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STANDPUNKT/096: Eine Welt ohne Atomwaffen - Die bleibende Menschheitsaufgabe (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 27/28 - III+IV/2010
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Eine Welt ohne Atomwaffen
Die bleibende Menschheitsaufgabe

Von Arnold Köpcke-Duttler


Martin Luther King: Schöpferisches Widerstehen

Zu Anfang des Jahres 1967 hat Martin Luther King in seinem Buch "Where Do We Go from Here? Chaos or community?" über das große "Haus der Welt" nachgedacht, in dem alle Bewohner der Erde Nachbarn sind. Das große Haus, in dem wir leben, verlange danach, dass wir diese weltweite Nachbarschaft in eine weltweite Bruderschaft verwandeln. Gemeinsam müssten wir lernen, als Brüder zu leben, oder wir würden gemeinsam gezwungen sein, als Toren zu sterben. Wollen wir in unserem Welthaus schöpferisch leben, ist nicht nur die Armut im internationalen Bereich zu überwinden. Der von King so genannte "weltweite Krieg gegen die Armut", der Kampf gegen die "würgende Armut" muss begleitet sein von einem deutlichen Einstehen dafür, eine Alternative zu Krieg und Menschenvernichtung zu finden. Schon vor über vierzig Jahren hat der Prediger des schöpferischen Widerstehens daran erinnert, dass die Nationen ihre Arsenale von Massenvernichtungswaffen nicht verkleinern, sondern eher vergrößern. Die Vermehrung der Kernwaffen, genauer: der Instrumente der Massenvernichtung, sei trotz des begrenzten Atomstopp-Vertrages nicht zum Stillstand gekommen. Martin Luther King erschrak darüber, wie er die Führer der Nationen wieder vom Frieden sprechen hörte, während sie sich auf den Krieg vorbereiteten. Er zitterte für das Haus unserer Welt - nicht nur in furchtbarer Erinnerung an den Alpdruck der früheren Kriege, sondern auch aus der ängstigenden Erkenntnis der potenziellen nuklearen Vernichtung von heute und der noch verheerenderen Aussichten für morgen. So rief er auf zu der Einsicht, die auch heute noch praktisch einzulösen ist: "Eines Tages müssen wir einsehen, dass der Frieden nicht nur ein fernes Ziel ist, das wir erstreben, sondern ein Mittel, durch das wir zu diesem Ziel gelangen. Wir müssen friedliche Ziele durch friedliche Mittel verfolgen. Wie lange müssen wir noch Krieg führen, bis wir die traurigen Plädoyers der unzähligen Toten und Krüppel früherer Kriege betrachten?"(1) Im Wissen um die vernichtende Macht der modernen Waffen proklamierte King seinen Glauben, dass das Leben lebenswert ist und dass der Mensch das Recht hat, zu überleben; von daher müsse eine Alternative zum Krieg gefunden werden. Nach wie vor stünden wir vor der Wahl: gewaltlose Koexistenz oder gewaltsame Vernichtung Aller. Es heißt weiter, gehalten von der Sehnsucht nach dem Überleben der gesamten Menschheit: "Wir haben es mit alten Gewohnheiten und großen Machtgefügen zu tun und unbeschreiblich komplizierte Probleme zu lösen. Aber wenn wir unsere Menschlichkeit nicht ganz abdanken lassen und angesichts der Waffen, die wir selbst geschaffen haben, der Furcht und Ohnmacht erliegen, ist es ebenso möglich und ebenso dringend nötig, dem Krieg und der Gewalt zwischen den Nationen ein Ende zu machen, wie es möglich und dringend nötig ist, der Armut und Ungerechtigkeit gegen Rassen ein Ende zu machen."(2)

Nach wie vor sind wir verpflichtet, weltweite Gewaltfreiheit zu verwirklichen. Zu dieser Sehnsucht gehört das Wissen, dass der Frieden eine "lieblichere Musik, eine kosmische Melodie" (King) bedeutet, die den Disharmonien des Krieges weit überlegen ist, die das Wettrennen um die atomaren, biologischen und chemischen Vernichtungsmittel verwandelt in einen schöpferischen Wettbewerb, in einen Wettbewerb um den Bau des großen Welthauses, in dem wir alle leben können. Heute ist der Aufruf zu einer allumfassenden und bedingungslosen Liebe zu allen Menschen zu erneuern: jener Kraft, die Martin Luther King in allen großen Religionen als einigendes Lebensprinzip erkannt hat. Der Geist der Liebe überwinde den Geist des Hasses und beuge sich nicht und knie nicht nieder vor dem Altar der Vergeltung.


Albert Einstein und Bertrand Russell: Verhütung der Selbstzerstörung der Menschheit

Albert Einstein hat die erfolgreiche Anwendung der atomaren Energie zur militärischen Massenvernichtung als monumentale Bedrohung für die Zukunft der Menschheit wahrgenommen. Diese Erkenntnis drängte ihn nach dem Zeiten Weltkrieg dazu, in dem Kampf gegen die Selbstzerstörung der Menschheit eine sehr aktive Rolle zu spielen. Er kämpfte für den Pazifismus und für die Kriegsdienstverweigerung schon in den Jahren vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus und beteiligte sich später an der Anstrengung für die Abschaffung der Atomwaffen und die Errichtung einer Weltregierung. Die Idee des Friedens zwischen souveränen Nationalstaaten sei ein Phantasiegespinst. Der Atomkrieg könne nur auf eine einzige Weise verhindert werden: durch die "Ausrottung des Krieges überhaupt".(3) Einstein rief zur schöpferischen Tat auf und hielt einen "allmählichen Weg zur Sicherung des Friedens" für eine verhängnisvolle Illusion. Am 10. Dezember 1945 hat Albert Einstein bei einem Nobel-Gedenkdinner in New York eine Rede gehalten, in der er den Gewinn des Krieges deutlich unterschied von der Erlangung des Friedens: "Die Welt erfordert kühne Taten und einen radikalen Wandel unserer Mentalität und politischen Konzeptionen. Möge der Geist, der Alfred Nobel erfüllte, der Geist des Glaubens und Vertrauens, der Großzügigkeit und Menschenbrüderschaft, all jene beherrschen, deren Entscheidungen unser Schicksal bestimmen. Sonst wird unsere Zivilisation dem Untergang geweiht sein."(4) Kurz vor seinem Tod hat Albert Einstein eine von Bertrand Russell ausgearbeitete Erklärung unterschrieben. Diese von hervorragenden Wissenschaftlern in verschiedenen Teilen der Welt unterschriebene Erklärung handelt von den Gefahren eines Kernwaffenkrieges. Russell selber brachte in der Erklärung zum Ausdruck, dass in einem solchen Krieg keiner der Beteiligten auf einen Sieg rechnen könnte. Er zeigte die ernste Gefahr der "Ausrottung der Menschenrasse durch Staub und Regen radioaktiver Wolken."(5) Die einzige Hoffnung für die Menschheit sah die Erklärung in der Verhütung von Kriegen und in dem Nachdenken über die dazu erforderlichen Schritte. In dem Manifest heißt es, die Anwendung vieler Wasserstoffbomben würde den universellen Tod bringen - für eine Minderheit der Menschen den sofortigen Tod, für die Mehrheit aber langwieriges Siechtum und qualvollen Verfall. So wurde die Frage von harter und unausweichlicher Grauenhaftigkeit erneuert, ob wir die Menschheit oder den Krieg abschaffen wollen. Dabei wird einem vagen und abstrakten Begriff der "Menschheit" widersprochen. Die Menschen wollten nämlich nicht begreifen, dass sie selbst, ihre Kinder und Kindeskinder gefährdet sind - und nicht nur ferne Mitglieder einer Menschheit. Sie könnten es nicht begreifen, dass sie selbst und ihre Nächsten sich der unmittelbaren Gefahr qualvollen Todes gegenüberfänden. "Und vielleicht denken sie, man könne weiter Kriege führen, wenn nur ein Verbot der modernen Waffen erzielt werden könnte."(6) Russell - und wie er Albert Einstein - gingen über ein Verbot der modernen Vernichtungsmittel weit hinaus. Im Hinblick darauf, dass in einem künftigen Krieg Kernwaffen angewandt würden und dass diese den Fortbestand der Menschheit gefährden, ersuchten die Unterzeichner des Manifests die Regierungen der Welt, zu erkennen und öffentlich zu bekennen, dass ihre Ziele nicht durch einen Weltkrieg erreicht werden könnten. Und dass sie bereit seien, friedliche Mittel der Lösung für alle zwischen ihnen bestehenden Konflikte ausfindig zu machen. Es ging also um ein Abkommen zur Abschaffung der Kernwaffen als Teil eines allgemeinen Rüstungsabbaus.


Carl Friedrich von Weizsäcker und Mahatma Gandhi: Geschwisterlichkeit mit den Verachteten

Ergebnis einer Zusammenkunft von Nobelpreisträgern auf der Insel Mainau im Bodensee war ein weiteres Manifest, das am 15. Juli 1955, sechs Tage nach der Russell-Einstein-Erklärung veröffentlicht wurde. In diesem Mainauer Manifest der Naturforscher heißt es: "Wir leugnen nicht, dass vielleicht heute der Friede gerade durch die Furcht vor diesen tödlichen Waffen aufrecht erhalten wird. Trotzdem halten wir es für eine Selbsttäuschung, wenn Regierungen glauben sollten, sie könnten auf lange Zeit gerade durch die Angst vor diesen Waffen den Krieg vermeiden. Angst und Spannung haben so oft Krieg erzeugt. Ebenso scheint es uns eine Selbsttäuschung, zu glauben, kleinere Konflikte könnten weiterhin stets durch die traditionellen Waffen entschieden werden. In äußerster Gefahr wird keine Nation sich den Gebrauch irgendeiner Waffe versagen, die die wissenschaftliche Technik erzeugen kann.

Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören, zu existieren."(7)

Bereits im Jahr 1959 hat Carl Friedrich von Weizsäcker in den von ihm mitverfassten "Heidelberger Thesen" als Ziel der Menschheit nicht die Ausschaltung der Atomwaffen aus dem Krieg, sondern die Ausschaltung des Krieges insgesamt aufgerichtet."(8) Nicht nur dem großen Physiker und Philosophen, sondern auch Mahatma Gandhi schien im Zeitalter der Atombombe die innere Gegenstrebigkeit von Leben und Sterben übermannt zu werden durch die Logik der Vernichtung und Selbstvernichtung der Menschheit. Die Erfindung und Anwendung der thermonuklearen Mittel der Austilgung, die sich zum Zweck an sich selbst längst erhoben haben, verändern nicht allein die politische Struktur der Erde, sondern erzwingen auch eine Neubesinnung der kulturellen Aufgabe und des Selbstverständnisses der Wissenschaft."(9) Der enge Zusammenhang von neuzeitlicher Wissenschaft und Menschheitskrise ist auch Gandhi nicht unentdeckt geblieben. Gleichwohl vermochte die Atombombe nicht seinen Glauben an Wahrheit und Gewaltfreiheit zu erschüttern; vielmehr hat die Vernichtbarkeit der Menschheit insgesamt ihn gerade darin noch bestärkt, in ihnen die größte Kraft der Welt zu sehen. So heißt es in "Non-Violence in Peace and War:" "The two opposing forces are wholly different in kind, the one moral and spiritual, the other physical and material. The one is infinitely superior to the other which by its very nature has and end. The force of the spirit is ever progressive and endless."(10) Allmächtig sind demnach nicht die Atombomben, sind nicht Krieg und Kolonialismus. Allmächtig ist vielmehr Ahimsa, ist Satyagraha, der Weg der Gewaltfreiheit. Gandhis Weg der Wahrheit erneuerte und erneuert die beiden großen Künste des Lebens: ars amandi und ars moriendi. Weiß Gandhi auch, dass die Lebens- und Sterbenswelt aller Menschen von Gewalt gezeichnet bleibt, so unterliegen doch seine Experimente mit der Wahrheit nicht der Grunderfahrung eines zerstörerischen Weltgerichts. Vielmehr lebte Gandhi seine schöpferische Geschwisterlichkeit mit den Elenden und Verachteten, mit den "Verdemütigten und Beleidigten" (Friedrich Heer), mit allen Geschöpfen.(11)

In einer Universitätsstadt wie Würzburg erinnere ich an das Entsetzen eines Wissenschaftlers.

Angesichts des "Mega-Todes", der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, ereilte den Biochemiker Erwin Chargaff ein ekelerregender Schrecken über den "Nexus zwischen Wissenschaft und Mord".(12) Die diabolische Dialektik zeigt sich ihm auch in den nationalsozialistischen Ausrottungsfabriken: "la science pour tuer".(13) Chargaff fragte, ob die Menschheit gelernt habe, Einhalt zu gebieten "diesem schwindelerregenden Taumel". Er fragte weiter, ob wir das Recht haben, die "Meister des Weltalls" zu sein.

Nicht zu dieser Frage gelangte der Physiker Victor Weisskopf, der von Beginn an in Los Alamos arbeitete. Weisskopf berichtet in seiner Autobiographie von seinem Drang, an einer bedeutsamen Arbeit teilzunehmen, von seinem Gefühl des Stolzes, an einem einzigartigen, sensationellen Unternehmen mitwirken zu können. Zudem habe sieh ihm die Gelegenheit geboten, der Welt zu zeigen, wie kraftvoll, einflussreich und pragmatisch die esoterische Wissenschaft der Kernphysik sein könne. Weisskopf erwähnt den Stolz auf die Leistung der Wissenschaftler, verschweigt gleichwohl nicht die belastende Erkenntnis, dass sie die Verantwortung trügen für die Herstellung der vernichtendsten Waffe, die je ersonnen worden sei. "Wir lebten mit dem Bewusstsein, dass unsere Arbeit den Tod von mehreren hunderttausend Menschen unter grauenhaften Umständen herbeigeführt hatte - in der gewaltigen Hitze verbrannt und durch Radioaktivität getötet oder verstümmelt. Wir hatten den erhofften Frieden errungen."(14)

Der Frieden ist aber gerade nicht erreicht worden, allenfalls ein prekäres Gleichgewicht des Terrors.


Andrej Sacharow: Nukleare Abrüstung und die Überwindung des Krieges

Am 14. Dezember 1989 ist Andrej Sacharow, der Erfinder der sowjetischen Wasserstoffbombe im Jahr 1953, gestorben, Sacharow ist trotz seiner Verbannung für die notwendige Einsicht eingetreten, dass ein weltumfassender thermonuklearer Krieg zur Vernichtung der Menschheit führt, vielleicht sogar zur Vernichtung allen Lebens auf der Erde.(15) Als notwendig sah er eine vollständige nukleare Abrüstung an, wobei im Jahr 1962 sein Vorschlag angenommen wurde, ein Verbot von Atomwaffenversuchen in der Luft, unter Wasser und im Weltraum auszuarbeiten. Eine Konsequenz dieses Vorschlags war, dass im Jahr 1963 Chruschtschow und Kennedy den »Moskauer Vertrag« unterzeichneten, den sogenannten oberirdischen Atomteststopp-Vertrag. Wie der Widerstand leistende sowjetische Physiker war auch Martin Luther King davon durchdrungen, dass die Zerstörungskraft moderner Waffen die Möglichkeit ausschließt, den Krieg als ein notwendiges Übel zu sehen. Wenn wir das Leben für lebenswert halten und an das Lebensrecht jedes Menschen glauben, dann müssen wir eine Alternative zum Krieg finden.(16)

Die Anhäufung und die Weitergabe von Massenvernichtungsmitteln, deren technische Perfektionierung, der potentielle Einsatz durch terroristische Organisationen, die Anwendbarkeit aller Arten von konventionellen Waffen auch durch die Grenzen der Nationalstaaten überschreitende kriminelle Organisationen stellen ein weiteres Bedrohungspotential dar. Angesichts dieses auch von manchen Staaten ausgehenden Terrors sind bilateral abgeschlossene Verträge zwischen den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Russland mit einer Verringerung der nuklearen Sprengköpfe und Trägerraketen einerseits zu begrüßen, andererseits aber auch unzureichend. Solche bilateralen Verträge führen zu einem Nachlassen der Aufmerksamkeit für die Thematik der erdweiten nuklearen Rüstungen.(17)

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat in seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 die generelle Vereinbarkeit der Drohung mit und des Einsatzes von Atomwaffen mit dem Völkerrecht und den Regeln des menschlichen Rechts gerade nicht bestätigt.(18) Dieser Rechtsgedanke ist heute zu stärken und in die anstehenden Aktionen einzubringen.

Zu der Vorbereitung der 8. Konferenz über den Atomwaffensperrvertrag im Mai 2010 in New York hat sich nicht allein in Deutschland eine weite Koalition aus Gewerkschaften, Kirchen, Bürgermeistern, Wissenschaft, Friedenswissenschaftlern, Umweltbewegung, Künstlern und der Friedenspädagogen zusammengefunden. Diese Koalition ist mit dem Aufruf "Für eine Zukunft ohne Atomwaffen" an die Öffentlichkeit getreten. Neben der Unterschriftensammlung plant das Bündnis "Für eine Zukunft ohne Atomwaffen" große öffentliche Informationsveranstaltungen und ein Mediensymposium. Das Bündnis erinnert an jenes Damoklesschwert, das sich in dem folgenden Satz verdeutlicht: "Entweder wir schaffen die Atomwaffen ab oder diese vernichten den Planeten und die Humanität" (Russell-Einstein-Manifest).

Alle fünf Jahre treffen sich Regierungsvertreter und -vertreterinnen vieler Staaten der Erde, um die atomare Lage zu besprechen. Das vierwöchige Treffen trägt die Überschrift "Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags". In dem Nicht-Weiterverbreitungs-Vertrag (Atomwaffensperr-Vertrag; Nuclear Non-Proliferation Treaty) geht es in Art. VI um die Frage, wann und wie die Atomwaffen abgeschafft werden.(19) Bereits im Jahr 1997 haben die Staaten Costa Rica und Malaysia den Vorschlag verschiedener Friedensorganisationen wie "Pax Christi" und "International Physicians for the Prevention of Nuclear War" aufgenommen und in Form eines Modellentwurfs für eine Nuklearwaffenkonvention (Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen) als Dokument der Vereinten Nationen offiziell den Unterzeichnerstaaten zukommen lassen. Dazu kam im Jahr 2007 in dieser Richtung eine neue Anstrengung, begleitet von "International Campaign to Abolish Nuclear Weapons" (ICAN). Diese Anstrengung wird von über 200 weltweit verbreiteten Organisationen getragen. Seit dem Jahr 1995 haben sich verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen täglich bei allen Überprüfungskonferenzen und auch bei den Vorbereitungskonferenzen getroffen, um die Abschaffung der Atomwaffen bei der Konferenz voranzubringen. Diese Gruppe nennt sich "Abolition Caucus". Daraus entstand 1995 das globale Netzwerk "Abolition 2000", das alle Organisationen vernetzt, die für eine atomwaffenfreie Welt arbeiten. Auf der Jahrestagung des Netzwerks, die am 8. Mai 2010 in New York stattfinden wird, sollen weitere Strategien besprochen und Ideen ausgetauscht werden.(20)

Die Behauptungen der "International Commission on Nuclear Nonproliferation and Disarmament", Atomwaffen hätten einen Krieg zwischen den Großmächten abgeschreckt und würden das auch weiterhin tun, sie schreckten jeden größeren Angriff mit konventionellen Waffen ab, jeder größere Schritt zur Abrüstung wirke destabilisierend, unterwerfen sich dagegen der Logik der Abschreckung und beschwören, dass die Zusammengehörigkeit der Menschheit nur durch den atomaren Terror herstellbar sei. Ignoriert wird die menschenrechtliche Grunderfahrung, dass Menschen einander dann gleich sind, wenn es niemanden gibt, der Mittel in seinem Besitz hält, die es ihm erlauben, über ändere Menschen zu herrschen. Nicht erkannt wird, dass eine Gesellschaft gerecht ist, weil sie egalitär und in einem sozialen Sinn herrschaftsfrei gestaltet ist.(21) Der Unterwerfung unter das Diktat der Vergeltung ist deutlich zu widersprechen gerade auch in dem Vorfeld der Überprüfungskonferenz für den Nichtverbreitungsvertrag.


Alyn Ware: Nuklearwaffen-Konvention

Das Aufbegehren gegen die Beschränktheit politischer Macht und die Phantasielosigkeit einer Atomwaffenpolitik ruft in Erinnerung, dass 114 Staaten gegenwärtig Teil regionaler nuklearwaffenfreier Zonen sind, in denen der Besitz, die Stationierung und die Androhung der Anwendung von Atomwaffen verboten sind. Alyn Ware, Träger des alternativen Nobelpreises des Jahres 2009, ermutigt zur Einrichtung weiterer solchen Zonen in Nordostasien, der Arktis und in Zentraleuropa; Schritte dahin seien auch zu einer nuklearwaffenfreien Zone im Mittleren Osten zu gehen. Ware erinnert auch daran, dass einige Länder bereits Gesetze verabschiedet haben, mit denen Atomwaffen flächendeckend verboten und kriminalisiert werden. Solche Ermutigung soll die Vorbereitungskonferenz für eine Nuklearwaffen-Konvention durchstimmen. Während dieser Konferenz soll es um Wege zur Etablierung einer atomwaffenfreien Welt gehen, um die Zusammenarbeit zur Bildung politischer Initiativen für aktuelle Verhandlungen zu einer Nuklearwaffen-Konvention. Der Zusammenschluss der Staaten der nuklearwaffenfreien Zonen ist unbedingt zu stärken im Blick auf die anstehende Überprüfungskonferenz. So hebt Ware hervor, die Ankündigung einer Vorbereitungskonferenz für eine Nuklearwaffen-Konvention würde Aufsehen erregen und einen Bezugspunkt bilden, "an dem die Zivilgesellschaft alle Regierungen herausfordern könnte, sich dem Prozess anzuschließen und tatsächliche Arbeit zur Beendigung nuklearer Abschreckung, für das Verbot der Atomwaffen und zur Errichtung einer nuklearwaffenfreien Welt einzuleiten".(22)

Nicht allein Regierungen werden aufgefordert, sich diesem Prozess hinzuzugesellen. Wir haben die Antwort auf den Terror des Atomzeitalters zu geben und sind verantwortlich für die Stärkung des Rechts der Menschheit, auf einer Erde ohne atomare und andere Vernichtungsmittel zu leben.


Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Rechtsanwalt und Diplom-Pädagoge sowie Mitglied in der DFG-VK. Den hier veröffentlichten Text hat er als Rede bei der Ostmarsch-Kundgebung am 3. April 2010 in Würzburg gehalten.


Anmerkungen

1) Martin Luther King, schöpferischer Widerstand, Gütersloh 1980, S. 101
2) ebd. S. 102; s. Johan Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln, Opladen 1998
3) Albert Einstein, Über den Frieden. Weltordnung oder Weltuntergang?, Neu-Isenburg 2004, S. 348
4) ebd. S. 366
5) ebd. S. 627
6) ebd. S. 630
7) ebd. 664
8) Carl Friedrich von Weizsäcker, Der bedrohte Friede, München 1983, S. 97
9) s. Werner Heisenberg, Physik und Philosophie, Frankfurt/Berlin/Wien 1980, S. 159
10) Mahatma Gandhi, Non-Violence in Peace and War, Vol. II, Ahmedabad 1949, S. 94
11) Arnold Köpcke-Duttler, Wege des Friedens, Würzburg 1986, S. 44
12) Erwin Chargaff, Das Feuer des Heraklit, 2. Aufl. Stuttgart 1980, S. 14
13) León Bloy, Exégèse des Lieux communs, Paris 1902
14) Victor Weisskopf, Mein Leben, München 1991, S. 183; siehe Karl Lanius, Die ersten Atombomben.
Die Motive der beteiligten Wissenschaftler, in: Wissenschaft und Frieden, Heft 1/2010. S. 26
15) Andrej Sacharow, Den Frieden retten!, Stuttgart/Bonn 1983. S. 119
16) Martin Luther King, Der Traum vom Frieden, Gütersloh 1983, S. 32
17) Der Start-I-Vertrag (Strategic Arms Reduction Talks), der am 5. Dezember 1994 in Kraft getreten ist, soll die Zahl der nuklearen Sprengköpfe und der Trägersysteme begrenzen (Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. München 2004. S. 1155; s. USA und Russland rüsten weiter ab, in: Neue Zürcher Zeitung v. 27./28. März 2010, S. 1).
18) ICJ Report" 1996, S. 226, 242; Torsten Stein und Christian von Buttlar, Völkerrecht, 12. Aufl. München/Berlin 2009, S. 281
19) Knut Ipsen, Völkerrecht, a.a.O., S. 1148 ff; zu kernwaffenfreien Zonen ebd. S. 1146 f.
20) Xanthe Hall, Next stop: New York 2010, in: FriedensForum, Heft 2/2010, S. 25
21) Hasso Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 2. Aufl. Darmstadt 2003, S. 205
22) Alyn Ware, Weg zur nuklearen Abrüstung. Von der Vision zur Realität, in: Wissenschaft und Frieden, Heft 1/2010, S. 5


*


Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 27/28 - III+IV/2010, S. 38 - 42
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2011