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BERICHT/293: Antirekrutierung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2013
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Antirekrutierung

Von Stefan Philipp



Seit Mitte 2011 ist die Wehrpflicht ausgesetzt. Die Bundeswehr hat damit ihr zentrales Rekrutierungsmittel verloren. Früher nahm sie mit dem Militärdienstzwang einen Teil der männlichen Bevölkerung praktisch in Haft. Damit verband sie die sichere Erwartung, dass ein ausreichender Teil der gezwungenen Soldaten sich bereit erklären würde, bei besserer Bezahlung und mehr Streifen auf den Schulterstücken freiwillig länger zu bleiben. Diese Zeiten sind vorbei und die Bundeswehr ist zur reinen Profi-Armee geworden.

Nach Angaben des Kriegsministeriums sollen der Bundeswehr bis zu 185.000 SoldatInnen angehören, davon bis zu 170.000 Zeit- und BerufssoldatInnen und bis zu 15.000 Freiwillig Wehrdienstleistende. BerufssoldatInnen bleiben während ihres ganzen beruflichen Lebens beim Militär, ZeitsoldatInnen wechseln nach dem Ende ihrer mindestens zweijährigen Verpflichtungsdauer wieder ins zivile Leben. Die Freiwillig Wehrdienstleistenden, die FWDL, leisten zwischen 7 und 23 Monate Dienst mit der Besonderheit, dass die ersten sechs Monate als Probezeit gelten. In dieser Zeit können die "Schnupper-SoldatInnen" jederzeit kündigen. Nach Ministeriumsangaben beträgt "die Abbrecherquote im Durchschnitt 27 Prozent."

Auf den ersten Blick mag diese Zahl erfreulich hoch erscheinen. Jeder normale Arbeitgeber würde sich ernsthaft Gedanken darüber machen müssen, was in seinem Betrieb faul ist, wenn fast jeder dritte neue Mitarbeiter bereits nach wenigen Monaten wieder kündigt. Nicht so beim Militär, vielleicht sogar im Gegenteil: Wer über die Probezeit hinaus bleibt, der weiß, worauf er sich einlässt. Die Bundeswehr spricht sogar von "hoch motivierten Männern und Frauen", die "sich bewusst für den Dienst in den Streitkräften entschieden" haben und "damit Deutschland dienen".

Und: Wer sich für mehr als 11 Monate verpflichtet, erklärt sich damit einverstanden "an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilnehmen zu wollen." Diese Auslandseinsätze machen es für die FWDL finanziell erst interessant. Ihr normaler Sold steigt von 777 Euro im ersten Monat kontinuierlich bis auf knapp 1.150 Euro; Unterkunft, Verpflegung und "ärztliche Vollversorgung" erhalten sie umsonst und beim Ausscheiden aus dem Dienst bekommen sie 77 Euro für jeden geleisteten Dienstmonat als Entlassungsgeld. Bei Auslandseinsätzen kommt ein steuerfreier Zuschlag hinzu, für Afghanistan jeden Tag 92 Euro.

Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen das Militär auf Rekrutenfang geht. Insgesamt dürfte dieses Geschäft für sie in Zukunft nicht leichter werden: Mehr Auslands- und Kriegseinsätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit "gefallener" deutscher Soldaten, und selbst die salbungsvollsten PolitikerInnenworte bei "feierlichen Begräbnissen" werden nicht die Bereitschaft steigern, den eigenen Kopf für Ziele hinzuhalten, die in der Bevölkerung mehrheitlich nicht als sinnhaft erscheinen. Gleichzeitig verbessert sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt so, dass es für junge Menschen wieder etwas leichter wird, einen zivilen, heimatnahen und besser bezahlten Arbeitsplatz zu erhalten. Deshalb geht die Bundeswehr auf Messen landauf landab, in Schulen und Arbeitsagenturen - sie muss mit zivilen Arbeitgebern konkurrieren, Deswegen spricht sie dort weniger vom "Dienst am Vaterland", Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, sondern von "Karriere mit Zukunft".

Der personelle und finanzielle Aufwand für den Reklame-Feldzug der Bundeswehr ist immens. Quantitativ kann die DFG-VK dem nichts entgegensetzen. Aber oft reichen ja schon drei, vier, fünf Aktive aus, sich mit einem antimilitaristischen Banner vor den Messestand des Militärs zu stellen und einen Flyer zu verteilen. Qualitativ haben wir die besseren Argumente. Allerdings: Jobs können wir nicht bieten, sondern lediglich die Moral, dass das Kriegshandwerk ein tödliches und eben kein Job wie jeder andere ist.

Und wir sollten uns bei unserem Engagement unter dem Stichwort Antirekrutierung an unsere Erfahrungen mit der KDV-Arbeit erinnern. Unsere Agitation für KDV und die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern hat nicht dazu geführt, dass niemand mehr zum Militär gegangen wäre. Wer geglaubt hatte, mit der KDV wäre es möglich gewesen, der Bundeswehr die personelle Basis zu entziehen, der hätte sich einer Illusion hingegeben - im Zweifel wäre das KDV-Verfahren so verschärft worden, dass die Anerkennungszahlen nach unten gegangen wären. Aber die Auseinandersetzung mit dem Militärdienstzwang hat bei vielen dazu geführt, dass sie einen Standpunkt gegen Militär, Gewalt und Krieg entwickelt haben, die herrschenden Sicherheitsideologien in Frage gestellt haben, aktiv geworden sind. Ein Ergebnis davon sind der auch heute weit verbreitete Zweifel an den Begründungen für die Kriegseinsätze der Bundeswehr. So macht Antirekrutierungsarbeit Sinn: diesen Zweifel vertiefen, verbreitern, verankern. Und den Einen oder die Andere vor der "Mords-Karriere bei der Bundeswehr" bewahren.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2013, S. 4-5
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Am Angelweiher 6, 77974 Meißenheim
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2013