter Altmaier schreibt.

So darf Algerien alsbald 611 Teilesätze für militärische Daimler-LKWs importieren. Zudem genehmigte der BSR den Export von 160 Antrieben für Waffenstationen, die vor Ort in Transportpanzer des Typs "Fuchs" montiert werden. Die Menschenrechtssituation in Algerien ist bekanntermaßen schlecht, die Waffentransfers an die Machthaber in Algier sind kritisch.

Auch die vermeintlich größte Demokratie der Welt wird hochgerüstet. So soll die indische Luftwaffe 72 "Meteor"-Gefechtsköpfe erhalten. Just zu dem Zeitpunkt, da der kriegerische Konflikt mit Pakistan um Besitzansprüche in der Region Kaschmir dramatisch eskaliert.

Beim Waffenbauer Dynamit Nobel in Troisdorf dürften die Champagnerkorken kurz nach dem Antikriegstag geknallt haben. Denn dank des Votums des BSR gehen für ein Volumen von etwa zehn Millionen Euro Tausende Geschosse für einen tragbaren Raketenwerfer auf Reisen. Laut Ausfuhrliste erhält Indonesien zwei Minenjagdboote. Dabei hatte die Bundesregierung sich jüngst gerühmt, die Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport verschärft zu haben. Eine differenzierte Analyse der Kampagne Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!, bei der die DFG-VK seit Gründung aktiv vertreten ist, dokumentiert die zahlreichen Schlupflöcher in den politischen Absichtserklärungen der Bundesregierung.

Diese desaströse Entwicklung ist allenfalls die Spitze eines gewaltigen Eisberges. Laut Recherchen des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) schreitet der weltweite Waffenhandel seit Jahren ungebrochen voran. Summa summarum verzeichnen die schwedischen Friedensforscher*innen eine Steigerung von 7,8 Prozent im internationalen Rüstungstransfer von Großwaffensystemen. Bei seiner Analyse vergleicht Sipri die Fünf-Jahres-Zeiträume von 2014 bis 2018 mit dem von 2009 bis 2013.

Bekanntlich mischt auch Deutschland als weltweit viertgrößter Exporteur von Großwaffen und Kleinwaffen (Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehren sowie Mörsern) massiv beim Handel mit Kriegswaffen und Rüstungsgütern mit - wohlgemerkt mit einer Steigerungsrate von 13 Prozent.

Eine zentrale Rolle kommt dabei den Großwaffenexporteuren der Düsseldorfer Rheinmetall AG und den Kleinwaffenherstellern von Sig Sauer, Eckernförde, zu. Dabei wählen immer mehr Kriegswaffenlieferanten die Strategie der Verlagerung ins Ausland - so auch raus aus Deutschland. Neue Produktionsstandorte bilden dabei Staaten mit einer laxeren Rüstungsexportkontrolle. Der Grund: Hierzulande ist es den Aktivist*innen von Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel! seit Kampagnengründung 2011 mit Erfolg gelungen, durch investigative Recherchen, kreative Aktionen und erfolgreiche Strafanzeigen den Druck auf den Gesetzgeber so zu erhöhen, dass die Rechtslage sukzessive verschärft werden musste. Auch wenn diese noch viele Schlupflöcher aufweist, gehen die Einschränkungen vielen Waffenschmieden schon jetzt zu weit.

Die Folge: Nach unserer erfolgreichen Strafanzeige und der Verurteilung vor dem Landgericht Kiel wegen des illegalen Exports von rund 38.000 Pistolen über die USA ins Bürgerkriegsland Kolumbien hat Sig Sauer die Kriegswaffenproduktion weitgehend in die USA verlagert.

Mittels eines Joint-Ventures mit dem südafrikanischen Munitionshersteller Denel plant Rheinmetall die Eroberung des globalen Munitionsmarktes vom afrikanischen Kontinent aus. 38 Munitionsfabriken sollen weltweit gebaut werden. Zudem verlagerte der Düsseldorfer Rüstungsriese die Produktion großkalibriger Munition zur italienischen Unternehmenstochter RWM Italia, die von Sardinien aus Munition nach Saudi-Arabien exportierte. Die saudischen Streitkräfte setzten RWM-Granaten im Jemen-Krieg gegen Zivilist*innen ein.

Angesichts der Strategie der Rüstungskonzerne, Produktionskapazitäten in aller Welt aufzubauen, dürfen wir nicht länger nur in nationalen und nicht einmal in rein kontinentalen Kategorien denken. Doch bislang fehlt die globale Vernetzung der Gegner*innen des Rüstungsexports durch einen umfassenden Ansatz.

Ein erfolgversprechender Ansatzpunkt, den weltweit agierenden Rüstungsexporteuren in Industrie, Politik, Lobbyverbänden, Banken und beim Militär mit vereinten Kräften entgegenzutreten ist die im Frühjahr 2018 erfolgte Gründung des "GLOBAL NET - STOP THE ARMS TRADE" (GN-STAT) mit der Website www.gn-stat.org bislang in sechs Sprachen.

Mit dem weltweit einmaligen Netzwerk wollen die Aktivist*innen des "RüstungsInformationsBüros", der DFG-VK, des International Peace Bureaus und der IPPNW internationale Fälle des Waffenhandels auf allen Kontinenten aufdecken, das globale Geflecht der Kriegsprofiteure entlarven, den Tätern Namen und Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Und sie wollen gewaltfreie Aktionen sowie Klageverfahren gegen Rüstungsmanager, Politiker und Lobbyisten in aller Welt initiieren oder unterstützen.


Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK- BundessprecherInnenkreis und Initiator des Global Net - Stop The Arms Trade.

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Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 4 / 2019, S. 24 - 25
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Hornbergstraße 100, 70188 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
Hornbergstraße 100, 70188 Stuttgart
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Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: fünf Mal jährlich
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Einzelheft: 2,80 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2019

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