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BERICHT/296: Warum und wie gewaltfreie Kampagnen funktionieren (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 34/35/36 - 2.-4. Quartal 2012
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Warum und wie gewaltfreie Kampagnen funktionieren
Die erstaunlichen Erkenntnisse einer Studie von Erica Chenoweth und Maria J. Stephan

Von Stefan Maaß



Der "Arabische Frühling" und besonders die gewaltfreien Regimewechsel in Tunesien und Ägypten waren für viele eine Überraschung. War es Zufall, dass sie gewaltfrei waren oder gab es eine effektive Strategie, die zu diesen Umbrüchen führte?

Die Hoffnung auf eine gewaltfreie Kettenreaktion erhielt mit dem bewaffneten Kampf einen deutlichen Dämpfer. Aus Libyen erreichten uns täglich neue Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch den Regimeführer Muammar al-Gaddafi. Der Ruf nach einem militärischen Eingreifen wurde lauter, in dessen Zusammenhang von "Schutzverantwortung" und der "Ultima ratio" gesprochen wurde. Damit ist ein militärisches Eingreifen zum Schutz der Zivilbevölkerung gemeint. Schließlich beschloss die Nato, die einheimischen Rebellen militärisch zu unterstützen. Auch wenn sich Deutschland der Stimme enthielt, wäre ein deutscher Militäreinsatz vermutlich von vielen Bürgern gebilligt worden.

Dass militärisches Eingreifen bei schweren Menschenrechtsverletzungen manchmal notwendig sei, dieser Ansicht war bis vor einigen Jahren auch Erica Chenoweth, eine anerkannte Expertin den Terrorismus betreffenden Fragen an der Wesleyan University in Middleton, USA. Mit dem Thema "Gewaltfreiheit" befasste sie sich zum ersten Mal in einem Workshop des International Center on Nonviolent Conflict. Dort wurde sie mit dem Forschungsstand über gewaltfreien Widerstand konfrontiert, nach dem gewaltfreie Aktionen nicht nur erfolgreich, sondern auch erfolgreicher als gewalttätiger Widerstand sein können.

Ihre gemeinsam mit der Wissenschaftlerin Maria J. Stephan 2011 in den USA (New York) erschienene Studie "Why civil resistance works. The strategic logic of conflict" belegt, dass gewaltfreie Aufstände effektiver sind, dass sie von einem größeren Teil der Bevölkerung getragen werden und durch sie weniger Tote und Verletzte zu beklagen sind und weniger Zerstörungen zur Folge haben.

Hier sollen die Ergebnisse der noch nicht auf Deutsch erschienenen Studie vorgestellt werden.


Warum gewaltfreie Kampagnen erfolgreicher sind als bewaffnete Kämpfe

Die beiden Autorinnen untersuchten Aufstände und Revolutionen zwischen 1900 und 2006 - insgesamt 323 Fälle, davon waren 105 gewaltfrei und 218 bewaffnet. Dabei zeigte es sich, dass die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs oder Teilerfolgs bei gewaltfreien Widerstandskampagnen nahezu zweimal so groß ist wie bei einem gewaltsamen, bewaffneten Aufstand.

Wann kann man von einem Erfolg sprechen? Erfolgreich ist eine Kampagne, wenn sie ihre Ziele zu 100 Prozent innerhalb eines Jahres erreicht hat, nachdem ihre Aktivitäten den Höhepunkt erreicht hatten. Erreicht die Kampagne nicht alle Ziele, aber gibt es z.B. Reformen, so wird sie als Teilerfolg gewertet.

Zwischen 2000 und 2006 war der Unterschied zwischen gewaltfreier Kampagne und bewaffnetem Kampf noch größer. Die Erfolgsquote von gewaltfreien Revolutionen lag in diesem Zeitraum bei 70 Prozent und war im Vergleich zu bewaffneten Kampagnen (ca. 15 Prozent) fast fünf mal größer. Im Untersuchungszeitraum zwischen 2000 und 2006 hat die Häufigkeit von gewaltfreien Aufständen sogar zugenommen und auch ihre Erfolgsquote hat sich erhöht. Die Zahl bewaffneter Revolutionen blieb konstant, aber ihre Erfolgsquote sank.

Die Autorinnen wählten für ihre Untersuchung den Begriff "Kampagne". Sie verstehen darunter eine Reihe von beobachtbaren, fortwährenden und zielgerichteten Massentaktiken oder Veranstaltungen mit der Absicht, ein politisches Ziel zu erreichen. Eine Kampagne kann mehrere Tage bis zu mehreren Jahren dauern. Es geht also nicht um eine einzelne gewaltfreie oder bewaffnete Aktion, sondern um eine Abfolge von aufeinander abgestimmten Aktionen mit einem klar definierten Ziel. Wenn eine Kampagne sich hauptsächlich auf den bewaffneten Kampf verließ, dann wurde sie als bewaffnet eingeordnet, wenn sie sich hauptsächlich auf gewaltfreie Methoden verließ, als gewaltfrei.

Die Wissenschaftlerinnen unterscheiden drei Ziele von Kampagnen:

1. Aufstand gegen ein Regime: Das Ziel ist ein Regimewechsel.

2. Besatzungs- oder Unabhängigkeitskampf: Das Ziel ist die Vertreibung der Besatzer bzw. die Unabhängigkeit.

3. Sezessionskämpfe: Das Ziel ist die Abspaltung eines Teilgebiets von einem Land.

Bei 1. und 2. erweisen sich die gewaltfreien Aufstände erfolgreicher als die bewaffneten Kämpfe. Bei 3. waren weder die gewaltfreien Kampagnen noch die gewalttätigen erfolgreich.

"Gewaltfreie Kampagnen haben die Tendenz in allen Regionen der Welt erfolgreicher zu sein als bewaffnete Kämpfe." Am erfolgreichsten waren sie in der früheren Sowjetunion und Amerika, doch auch im Nahen Osten, Afrika und Europa sind die Unterschiede deutlich. Lediglich in Asien ist der Unterschied zwischen den erfolgreichen gewaltfreien und den erfolgreichen bewaffneten Kämpfen nicht sehr groß. Gewaltfreie Kampagnen sind nicht nur erfolgreicher, sondern ihr Erfolg ist auch unabhängig davon, ob das Regime autoritär, mächtig oder schwach ist.


Gründe und Bedingungen für erfolgreiche gewaltfreie Kampagnen

Chenoweth und Stephan haben nicht nur festgestellt, dass gewaltfreie Kampagnen erfolgreicher sind, sie haben auch entscheidende Gründe und Bedingungen für einen Erfolg analysiert. Sie veranschaulichen diese Bedingungen an vier Fallbeispielen: Iran (1977-1979), die erste palästinensische Intifada (1987-1992), das Philippine People Power Movement (1983-1986) und der Aufstand in Burma (1988-1990).

Gewaltfreie Kampagnen sind erfolgreich, wenn es ihnen gelingt eine große Anzahl von Menschen in der Bevölkerung anzusprechen. Diese sollten aus sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen bestehen und in der Lage sein, mit unterschiedlichen Methoden Widerstand zu leisten und mögliche Repressionen des Systems auszuhalten. Gewalt und insbesondere ein bewaffneter Kampf behindern vielmehr den Erfolg, da die Teilnehmenden auf Distanz zu den Kampagnenführenden gehen und auch Repressionen zunehmen und massiver werden.

Die Fähigkeit, die Massen zu mobilisieren
Die Autorinnen sehen in der massenhaften Beteiligung den entscheidenden Faktor für das Ergebnis der Kampagne. Eine große Zahl von Mitwirkenden verstärkt die Widerstandskraft und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Neuerungen. Breit angelegte Aktionen können die Kosten für das Regime erhöhen, den Status Quo zu erhalten. Außerdem können auch Unterstützer des Regimes wie z.B. Sicherheitskräfte besser erreicht und überzeugt werden. Im Durchschnitt werden 200.000 Teilnehmende bei gewaltfreien Kampagnen gezählt. Das sind ungefähr 150.000 mehr als bei bewaffneten Kampagnen. Ein Regime kann laut Chenoweth bei einer Bevölkerungsbeteiligung von 10 Prozent seine Macht kaum noch halten. Selbst bei fünf Prozent der Bevölkerung wird es das Regime schwer haben.

Chenoweth und Stephan konnten die Beteiligung bei immerhin 259 der 323 Kampagnen auswerten. Dass 20 von den 25 größten Kampagnen gewaltfrei waren, scheint ihre These zu bestätigen. Von diesen 20 gewaltfreien Kampagnen waren 14 erfolgreich (70 Prozent), von den fünf bewaffneten waren es lediglich zwei (40 Prozent). Je mehr Menschen sich am Protest am Widerstand beteiligen, umso größer also ist die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs. Doch weshalb haben gewaltfreie Kampagnen mehr Teilnehmende?

Physische Hindernisse
Gewaltfreie Kampagnen bieten mehr Möglichkeiten als gewalttätige Kampagnen, sich zu beteiligen, und sie bieten neben hochriskanten Aktivitäten (z.B. Demonstrationen, da es hier zu einer Konfrontation mit der Staatsmacht kommt) auch andere Beteiligungsmöglichkeiten mit geringerem Risiko (z.B. Streik oder Boykott). Gewaltfreie Kampagnen sind darüber hinaus offener für Frauen und für ältere Menschen. Diese beiden Gruppen können sich dort stärker einbringen als in bewaffnete Kampagnen.

Die aktive Beteiligung an einer bewaffneten Kampagne erfordert bestimmte physische Fähigkeiten wie Beweglichkeit und Ausdauer, die Bereitschaft zur praktischen Übung und die Fähigkeit, mit Waffen umzugehen und diese zu benutzen. Zusätzlich wird eine psychische Stabilität verlangt, da eine solche Kampagnenaktivität oftmals mit gesellschaftlicher Isolierung einhergeht. Während bestimmte Fähigkeiten einschließlich der Ausdauer, der Bereitschaft, Opfer zu bringen und Zeit für Übungen zu investieren, ebenso auf die Teilnehmenden an gewaltfreien Widerstand übertragen werden können, spricht die typische Guerillaherrschaft nur einen kleinen Teil der Bevölkerung an.

Probleme der Verbindlichkeit / moralische Hindernisse
Gewaltfreie Kampagnen bieten den Menschen verschiedene Möglichkeiten zur Beteiligung, die sich in ihrer Verbindlichkeit und Risiken unterscheiden. Bewaffnete Kampagnen müssen sich viel stärker auf ihre Teilnehmenden verlassen. Bei bewaffneten Kampagnen kommt die Hürde des Tötens hinzu. Studien mit Soldaten zeigen, dass viele Menschen eine Tötungshemmung haben. Deshalb müssten Menschen trainiert werden, diese Hürde zu überwinden. In einem bewaffneten Kampf müssen sich die Anführer darauf verlassen können, dass ihre Milizen zum Töten bereit sind. Da die Aktivitäten ein sehr hohes Risiko mit sich bringen, werden die Teilnehmenden automatisch geprüft, ob sie verlässlich sind. In gewaltfreien Kampagnen entfällt eine solche Art von Prüfung, da es weniger riskante Aktionsmöglichkeiten gibt.

Informatorische Hindernisse
Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die meisten Menschen eher an Protesten beteiligen, wenn sie erwarten, dass viele andere daran teilnehmen. Für bewaffnete Kampagnen stellt dies ein Problem dar, da sie in der Regel im Untergrund aktiv sind. Gewaltfreie Kampagnen arbeiten weniger im Untergrund, sie sind daher besser wahrzunehmen. Ein weiterer Faktor für die Teilnahme ist der der "Festival-Atmosphäre". So kann es bei Demonstrationsveranstaltungen Konzerte, Straßentheater, Kabarett und Satire gehen. Diese Angebote sprechen besonders auch junge Menschen an. Bei einem bewaffneten Kampf sind solche Veranstaltungen unmöglich.

Heterogenität
Die Zahl der Teilnehmenden ist nicht allein ausschlaggebend für den Erfolg. Die Akteure müssen sich aus vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammensetzen, damit eine gewaltfreie Kampagne erfolgreich ist. Wie bereits erwähnt sind die Schranken zur Beteiligung an gewaltfreien Kampagnen niedriger als an bewaffneten Kämpfen. Dadurch kann ein breiteres Bevölkerungsspektrum angesprochen und mobilisiert werden. Da es sich dabei um Gruppen handelt, die vorher nicht unbedingt Kontakt miteinander hatten, liegt hierin bereits eine besondere Herausforderung. "Je verschiedenartiger die Teilnahme am Widerstand ist - im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Religion, Volkszugehörigkeit, Ideologie, Beruf und sozioökonomischen Status -, desto schwieriger ist es für den Gegner, Teilnehmende zu isolieren." Es fällt einem Regime in solch einer Situation schwerer, Repressionen anzuwenden und durchzusetzen.

Regierungstreuen Sicherheitstruppen fällt es im Allgemeinen auch schwerer, auf eine gewaltfreie Widerstandsbewegung bestehend aus der eigenen Zivilbevölkerung zu schießen. Dies war wohl auch ein Grund, weshalb es am 9. Oktober 1989, als sich in Leipzig 70.000 Menschen den bewaffneten Sicherheitskräften entgegengestellt hatten, nicht zu einem Blutvergießen kam. Dieser Tag wird von vielen als wichtiger Tag der friedlichen Revolution gewertet.

Flexibilität
Die gewaltfreie Kampagne wird effektiver, wenn sie zwischen verschiedenen Taktiken und Methoden variiert. Die Autorinnen betonen besonders die Methoden der Konzentration und der Dispersion. Bei Methoden der Konzentration engagieren sich viele Menschen an einem zentralen Ort für ein gemeinsames politisches Ziel (z.B. Demonstrationen). Die Methoden der Dispersion finden an verschiedenen Orten statt und folgen eher dem Prinzip der Nichtkooperation (z.B. Boykott, Streik).

Der Wechsel zwischen den Methoden macht es einem bestehenden Regime schwerer, ein System von Repressionen aufrechtzuerhalten. Die iranische Revolution gegen die Schah-Regierung verdeutlicht beispielsweise die Wirkung insbesondere der dispersiven Methoden. Iranische Arbeiter in den Ölraffinerien traten in einen Streik, der die Regierung unter Druck setzte. Die Streikenden wurden daraufhin von Soldaten gezwungen zu arbeiten. Die Arbeiter verrichteten ihren Dienst allerdings viel langsamer als gewöhnlich. Das wirtschaftlich von der Ölproduktion abhängige Regime wurde geschwächt, und gleichzeitig stiegen die Kosten zur Machtkonsolidierung.

Hilfreich ist die Fähigkeit zur Innovation. Wenn sich das bestehende System auf eine Taktik eingestellt hat, kann es von Vorteil sein, wenn die Kampagne schnell eine neue Taktik entwickelt. Dies trifft sowohl auf gewaltfreie als auch auf bewaffnete Kampagnen zu. Allerdings haben gewaltfreie Kampagnen aufgrund ihrer vielfältigeren und größeren Teilnehmendenzahl mehr Möglichkeiten, eine solche Veränderung zu vollziehen und somit den Druck auf das Regime aufrecht zu erhalten.

Vorteile von gewaltfreien Kampagnen
Ein Hauptargument aus der vorliegenden Studie für gewaltfreie Kampagnen ist die größere Wahrscheinlichkeit auf einen Erfolg. Es lassen sich aber noch einige weitere Vorteile nennen.

Bei gewaltfreien Kampagnen gibt es weniger Tote, Verletzte und traumatisierte Menschen. Der Vergleich zwischen einigen Ländern, in denen es im Jahr 2011 zu einem Regimewechsel gekommen ist, stützt diese These: Der gewalttätige Aufstand in Libyen (30.000 bis 50.000 Tote), der gewaltfreie Aufstand in Tunesien (221 Tote) und der gewaltfreie Aufstand in Ägypten (875 Tote).

Höhere Wahrscheinlichkeit für eine Demokratie nach dem Konflikt
In ihrer Studie fanden die Wissenschaftlerinnen heraus, dass bei erfolgreichen Kampagnen die Wahrscheinlichkeit für die Durchsetzung einer Demokratie innerhalb von fünf Jahren nach der Revolution bei gewaltfreien Kampagnen wesentlich größer ist, als bei bewaffneten Aufständen.

Ein Grund dafür ist die stärkere Einbindung der Bevölkerung durch eine gewaltfreie Revolution, außerdem produziert diese weniger Zerstörungen und schafft weniger Anlässe für Traumatisierungen. Doch selbst gescheiterte gewaltfreie Kampagnen tragen nach Chenoweth und Stephan anders als bewaffnete Aufstände zu demokratischen Veränderungen bei.

Geringere Wahrscheinlichkeit für einen anschließenden Bürgerkrieg
Auch bei einer noch längeren zeitlichen Perspektive erweisen sich gewaltfreie Kampagnen als nachhaltiger im Vergleich zu bewaffneten Aufständen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es erneut zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommt, ist bei bewaffneten Kämpfen wesentlich höher als bei gewaltfreien. Fast jeder zweite erfolgreiche bewaffnete Kampf ruft innerhalb von 10 Jahren einen erneuten bewaffneten Kampf hervor.

Schließlich soll noch ein letzter Vorzug von gewaltfreien Kampagnen genannt werden, der im Widerspruch zu gängigen Vorstellungen über gewaltfreie Aktivitäten steht: Die durchschnittliche Dauer eines bewaffneten Aufstandes beträgt neun Jahre. Im Gegensatz dazu dauert eine gewaltfreie Kampagne durchschnittlich drei Jahre.


Schluss

Die Studie hat auch die Frage nach dem Sinn von ausländischer Unterstützung gestellt und ist dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: Bei bewaffneten Kämpfen kann externe Hilfe in Form von Waffenlieferungen und Geld die Erfolgswahrscheinlichkeit steigern. In einigen Fällen kam es daraufhin zu einer verstärkten Beteiligung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen am Widerstand. Allerdings gab es in keinem dieser Länder zum Untersuchungszeitpunkt (2006) zu demokratischen Verhältnissen. Nach den Kämpfen herrschte sogar eine Situation im Land, die noch repressiver war als vorher. Selbst wenn es nach einem bewaffneten Kampf mit Hilfe einer Massenbeteiligung der Bevölkerung zu einer Demokratie kam, versuchte die neue Regierung sehr schnell, ihre Macht auf undemokratischem Weg zu konsolidieren und die Möglichkeit der Massenmobilisierung zu unterbinden.

Da die bewaffneten Kämpfer einheimische Unterstützer nicht gut mobilisieren können, sind sie auf externe Unterstützer angewiesen. Damit wird auch versucht, den Mangel an Teilnehmenden zu kompensieren. Gewaltfreie Revolutionen bauen auf die Bevölkerung und die Institutionen, die sie versuchen zu überzeugen, d.h. sie bereiten auf diese Weise der Demokratie den Weg.

Externen Akteuren (UNO, EU usw.) wird daher empfohlen, gewaltfreie lokale Gruppen zu unterstützen und ihnen die Koordination von Aktionen vor Ort zu überlassen. Eine externe Unterstützung kann auf der anderen Seite die Entschlossenheit der Oppositionsbewegung mindern, wenn die Frage nach dem Interesse der eingreifenden Länder auftaucht. Gewaltfreie Bewegungen könnten besser unterstützt werden, indem Trainings von gewaltfreien Aktionen angeboten werden oder Teilnehmende der gewaltfreien Kampagne die Möglichkeit haben, sich mit gleichgesinnten Akteuren aus anderen Ländern auszutauschen.

Dies sollte am besten von NGOs organisiert werden. Selbstverständlich wirkt eine internationale Wahrnehmung der Situation von offizieller politischer Seite und ein formulierter Zuspruch für die beteiligte Opposition ebenfalls ermutigend.

Es gibt keine 100-Prozent-Strategie, wie ein diktatorisches Regime gestürzt werden kann. Es wird immer wieder Fälle gehen, in denen gewaltfreie Revolutionen scheitern. Doch die Ergebnisse der Studie ermutigt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, in denen Gewalt ohne Anwendung von Gewalt beendet werden kann.

Abschließend möchte ich ein Zitat von Chenoweth und Stephan anführen, das an Zweifel anknüpft: "Aufständische, die behaupten, dass bewaffneter Widerstand notwendig ist, liegen wahrscheinlich immer falsch. In der Tat vermuten wir, dass viele Gruppen, die die Gewalt als letzte Zuflucht beanspruchen, möglicherweise niemals strategische gewaltfreie Aktionen angewendet haben, weil sie sie von vornherein, als zu schwierig beurteilten." Auch wenn gewaltfreie Kampagnen nicht einfach umzusetzen sind, sollten uns diese Schwierigkeiten nicht daran hindern, diesen Weg zu gehen.


Stefan Maaß ist Religionspädagoge und Mitarbeiter der Arbeitstelle Frieden der Evang. Landeskirche in Baden. Die hier vorgestellte Studie von Erica Chenoweth und Maria J. Stephan ist 2011 unter dem Titel Why civil resistance works. The strategic logic of nonviolent conflict an der Columbia-Universität in New York veröffentlicht worden.

*

Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis der
Gewaltfreiheit
Nr. 34/35/36 - 2.-4. Quartal 2012, S. 35 - 38
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen)
mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK,
Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für Pazifismus,
Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2013