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BERICHT/287: André Shepherd - "Uneingeschränkte Solidarität mit US-Krieg"? (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2011
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Uneingeschränkte Solidarität mit US-Krieg"?
US-Deserteur André Shepherd klagt gegen die Ablehnung seines Asyl-Antrags

Von Rudi Friedrich


Am 31. März lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des US-Deserteurs André Shepherd ab. Für diese Entscheidung hatte sich das Bundesamt fast zweieinhalb Jahre Zeit gelassen. In der 25-seitigen Begründung der Ablehnung wird angeführt, dass André Shepherd nicht nachweisen könne, dass er sich bei einem erneuten Einsatz als Mechaniker für die Apache-Hubschrauber an völkerrechtswidrigen Aktionen oder einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligt hätte. Wenige Tage später reichte er Klage gegen den ablehnenden Bescheid ein. Nun wird das Verfahren weiter vor den Gerichten ausgetragen.


"Ich musste raus aus dem Militär"

Der jetzt 33-jährige André Shepherd ging 2004 zur US-Armee und war nach seiner Ausbildung sechs Monate als Mechaniker für den Apache-Hubschrauber im Irak eingesetzt. Nachdem er zurück zu seiner Einheit nach Katterbach (Bayern) kam, setzte er sich intensiv damit auseinander, wie das US-Militär im Irak gegen die Zivilbevölkerung vorgeht. "Schließlich wusste ich", so Shepherd, "wenn ich noch einmal in den Irak gehe, werde ich für den Tod und das Elend Anderer verantwortlich sein. Für mich war daher der Weg eindeutig: Ich musste raus aus dem Militär." Er desertierte im April 2007 und tauchte unter.

Da André Shepherd in den USA Strafverfolgung und lange Haft wegen Desertion droht, beantragte er am 26. November 2008 Asyl in Deutschland und berief sich dabei auf die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union, die seit Oktober 2006 in Kraft ist. Nach ihr sollen jene Asyl erhalten, die sich einem völkerrechtswidrigen Krieg oder völkerrechtswidrigen Handlungen entziehen und mit Verfolgung rechnen müssen.

Sein Fall ist äußert gut dokumentiert. André Shepherd konnte nicht nur darlegen, dass ihm die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung in der US-Armee verwehrt ist, da er nicht grundsätzlich jeden Krieg ablehnt. Er stellte auch ausführlich dar, wie er immer wieder versuchte, sich einem erneuten Einsatz im Irak zu entziehen, bis er praktisch den Marschbefehl in den Irak in den Händen hielt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Juni 2005 in einem Urteil zu Major Pfaff deutlich gemacht, dass es "gravierende rechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht" beim Einsatz im Irak hat. Und ein im April 2010 in Wikileaks veröffentlichtes Video zeigte, wie Apache-Hubschrauber eine Gruppe von Zivilisten angreift und diese ermordet - ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Die Einsätze der Apache-Hubschrauber, die André Shepherd gewartet hat, unterliegen der Geheimhaltung, wie er auch gegenüber dem Bundesamt betonte. Er hatte von den Piloten nie erfahren, was sie tatsächlich gemacht hatten.


Zur Entscheidung des Bundesamtes

All das hielt das Bundesamt nicht für stichhaltig genug und kam zu dem Schluss: "Ob die von ihm betreuten Hubschrauber und ihre Besatzungen aber tatsächlich an konkreten (völker-)rechtswidrigen Handlungen beteiligt waren, ist weder ausreichend dargestellt worden, noch sonstwie konkret feststellbar. Den Angaben des Antragstellers zufolge war es ihm selbst auch während seines ersten Irak-Einsatzes nicht möglich, Einzelheiten zu den Einsätzen der von ihm bzw. seiner Einheit gewarteten Hubschrauber in Erfahrung zu bringen. Entsprechend stellen sich die Erwägungen des Antragstellers zur möglichen Beteiligung, seiner Hubschrauber an etwaigen Rechtsverstößen und Kriegsverbrechen allenfalls als Vermutungen oder hypothetische Möglichkeit dar."

In einer Pressekonferenz wenige Tage nach der Entscheidung des Bundesamtes stellte Bernd Mesovic von Pro Asyl dar, warum das Bundesamt hier unzulässige Kriterien anwendet: "Hiermit wird dem Antragsteller praktisch aufgebürdet, konkrete Beweise vorzulegen. Das ist absolut inakzeptabel für ein Asylverfahren, in dem es gerade darauf nicht ankommt. Das Bundesverwaltungsgericht hat deutlich darauf verwiesen, dass die Glaubhaftmachung völlig ausreichen muss. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist die Frage, wie heute Deserteure geschützt werden, die an völkerrechtswidrigen Handlungen nicht mitwirken wollen, von eminenter Bedeutung."

Das Bundesamt für Migration ist eine weisungsgebundene Behörde. Das bedeutet in der Tat, dass die Entscheidung über einzelne Fälle aufgrund von Richtlinien getroffen wird, die das Innenministerium vorgibt. Bei einem politisch derart wichtigen Fall wie dem von André Shepherd ist deshalb davon auszugehen, dass die Entscheidung im Innenministerium selbst gefallen ist. Und ganz offensichtlich lag dort die Intention zugrunde, nicht nur jeden Konflikt mit den USA zu vermeiden, sondern die Kriegführung im Irak auch zu legitimieren. Im Bescheid heißt es dazu: "Eine konkrete Gefahr, an Straftaten teilnehmen zu müssen, hätte für den Antragsteller bei Fortsetzung seines Dienstes auch deshalb nicht bestanden, weil die amerikanischen Streitkräfte Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht nicht tolerieren und schon gar nicht fördern. Die Vereinigten Staaten sind als Signatarstaat der grundlegenden Vereinbarungen des humanitären Völkerrechts an die Prinzipien des humanitären Völkerrechts gebunden und sowohl die amerikanischen Streitkräfte insgesamt, wie auch die einzelnen Militärangehörigen aller Ebenen sind durch entsprechende Gesetze, Vorschriften und Dienstanweisungen zur Beachtung dieser Regeln verpflichtet. () Im Übrigen war der Einsatz der Koalitionsstreitkräfte bereits während des ersten Aufenthalts des Antragstellers im Irak völkerrechtlich legitimiert."


Vorrang des EU-Rechts

Kriegsdienstverweigerung und Desertion gelten im allgemeinen nicht als Asylgrund. So wurden in der Vergangenheit immer wieder Verweigerer in den Asylverfahren abgelehnt und auch abgeschoben - und damit den Kriegsherren zur Strafverfolgung und erneuter Rekrutierung ausgeliefert. Höchstrichterlich wurde festgehalten, dass das Grundrecht auf KDV nach Artikel 4 Absatz 3 nur für Deutsche gilt. Erst bei zusätzlichen Strafen oder besonders hohen Strafen konnte ein Flüchtlingsschutz in Frage kommen.

Dieser Grundsatz wurde tatsächlich durch die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union verändert. Sie berührt auch die Frage der Asylgewährung von Kriegsdienstverweigerern. In der Richtlinie werden die Möglichkeiten definiert, wann Personen in der Europäischen Union als Flüchtling anerkannt werden sollen. Danach kann als Verfolgung gelten: "e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen", also ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke umfassen.

Das bedeutet zum einen: Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, die in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung befürchten müssen, weil es dort kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, müssen weiterhin mit einer Ablehnung in den Asylverfahren rechnen. Für diese Gruppe ist keine Verbesserung erkennbar.

Allerdings bietet die Richtlinie Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, die sich völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen entziehen und daher verfolgt werden, die Möglichkeit des Flüchtlingsschutzes an. Sie müssen asylrechtlichen Schutz erhalten. Zu denken wäre dabei zum Beispiel an israelische Verweigerer, die nicht in den besetzten Gebieten dienen wollen oder eben an Verweigerer des Irakkrieges.

Insofern ist die Argumentation des Bundesamtes recht durchsichtig. Es stellt den Versuch dar, wie André Shepherds Rechtsanwalt darlegte, "mit einer europarechtswidrigen Auslegung der EU-Qualifikationsrichtlinie den in der Richtlinie vorgesehenen Schutz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer zunichte zu machen. Dahinter steht offenbar die Absicht der Bundesregierung, deutsche Rechtsgrundsätze vor das Europarecht zu stellen."


Wie geht es weiter?

Zunächst hat André Shepherd gegen die Entscheidung des Bundesamtes Klage erhoben. Diese wird vor dem Verwaltungsgericht in München verhandelt werden. Da viele europarechtliche Fragen zur Verhandlung stehen, könnte das Gericht direkt den Europäischen Gerichtshof zur Klärung dieser Fragen anrufen. Ansonsten wird das Verfahren voraussichtlich durch die weiteren Instanzen laufen.

Wichtig ist auch, festzuhalten: André Shepherd droht keine Abschiebung. Zum einen ist er weiter durch das laufende Asylverfahren vor einer Abschiebung geschützt. Zum anderen hat er durch die Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen einen zusätzlichen Abschiebeschutz. So mancher fragt uns angesichts dessen, ob damit nicht das Asylverfahren überflüssig ist.

Es gibt jedoch drei wichtige Gründe, hier weiterzumachen:

1. André Shepherd ist nicht nur der erste US-Deserteur des Irakkrieges, der in hier Asyl beantragt. Er ist auch der erste, der sich auf die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union beruft. Es ist ein Präzedenzfall, der auch für die Zukunft große Bedeutung haben kann.

2. Alle Aufenthaltstitel sind in Deutschland daran gekoppelt, dass der Betreffende ein gültiges Ausweispapier hat. André Shepherd kann jedoch nicht einfach in das US-Konsulat gehen und einen Pass beantragen. Hier droht ihm die Verhaftung durch die Militärpolizei. Einen wirklich gesicherten Status kann er nur durch die Asylgewährung erlangen.

3. Für André Shepherd ist es zudem eine politische Frage, wie sich deutsche bzw. europäische Behörden und Gerichte zu einem Krieg und einer Politik stellen, die so offensichtlich völkerrechtswidrig sind.

Wir müssen mit einem langen und kostenintensiven Verfahren rechnen. Dafür braucht André Shepherd unsere moralische, solidarische und finanzielle Unterstützung. Er selbst hat sehr klar eine Entscheidung getroffen: "Wir werden weitergehen. Auch andere Soldaten sollen die Gewissheit haben, dass eine Entscheidung, sich nicht weiter an völkerrechtswidrigen Kriegen oder Verbrechen zu beteiligen, unterstützt wird. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie im Zweifelsfall Schutz erhalten."


Rudi Friedrich ist engagiert bei Connection e.V.
Mehr Infos im Internet unter www.Connection-eV.de/aktion-usa.php


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Wie lange lassen wir diesen Wahnsinn zu?

Von André Shepherd


Obwohl ich sehr enttäuscht darüber bin, dass das Bundesamt meinen Antrag abgelehnt hat, muss ich sagen: Es kam nicht unerwartet angesichts des gegenwärtigen politischen Klimas. Ich möchte der deutschen Regierung für meine Aufnahme in den letzten Jahren danken. Trotzdem muss ich mein Recht auf freie Rede ausüben und meine Skepsis ausdrücken und deutlich machen, dass ich die Entscheidung vollständig ablehne. Ich glaube, dass die darin ausgedrückte Annahme falsch ist, dass es nicht genügend Beweise für die Illegalität des Krieges im Irak gibt. Trotz der Geheimhaltung über den US-amerikanischen Luftkrieg lagen genügend Beweise dafür vor, dass die US-Kriegsmaschine im Irak eben nicht aus "humanitären Gründen" dort ist. Ich finde auch die Feststellung absurd, dass das "Rechtssystem" der USA fair sei gegenüber allen, die den Mut haben, ihr gottgegebenes Recht wahrzunehmen, nein zu sagen, auch gegenüber der mächtigsten Nation in der Welt.

Selbstverständlich werden wir das Verfahren weiterbetreiben und zwar aus zwei wichtigen Gründen:

Zum einen will ich nicht den Rest des Lebens mit dem Gedanken zurückblicken, dass ich wegen der "Straftat" gefangen genommen werden könnte, weil ich gegen meine Regierung aufgestanden bin. Ich bin weiter der Auffassung, dass ich, wie auch die anderen Kriegsverweigerer, nicht verfolgt werden darf. Vielmehr sollten jene strafrechtlich verfolgt werden, die es verdient haben, wie die Anstifter und die Täter der gegenwärtigen Kriege gegen die Menschheit, statt unabhängig denkende junge Männer und Frauen unter Bedingungen zu inhaftieren, die der Folter gleichkommen, wie das z.B. bei Bradley Manning der Fall ist.

Zum anderen nenne ich einen Grund, der eigentlich gar nicht genannt werden müsste. Aber angesichts der Umstände muss er gesagt werden. Schauen Sie auf all die Kriege, die die USA in den letzten zehn Jahren geführt haben. Wie viele Menschen starben, wie viele verloren ihre Lieben, wie vielen wurden das Leben ruiniert, nur wegen der Lügen aus Washington D.C.? Wie viele Soldaten leben auf der Straße, verließen auf Dauer ihr Heimatland oder wurden von den so genannten Führern der "freien Welt" verurteilt? Wie viele weitere Länder plant mein Heimatland zu besetzen, um scheinbare Bedrohungen zu vertreiben? Wie lange lassen wir diesen Wahnsinn zu? Wenn wir als Menschen nicht zusammenstehen für das, was recht ist - und wenn wir es nicht bald tun, werden wir möglicherweise kein Morgen haben, über das wir reden können. Mein Fall wird wahrscheinlich nicht den US-Imperialismus stoppen, aber er kann ein weiterer Schritt in die richtige Richtung sein, um den Alptraum zu beenden, der auf der Welt um sich greift. Wir müssen weitermachen, um die Gerechtigkeit in der Welt wiederherzustellen.


Stellungnahme bei der Pressekonferenz zur Ablehnung des Asylantrags am 7. April


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2011, S. 16-18
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2011