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BERICHT/283: Vergangenheitsbewältigung war gestern (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 29 - I/2011
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Vergangenheitsbewältigung war gestern
Erinnerungskultur vor neuen Herausforderungen

Von Wolfram Wette


1. Die Historisierung der "Vergangenheitsbewältigung"

I. Die Phase des Beschweigens (1945 bis 1965)
2. "Vergangenheitsbewältigung" oder "Unbewältigte Vergangenheit"?
3. Vergangenheitsbewältigung als politische Aufgabe
4. Beschweigen und Verdrängen: Die "zweite Schuld" der Deutschen

II. Die Phase der Aufarbeitung (1965-1995)
5. Auschwitz-Prozess und 68er-Bewegung: Anstöße zur Aufarbeitung
6. Die Bedeutung der Filbinger-Affäre 1978
7. Bewältigen kann man nicht: Die Weizsäcker-Rede vom 8. Mai 1985
8. Der Historikerstreit von 1986 und die Holocaust-Forschung
9. Kämpfe um das Bild der Wehrmacht (1995-2004)

III. Die Phase der aktiven Erinnerungskultur (1995 bis heute)
10. Von der Vergangenheitsbewältigung zur Erinnerungskultur
11. Zeitzeugen und authentische Gedenkorte
12. Privilegierung und Internationalisierung des Holocaust-Gedenkens
13. Die Opferperspektive und das Verschwinden der Täter
14. Was wird aus der historischen Lehre "Nie wieder Krieg!"?
15. Die Sehnsucht nach dem Vergessen
16. Der Nationalsozialismus als Negativgeschichte und das Erinnern des Guten
17. Die Herausforderung bleibt


*


Wer sich mit der Frage befassen möchte, wie intensiv sich die Gesellschaft unseres Landes mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander gesetzt hat, der wird eine überraschende Feststellung machen: Das Thema ist ungemein vielseitig, und die Literatur über die deutsche Vergangenheitsbewältigung kann schon heute von einem Einzelnen kaum mehr überblickt werden. Die NS-Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit ihr ist nicht nur ein Thema für den Geschichtsunterricht an unseren Schulen, an Akademien und Universitäten, sondern auch ein fester Programmteil der Medien, insbesondere des Fernsehens, und er ist zugleich ein Feld der praktischen Politik. Es handelt sich übrigens um ein besonders heikles Feld der Politik, auf dem leicht ins Straucheln geraten kann, wer sich beispielsweise unüberlegt schiefer NS-Vergleiche bedient. Ebenso wie von der Außenpolitik oder Kulturpolitik sprechen wir heute auch von der Geschichtspolitik und meinen damit primär die offizielle Gedenkkultur. Den Begriff Erinnerungskultur benutzen wir, wenn wir die Beschäftigung der Gesellschaft mit der NS-Zeit ansprechen wollen. Das Gurs-Projekt* der Katholischen Akademie ist zu verorten als eine - Generationen übergreifende - Aktivität im Rahmen der deutschen Erinnerungskultur.

* Das "Camp de Gurs" war das größte französische Internierungslager der Nazi-Zeit in den Pyrenäen, in das 5.600 Juden ans Baden verschleppt wurden.


1. Die Historisierung der "Vergangenheitsbewältigung"

Im Titel meines Vortrages wird die Behauptung auf gestellt, die so genannte Vergangenheitsbewältigung sei "gestern" gewesen, sie sei also überholt, nicht mehr up to date. Das ist in der Tat auch gemeint, allerdings nicht in dem Sinne, dass die Beschäftigung mit der "braunen" Vergangenheit nun überflüssig geworden wäre, Vielmehr soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sie längst neue Formen angenommen hat, die sich mit der Vorstellung von "Bewältigung" nicht mehr in Einklang bringen lassen.

Die These von der Historisierung der Vergangenheitsbewältigung lässt sich auch an geschichtspolitisch relevanten Inhalten festmachen: So ist die Politik der materiellen "Wiedergutmachung" und Entschädigung ebenso weitgehend abgeschlossen wie die strafrechtliche Verfolgung der Täter. Alles in allem erfolgreich beendet wurde auch die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer, eingeschlossen die Opfer der NS-Justiz.

Wenn etwas zum Abschluss gekommen ist, treten nicht selten die Historiker auf den Plan, um eine Bilanz zu ziehen. Anders herum gesagt: Wenn eine historische Bilanz gezogen wird, kann dies gewöhnlich als ein Indiz dafür gelten, dass die jeweilige Sache, um die es geht, der Vergangenheit angehört. Tatsächlich gibt es auch zu unserem Thema umfangreiche Bilanzen. Hervorheben möchte ich insbesondere den Befund, dass der Begriff Vergangenheitsbewältigung bereits lexikonwürdig geworden ist. Im Jahre 2007 erschienen gleich zwei dickleibige Wörterbücher, die sich mit nichts anderem als der öffentlichen Kommunikation über die NS-Vergangenheit in Deutschland zwischen 1945 und heute befassen.

Eines der erwähnten Lexika heißt "Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung" und hat den Untertitel "Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch". Das Werk umfasst nahezu 800 Druckseiten und wurde von den Sprachwissenschaftlern Thorsten Eitz und Georg Stötzel verfasst.(1) Das Lexikon beschreibt, in welcher Weise im öffentlichen Sprachgebrauch der letzten 60 Jahre auf Ereignisse zwischen 1933 und 1945 Bezug genommen wurde. Das Werk ist insoweit eine Fundgrube für unser Thema, als es eine Vielzahl einschlägiger Zitate dokumentiert und auf diese Weise die unterschiedlichen Interpretationen deutlich macht, die zu dem jeweiligen Teilthema vertreten wurden.

Das andere Werk trägt den Titel "Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945".(2) Es wurde herausgegeben von Torben Fischer und Matthias N. Lorenz, enthält 170 Beiträge verschiedener Autoren und ist chronologisch aufgebaut, was ein historisches Herangehen erleichtert. Von den Stichworten "Auschwitzprozess" bis "Zwangsarbeiterentschädigung" sind in diesem Lexikon alle geschichtspolitisch relevanten Ereignisse und Kontroversen der Jahre 1945 bis 2005 aufgelistet, beschrieben und kommentiert.

Diese Lexika sind nicht nur ein Indiz dafür, dass die so genannte Vergangenheitsbewältigung inzwischen Geschichte geworden ist. Sie reflektieren zugleich den Stand der wissenschaftlichen und literarischen Auseinandersetzung der Deutschen mit der Geschichte der Nazi-Zeit. Tatsächlich sind nämlich über dieses Thema bald ebenso viele Bücher geschrieben worden wie über die Nazi-Zeit selbst. Alleine in den fünf Jahren zwischen 2002 und 2007 erschienen in Deutschland mehr als 300 Titel über Erinnerungskultur. Damit ist die Geschichte der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland zu einem eigenständigen Thema der zeitgeschichtlichen Forschung geworden.

In meinem Vortrag unternehme ich den Versuch, die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit in unserem Lande in der Zeit von 1945 bis heute insgesamt in den Blick zu nehmen und dabei drei Phasen zu unterscheiden:

1. Die Phase des Beschweigens (1945 bis 1965),
2. die Phase der Aufarbeitung (1965 bis 1995) und
3. die Phase der aktiven Erinnerungskultur(1995 bis heute).

Ob diese Unterteilung begründet und plausibel ist, mögen Sie dann am Ende selbst entscheiden.


I. Die Phase des Beschweigens (1945 bis 1965)

2. "Vergangenheitsbewältigung" oder "unbewältigte Vergangenheit"?

Damit komme ich zur ersten Phase, zur Phase des Beschweigens. Ich möchte beginnen mit dem Hinweis, dass "Vergangenheitsbewältigung" ein deutsches Wort ist, das sich in andere Sprachen nur schwer übersetzen lässt. Das Wort bezieht sich nicht auf eine beliebige Phase deutscher Vergangenheit, sondern auf einen schmalen Ausschnitt derselben, nämlich auf die Zeit des Nationalsozialismus - also auf die Diktatur, den von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg und die Eroberung der meisten europäischen Länder, die Ermordung der europäischen Juden sowie der Sinti und Roma und von Millionen slawischer Zivilisten.

Der Begriff Vergangenheitsbewältigung ist seit den frühen 1950er Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Sprache. Wie sich in der praktischen Anwendung erweisen sollte, handelt es sich allerdings keineswegs um einen klaren, konkreten und unmissverständlichen Begriff, sondern um ein schillerndes Wort, das mit sehr unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden konnte und tatsächlich auch gefüllt worden ist.(3) In Westdeutschland und nicht anders in Ostdeutschland war mit Vergangenheitsbewältigung zunächst einmal die politische und moralische Distanzierung vom NS-System gemeint.(4) Die DDR suchte den Neuanfang unter dem Vorzeichen des Antifaschismus, was in der Praxis zu einem weitgehenden Verzicht auf eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit führte.


3. Vergangenheitsbewältigung als politische Aufgabe

In der Politik Westdeutschlands nahm die Vergangenheitsbewältigung in der folgenden Weise konkrete Gestalt an:

• Die alliierten Westmächte erstrebten, erstens, die Entnazifizierung der Gesellschaft, besonders die Entfernung des Führungspersonals der NSDAP aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben und die Einsetzung von demokratisch eingestelltem Personal, also um einen Elitentausch.

• Zweitens bereiteten die demokratischen Politiker in den westlichen Besatzungszonen eine völlige Neugestaltung des verfassungsrechtlichen Fundaments der zweiten deutschen Demokratie vor. Dies geschah im Geiste des "Nie wieder!" - also "Nie wieder Diktatur, nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus!". Der nationalsozialistische Unrechtsstaat diente dabei als Negativfolie. Das heißt: Es ging um den Verzicht auf einen neuerlichen Nationalismus und Militarismus, um die Abkehr vom Rassismus und von der Diktatur, und schließlich um die verfassungsrechtliche Garantie grundlegender Menschenrechte.

• Drittens gehörten zu den frühen Formen der Vergangenheitsbewältigung auch retardierende Entwicklungen. Als besonders folgenreich ist hier die Wiedereingliederung einer großen Zahl von Beamten und Soldaten in den neuen demokratischen Staat zu nennen, die Hitler treu gedient hatten.

• Ein viertes Segment der alliierten und später dann auch der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung war die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern.(5) Sie fand zunächst vor den Tribunalen der Siegermächte statt, lag dann fast ein Jahrzehnt brach und wurde Ende der 1950er Jahre von deutschen Gerichten zögerlich fortgesetzt. Aufsehen erregten insbesondere der Ulmer Einsatzgruppenprozess von 1958 und der große Auschwitz-Prozess von 1963-1965. Verurteilt wurden allerdings nicht die einflussreichen Schreibtischtäter, also das Führungspersonal des Reichssicherheitshauptamts, sondern in der Regel kleine Leute, die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern gemordet hatten.

• Fünftens: Mit der zögerlichen strafrechtlichen Verfolgung von NS-Tätern gingen langjährige Bestrebungen von NS-nahen Juristennetzwerken und konservativen Politikern einher, zu einer Amnestierung oder Verjährung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen zu gelangen.(6) Eine Mehrheit im Deutschen Bundestag wusste immerhin zu verhindern, dass die Verjährung von Mord aufgehoben wurde. Nicht verhindern konnte sie, dass amnestiewillige Bürokraten aus dem Bundesjustizministerium das Parlament mit raffiniert formulierten Gesetzesvorlagen dahin brachten, Mord erst zur Beihilfe und später sogar zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen.(7)

• Sechstens gehörte zur Politik der Vergangenheitsbewältigung in der frühen Nachkriegszeit die Entschädigung von Opfer des Nationalsozialismus (Juden, Kriegswitwen, Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Osten, NS-Verfolgten, Widerstandskämpfern) und die so genannte "Wiedergutmachungs"-Politik gegenüber dem Staat Israel, die von Kanzler Adenauer als eine "moralische Pflicht" angesehen wurde.(8) Hier muss allerdings erwähnt werden, dass Millionen von Zwangsarbeitern, ebenso die Sinti und Roma, Homosexuelle und Zwangssterilisierte sowie die Opfer der NS-Justiz von der Wiedergutmachung zunächst ausgenommen waren. Zur Entschädigung von Zwangsarbeitern rangen sich Industrie und Bundesregierung erst mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende unter internationalem Druck durch. Das "Gesetz zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter im Dritten Reich" wurde schließlich im Jahre 2000 vom Deutschen Bundestag verabschiedet.(9)

• Siebtens schließlich wurde unter dem Begriff Vergangenheitsbewältigung die geistige und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit verstanden, auch mit den Ursachen des Nationalsozialismus und mit der Schuldfrage.(10) Sie dauert bis zum heutigen Tage an.

Die geschilderten Maßnahmen verfolgten allesamt das Ziel, mit der belastenden NS-Vergangenheit irgendwie fertig zu werden, moralisch wie materiell: So wie man ein Arbeitspensum erledigt, eine Autobahnstrecke zurücklegt, eine Hürde nimmt oder eine Bergbesteigung erfolgreich beendet. Ist die Arbeit fertig, die Strecke zurückgelegt, die Hürde genommen und der Berg bestiegen, dann, so glaubte man, sei die jeweilige Herausforderung bestanden, bewältigt. Das war die Vorstellung, die viele Deutsche in den ersten Jahrzehnten nach dem Kriege mit dem Begriff der Vergangenheitsbewältigung verknüpften.


4. Beschweigen und Verdrängen: Die "zweite Schuld" der Deutschen

Es ist interessant, zu beobachten, dass in jener Zeit häufiger von der "unbewältigten Vergangenheit" gesprochen wurde als von der Vergangenheitsbewältigung. Dieser Umstand weist daraufhin, dass die Zeitgenossen der 1950er Jahre durchaus ein Gefühl dafür hatten, dass ihr Umgang mit der NS-Vergangenheit letztlich nicht befriedigen konnte, weil über die Vergangenheit mehr geschwiegen als gesprochen wurde und weil bei den Tätern und Mitläufern häufig jedes Unrechtsbewusstsein fehlte.

Das von den Siegermächten auf den Weg gebrachte Projekt der Entnazifizierung des deutschen Volkes sowie der "reeducation", also einer Erziehung zur Demokratie, stieß schon bald an die Grenzen des Machbaren. Denn die Deutschen hatten sich ja nicht selbst befreit und betrachteten die politische Säuberung nicht als ihr eigenes Projekt. Die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher durch die internationalen Militärtribunale wurde im Grunde genommen nur von einer Minderheit der Deutschen als gerecht und notwendig anerkannt. Die Mehrheit sprach von "Siegerjustiz" und von "Kriegsverurteilten" und mahnte ihre Amnestierung an.(11) In den 1950er Jahren gab es bei den Deutschen, die noch stark von nationalsozialistischen Denkmustern geprägt waren, so etwas wie "eine allgemeine Exkulpationssolidarität".(12)

Dem zweiten Deutschen Bundestag, der 1953 gewählt wurde, gehörten 129 ehemalige NSDAP-Mitglieder an. Wenn man das weiß, verwundert es einen nicht, dass die politischen Parteien damals bestrebt waren, den in der Kriegsgeneration verbreiteten Stimmungen Rechnung zu tragen. 1951 beschlossen sie im Bundestag das 131er Gesetz (nach Artikel 131 des Grundgesetzes), das den ehemaligen NS-Funktionären und NS-Anhängern, Beamten wie Offizieren, die nach dem Kriege von den Alliierten aus dem öffentlichen Dienst entfernt worden waren, die Möglichkeit verschaffte, wieder in Staatsdienst zurück zu kehren.(13) Mit der Wiedereinstellung wurden die ehemaligen Nazis zugleich moralisch entlastet und rechtlich amnestiert. Die Zeit, in der die Alliierten sowie die zurückgekehrten Emigranten und die geistigen Erben des deutschen Widerstands einen personellen Bruch mit der Vergangenheit glaubten erreichen zu können, war damit endgültig vorbei. Stattdessen etablierte sich eine personelle Kontinuität, mit dem Ergebnis, dass Mitte der fünfziger Jahre in Westdeutschland kaum noch jemand befürchten musste, wegen seiner NS-Vergangenheit vom deutschen Staat oder von der deutschen Justiz behelligt zu werden.

Das war die "unbewältigte Vergangenheit", von der Bundespräsident Theodor Heuß in den 1950er Jahren sprach. Er wusste, dass unter den geschilderten Bedingungen kaum jemand an einer kritischen Aufarbeitung der NS-Geschichte interessiert war. Diese erste Phase der Nachkriegsgeschichte hatte der Schriftsteller Ralph Giordano vor Augen, als er sein Buch über die "Die zweite Schuld" schrieb(14), die Schuld der Deutschen nämlich, sich nicht in angemessener Weise mit den Judenmorden, den Verbrechen der Wehrmacht, den Angriffskriegen und anderen Verbrechen Hitler-Deutschlands auseinandergesetzt, sondern sie entweder beschwiegen, relativiert, geleugnet und strafrechtlich nur ungenügend verfolgt zu haben.(15) Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die These des Philosophen Hermann Lübbe, das in den ersten Nachkriegsjahrzehnten zu beobachtende Schweigen der Deutschen habe die Möglichkeit zu einer Umorientierung geboten, da sich die Mehrheit ja zuvor mit der nationalsozialistischen Ideologie identifiziert hatte.(16)

Als ein charakteristisches Zeichen für die Phase des Beschweigens der NS-Zeit wird man auch die Tatsache geltend machen können, dass es im ersten großen deutschen Historikerstreit, der in den 1960er Jahren ausgefochten wurde, nicht um das "Dritte Reich" Hitlers ging, sondern um den Ersten Weltkrieg. Gemeint ist die Fischer-Kontroverse, benannt nach dem Hamburger Historiker Fritz Fischer(17), der die länger wirkenden Ursachen und Voraussetzungen des deutschen Kriegseintritts 1914 und damit zugleich die heiß umstrittene Frage der deutschen Kriegsschuld untersucht hatte.


II. Die Phase der Aufarbeitung (1965-1995)

5. Auschwitz-Prozess und 68er-Bewegung: Anstöße zur Aufarbeitung

Die Ermordung der europäischen Juden trat erstmals durch den großen Auschwitz-Prozess in das Blickfeld einer breiteren deutschen Öffentlichkeit. Die treibende Kraft war der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, ein Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, Emigrant und ein Freund von Willy Brandt. Bauer verfolgte ein doppeltes Ziel: Erstens wollte er eine Reihe von Tätern aus dem zentralen Vernichtungslager endlich vor Gericht zu bringen. Zweitens verfolgte er das geschichtspolitische Anliegen, die deutsche Öffentlichkeit, die damals noch wenig über den Holocaust wusste und noch weniger wissen wollte, stattdessen aber unentwegt den "Schlussstrich" unter die NS-Vergangenheit einforderte, über das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Massenverbrechen aufzuklären. Das trug ihm Verleumdungen, Beschimpfungen und Drohungen von alten Nazis ein, was zu seinem frühen Tod 1968 beigetragen haben dürfte.(18)

Die studentische Kulturrevolution von 1968 brandmarkte das kollektive Schweigen der NS-Generation, suchte die geschichtspolitische Auseinandersetzung durch Konfrontation und forderte die noch immer fest im Sattel der Institutionen sitzende NS-Generation heraus. Es ist gesagt worden, hier sei eine Generation "aus dem Geiste der NS-Kritik" geboren worden.(19) Hannah Arendt erkannte: "Der Generationsbruch ist ungeheuer. Sie können mit ihren Vätern nicht reden, weil sie ja wissen, wie tief sie in die Nazi-Sache verstrickt waren."(20) Der Freiburger Psychoanalytiker Tilmann Moser konstatierte: "Viele Achtundsechziger haben es nicht ausgehalten, Kinder von Täter und Mitläufern zu sein. Sie haben aus Entsetzen die Generationenbindung quasi gekündigt, um sich selbst rein zu bleiben, und damit eine andere Form der Entwirklichung betrieben: die ihres Geprägt-Seins."(21)

Als im Jahre 1969 erstmals eine sozialliberale Regierung ins Amt kam, schlug der soeben gewählte Bundeskanzler Willy Brandt, der im Exil aktiven Widerstand gegen den Hitler-Staat geleistet hatte, ein neues Blatt der deutschen Geschichtspolitik auf, als er im Bundestag verkündete, er verstehe sich "als Kanzler nicht mehr eines besiegten, sondern eines befreiten Deutschlands". Mit seiner, Brandts, Wahl zum Bundeskanzler habe "Hitler endgültig seinen Krieg verloren".(22) Womit der SPD-Politiker wohl sagen wollte, dass die Angehörigen der Kriegsgeneration, die ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende der NS-Vergangenheit noch immer unkritisch gegenüber standen, nun endlich in die Minderheit geraten waren. Der Kniefall Willy Brandts vor dem Mahnmal an den Warschauer Ghettoaufstand - heute vor vierzig Jahren - signalisierte der Welt, dass es in Deutschland auch ein anders Verständnis vom richtigen Umgang mit der NS-Vergangenheit gab.


6. Die Bedeutung der Filbinger-Affäre 1978

Die 1970er und 1980er Jahre standen dann im Zeichen einer intensiven historiographischen Aufarbeitung der Geschichte der nationalsozialistischen "Machtergreifung", der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges. Seit Mitte der 1980er Jahre schloss sich endlich auch die Erforschung der Judenmorde an.

Allerdings waren die NS-Apologeten nach wie vor einflussreich. Noch im Jahre 1978 äußerte der seinerzeitige Ministerpräsident Hans Karl Filbinger (CDU) die Vorstellung: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein."(23) Dieses Diktum bedeutete nichts Geringeres als den Versuch, die grundlegenden Unterschiede zwischen dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat und dem demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik einzuebnen. Filbinger war im Zweiten Weltkrieg Marinerichter der Wehrmacht gewesen und hatte an Todesurteilen mitgewirkt. Nun, 1978, mag er gemutmaßt haben, dass viele Politiker und Juristen seiner Generation und Geisteshaltung an seinem Ausspruch nicht nur keinen Anstoß nehmen, sondern ihm aus eigener Überzeugung zustimmen würden. Das war vermutlich auch so. Wenn Filbinger gleichwohl von seinem hohen politischen Amt zurücktreten musste, so lag dies an dem Vertrauensverlust, den er aufgrund seiner halsstarrigen Unbußfertigkeit sowie seines Leugnens, an Todesurteilen mitgewirkt zu haben, in der Öffentlichkeit des Landes erlitten hatte und der sich auf seine Partei, die CDU, auszudehnen drohte.


7. Bewältigen kann man nicht: Die Weizsäcker-Rede vom 8. Mai 1985

Linke Intellektuelle wie der Frankfurter Soziologe Theodor W. Adorno erkannten schon früh - in diesem Fall im Jahre 1959 -, dass mit dem Bestreben, die Vergangenheit zu bewältigen, unterschwellig der Wunsch verknüpft war, einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu ziehen.(24) Ein Vierteljahrhundert nach ihm warnte auch ein prominenter konservativer Politikervor dieser Geisteshaltung. In seiner mit Recht berühmten Rede vom 8. Mai 1985 "Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft"(25) führte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker aus: "Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren."(26) machte Richard von Weizsäcker auf den unlösbaren Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufmerksam.

Weizsäckers 8. Mai-Rede von 1985 war ein Meilenstein in der deutschen Geschichtspolitik(27), viele historisch-politisch interessierte Menschen in unserem Lande aufatmen ließ. Seine Ausführungen trugen maßgeblich dazu bei, die NS-Apologetik einzudämmen, die in der westdeutschen Gesellschaft noch immer untergründig kursierte: Zum Beispiel die Legenden, man habe von den Massenverbrechen nichts gewusst, man habe außerdem in der Diktatur auch keine Handlungsspielräume gehabt, habe einfach gehorchen müssen; schuld an allem seien letztlich Hitler und seine nächste Entourage.(28)

Weizsäcker stellte in dieser Rede auch grundsätzliche Erwägungen über die kulturelle und gesellschaftspolitische Bedeutung historischer Erinnerung an, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. "Wir alle", sagte er, "ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen, zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wach zu halten."(29)

Schließlich stellte der Redner den Nachgeborenen einen ideellen Lohn für das rechte Erinnern in Aussicht, nämlich die "Versöhnung" und "Erlösung", wobei er sich auf den jüdischen Glauben bezog. Was diese problematischen Pathosformeln konkret bedeuten könnten - ob Versöhnung mit den ehemaligen Feindmächten, oder Versöhnung mit der deutschen Geschichte, oder Erlösung von der Last der Vergangenheit -, führte er allerdings nicht näher aus.(30)


8. Der Historikerstreit von 1986 und die Holocaust-Forschung

Der zweite deutsche Historikerstreit, der 1986 begann, thematisierte das Problem der Singularität der Judenmorde beziehungsweise der Vergleichbarkeit des Holocaust mit stalinistischen Verbrechen. Er fand in einem gewandelten gesellschaftspolitischen Klima statt. Deutlich gestiegen war inzwischen die Bereitschaft, sich mit dem Zweiten Weltkrieg, den Judenmorden und zum Beispiel auch der deutschen Kriegsgefangenenpolitik(31) auseinander zu setzen.

Bislang war die Holocaust-Forschung maßgeblich von amerikanischen Historikern wie Raul Hilberg geleistet worden.(32) Nun löste der Historikerstreit in Westdeutschland eine intensive Erforschung der Judenmorde in Europa aus, die sich in einer Fülle von Regionalstudien, aber auch von Gesamtdarstellungen, niederschlug. Anstöße zu diesen Aktivitäten lieferten auch US-Filme wie die Holocaust-Serie, die Dokumentation Shoa sowie die Spielfilme Schindlers Liste und später Der Pianist.(33)


9. Der langjährige Kampf um das Bild der Wehrmacht (1995-2004)

Jahrzehntelang hatte das Bild von der "sauberen Wehrmacht" einen Schleier über die deutsche Kriegführung während des Zweiten Weltkrieges gelegt. Das änderte sich erst Mitte der 1990er Jahre. Denn jetzt trat die Geschichte der Wehrmacht ins Zentrum der geschichtspolitischen Diskussion in Deutschland. Angestoßen wurde die Debatte durch die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der deutschen Wehrmacht 1941-1944", veranstaltet vom Hamburger Institut für Sozialforschung.(34) Durch den öffentlichen Disput, der sich über fast ein ganzes Jahrzehnt hinzog, wurden Millionen von Menschen mit diesem Thema befasst, das in irgendeiner Weise fast jede deutsche Familie tangierte.

Es war die letzte große Auseinandersetzung zwischen den apologetischen Protagonisten der Kriegsgeneration und den kritischen Aufklärern aus der 1968er Generation. Nun wurde erkennbar, dass die Kriegsgeneration nicht mehr über den Einfluss verfügte, ihre über Jahrzehnte hin erfolgreich propagierte Legende von der "sauberen" Wehrmacht aufrecht zu erhalten. Stattdessen verbreitete sich jetzt die belastende Erkenntnis, dass die Wehrmacht im Osten einen Vernichtungskrieg geführt hatte, dass sich etliche Truppen auch an Verbrechen beteiligt hatten, auch an Judenmorden, und dass die Wehrmacht für den Tod von mehr als drei Millionen russischer Kriegsgefangener sowie von zehn bis zwölf Millionen slawischer Zivilisten verantwortlich war.(35)

Am Beispiel der Wehrmacht-Debatte zeigte sich noch einmal in großer Deutlichkeit, dass sich die historisch-kritische Aufklärung über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen nicht einfach naturwüchsig Bahn brach, sondern dass jeder Fortschritt in zähen und langwierigen Auseinandersetzungen erkämpft werden musste. Das heißt: Die Geschichte der Vergangenheitsbewältigung war in Deutschland durchgängig eine Konfliktgeschichte.(36) Dass sie so gründlich durchgefochten wurde, hat dem deutschen Ansehen im Ausland übrigens nicht geschadet. Im Gegenteil!


III. Die Phase der aktiven Erinnerungskultur (1995 bis heute)

10. Von der Vergangenheitsbewältigung zur Erinnerungskultur

Sieht man einmal von der Wehrmacht-Kontroverse ab, die sich bis 2004 hinzog, so bildete das Jahr 1995 eine Zäsur in der Auseinandersetzung der Deutschen mit dem Nationalsozialismus. An die Stelle der so genannten Vergangenheitsbewältigung trat eine neue Form der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, die man nun als Erinnerungskultur bezeichnete. Zu dem Wandel trugen die folgenden Faktoren bei:

• Es gab einen Generationswechsel, gekennzeichnet vom langsamen Abtreten der Kriegsgeneration, damit auch der Zeitzeugen, die als überlebende Opfer maßgeblich zur Geschichtsvermittlung beigetragen hatten. Die personale Erinnerung wurde zunehmend durch ritualisierte Formen der Geschichtsvermittlung ersetzt.

• Mit dem Generationswechsel wuchs die reale und die gefühlte zeitliche Distanz zum historischen Geschehen der nationalsozialistischen Zeit.

• Das Jahr 1995 steht auch für das Abschwellen der Auseinandersetzungen zwischen der Kriegsgeneration und der 1968er-Generation. Das heißt, dass die "heiße" Phase der Erinnerung, in der wichtige historische Aufklärungsarbeit geleistet und durchgesetzt wurde, nunmehr abgelöst wurde durch eine tendenziell "kältere" Phase, in der die emotional und moralisch aufgeladene Erinnerung eher zurücktrat. Im Wissenschaftsdeutsch ausgedrückt: Das "kommunikative Gedächtnis" verwandelte sich in ein "kulturelles Gedächtnis". Oder mit einem anderen Bild: Das Familiengespräch und das Familienalbum wurden abgelöst durch das Geschichtsbuch, das Lexikon, also durch eine eher kognitive Vermittlung von historischem Wissen.

• Die Vorstellung von einer "Vergangenheitsbewältigung", welche die Hoffnung auf einen "Schlussstrich" unter die NS-Vergangenheit erfüllen würde, wurde in dieser Phase verabschiedet zugunsten der Einsicht, dass es einen Schlussstrich auf absehbare Zeit nicht geben wird und dass die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit auch in der Zukunft einen zentralen Bestandteil deutscher Erinnerungskultur bilden wird.

• In dieser Phase geht die Verantwortung für die deutsche Erinnerungskultur immer mehr über auf die jungen Menschen, die der dritten und vierten Nachkriegsgeneration angehören. Sie sind gehalten, das in der Aufklärungsphase erarbeitete Wissen über den Nationalsozialismus zu bewahren. Daran knüpft sich die Hoffnung, dass dieses Wissen über eine Negativphase der deutschen Geschichte im Sinne des "Nie wieder!" zugleich eine Orientierung für die Gegenwart und die Zukunft geben kann. Die Konstanzer Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann hat sich dazu in ihrem Buch über "Erinnerungskultur und Geschichtspolitik" ebenfalls zu der Frage geäußert, wie die Jüngeren heute mit der NS-Thematik umgehen. Sie teilt uns ihre Beobachtung mit, dass die Jüngeren eher pragmatisch, cool, entideologisiert an diesen Komplex herangehen, "orientiert an der Bewältigung konkret vorliegender, gegenwärtiger Aufgaben der Konfliktvermeidung [...]."(37) Sie folgen also keinem antiquarischen, sondern einem emanzipatorischen und zukunftsgerichteten Interesse. Eine 2010 durchgeführte Umfrage der Wochenzeitung "Die Zeit" ergab, dass die große Mehrheit der heutigen Jugendlichen, die der vierten Nachkriegsgeneration zuzurechnen sind, offener für eine ehrliche Betrachtung der NS-Zeit sind als jede Generation zuvor. Sie wollen die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachhalten und Deutschland zugleich als ein normales Land ansehen.(38)


11. Zeitzeugen und authentische Gedenkorte

Zur Phase der Erinnerungskultur, in der wir uns heute befinden, gehört die Erkenntnis, dass wir in die Zeit des "kulturelle Gedächtnis" eingetreten sind, das sich nicht mehr aus den Berichten von Zeitzeugen speist, sondern auf andere Quellen und andere Formen der Vermittlung angewiesen ist. An Bedeutung gewinnen Gedenkstätten als Orte der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Vorsorglich hat die Bundeszentrale für politische Bildung bereits Ende der 1990er Jahre eine zweibändige Dokumentation herausgebracht, in welcher sämtliche Gedenkstätten in Deutschland verzeichnet sind.(39) Vielfache Vorsorge wurde auch getroffen, dass die Lebensberichte von Zeitzeugen in Wort, Bild und Ton aufgezeichnet wurden, um den nachwachsenden Generationen zur Verfügung zu stehen.

Mit dem Begriff des Zeitzeugen meinen wir in aller Regel Überlebende des Holocausts, seltener überlebende Sinti und Roma, noch seltener sowjetische Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter. Nicht gemeint sind dagegen jene Zeitgenossen, die der Täterseite zuzurechnen sind. Oder haben Schüler jemals einen NS-Täter als Zeitzeugen zu sehen und zu hören bekommen?

Zeitzeugen hatten und haben - für eine gewisse Zeit noch immer - die ganz wesentliche Aufgabe, mit ihrer Person und ihrem Verfolgungsschicksal authentisch Geschichte zu vermitteln und in exemplarischer Weise die vergangene NS-Zeit mit der Gegenwart der Schüler von heute zu verknüpfen. Sie ermöglichen ihnen einen emotionalen Zugang zu dieser Vergangenheit, der über den Kopf nicht in gleicher Weise zu erhalten ist. Wenn Zeitzeugen nicht mehr zur Verfügung stehen, wird die Erinnerung an die NS-Zeit "kälter".


12. Privilegierung und Internationalisierung des Holocaust-Gedenkens

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Feindkonstellation zwischen Ost und West, also seit 1989/90, erleben wir eine Konzentration der Erinnerung auf den Holocaust, zugleich eine Europäisierung, ja Internationalisierung des Holocaust-Gedenkens. Um den europäischen Gedanken zu fördern, wollen einflussreiche Politiker die Erinnerung an den Holocaust zu einem gemeinsamen, transnationalen Projekt gestalten, obwohl in den einzelnen Ländern ja ganz unterschiedliche Erinnerungen an die NS-Zeit präsent sind.(40) In Großbritannien und Italien wurde bereits in den frühen 1990er Jahren ein Holocaust-Gedenktag eingeführt, zu begehen am jeweiligen 27. Januar, dem Tag des Jahres 1945, an dem die Rote Armee die letzten Gefangenen des Vernichtungslagers Auschwitz befreite.

Im Jahre 1995 setzte der damalige Bundespräsident Roman Herzog (CDU) durch, dass der 27. Januar auch in Deutschland, dem Land der Täter, begangen wird. In unseren Sprachgebrauch hat sich die Bezeichnung "Holocaust-Gedenktag" eingeschlichen, was den Intentionen des Initiators jedoch durchaus nicht entspricht. Die politische korrekte Bezeichnung lautet nämlich: "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus". An ihm soll also nicht nur der ermordeten Juden Europas gedacht werden, sondern auch der verfolgten Christen, Sinti und Roma, der Menschen mit Behinderung, der Homosexuellen, der politisch Andersdenkenden sowie allen Männern und Frauen des Widerstandes, der Kriegsgefangenen und Deserteure sowie der Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.(41) Seit der Initiative von Roman Herzog veranstaltet der Deutsche Bundestag alljährlich am 27. Januar eine zentrale Gedenkveranstaltung.

Eine weitere Etappe zur Institutionalisierung der Erinnerung an den Holocaust bildet das Bundesgedenkstättengesetz. Es wurde im Jahre 2000 vom Deutschen Bundestag verabschiedet und regelt den Unterhalt und den Ausbau der vielen Gedenkstätten im Lande durch den Staat. Sie waren bis dahin zumeist aus privaten Initiativen entstanden und getragen worden. Mit diesem Gesetz wurde die Erinnerung an den Holocaust auch formell zu einem festen Bestandteil unserer nationalen Erinnerungskultur.(42)

Ebenfalls im Jahre 2000 tagte in Stockholm eine internationale Holocaust-Konferenz, an der Vertreter von 54 Staaten teilnahmen, auch etliche Regierungschefs.(43) Verabschiedet wurde eine Erklärung zur universellen Holocaust-Erinnerung. Darin wird eine so genannte Holocaust-Education zu einer internationalen Aufgabe gemacht. Nach diesem Konzept soll die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen Holocaust die Grundlage für eine permanente Erziehung zur Einhaltung der Menschenrechte werden. Eine große deutsche Tageszeitung schrieb damals, hier werde "eine neue Zivilreligion gegründet, die aus der Erinnerung an den Holocaust normative Regeln für die Zukunft zu schöpfen beabsichtigt".(44) Ein deutscher Wissenschaftler sprach vom Gründungakt einer transnationalen Erinnerungskultur, in dessen Zentrum der Holocaust, der Zweite Weltkrieg, die Vertreibungen und die Kollaboration stünden.(45)

Schlussendlich wurde im Mai 2005 in Berlin nach 15-jähriger öffentlicher Debatte - das zentrale deutsche "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" eröffnet.(46) Die Besucherzahlen sind beachtlich und die Tendenz ist eher steigend als fallend. Das gilt übrigens auch für den Besuch anderer Gedenkstätten im Lande. Manche Beobachter sprechen gar von einem Erinnerungs-Boom.

Mit diesen Maßnahmen - Einführung des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus, Bundesgedenkstättengesetz, Holocaust-Mahnmal in Berlin, Europäisierung der Erinnerung an den Holocaust - hat die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden eindeutig eine privilegierte Stellung in der deutschen und internationalen Erinnerungskultur erhalten. Diese Hervorhebung blieb nicht folgenlos. So ist etwa die Erinnerung an die Millionen slawischer Zivilisten und Kriegsgefangenen, die ebenfalls Opfer deutscher Gewalt wurden, weithin abgedrängt worden.


13. Die Opferperspektive und das Verschwinden der Täter

Wenn wir von Zeitzeugen sprechen, meinen wir in erster Linie Überlebende des Holocausts. Oder hat je ein Schüler oder eine Schülerin einen NS-Täter als Zeitzeugen zu hören oder zu sehen bekommen? Unsere Zeitzeugen berichten naturgemäß aus der Opferperspektive. Gedenkreden sind in der Regel ebenso angelegt. Das Holocaust-Mahnmal in Berlin ist den Opfern des Holocausts gewidmet, die meisten Gedenkstätten ebenso. Gleiches gilt für die in vielen deutschen Städten verlegten Stolpersteine, deren wichtige Erinnerungsfunktion ich an dieser Stelle in einem früheren Vortrag am 10. Dezember 2007 bereits beleuchten konnte. Das heißt: Die Opferperspektive ist allgegenwärtig.

Es gibt Kritiker wie die Autoren Ulrike Jureit und Christian Schneider, die in ihrem Buch "Gefühlte Opfer" die Ansicht vertreten, mit dieser allgegenwärtigen und einseitigen Opferperspektive sei die Bundesrepublik in einer "erinnerungspolitischen Sackgasse" gelandet.(47)

Tatsächlich werden die Täter in unserer Erinnerungskultur nicht in angemessener Weise thematisiert. Der Historiker Hannes Heer spricht geradezu von einem "Verschwinden der Täter"(48) und verweist damit auf eine langfristige Entwicklung, die bereits nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen ihren Lauf nahm. Heute gibt es in unserer Republik nur ganz wenige Orte, die sich explizit mit der Erinnerung an NS-Täter befassen, nämlich: Die Gedenkstätte Topographie des Terrors in Berlin und die Gedenkstätte Villa der Wannsee-Konferenz, ebenfalls in Berlin. Beide Erinnerungsstätten thematisieren die obere Führungsebene des staatlichen Massenmords, kaum aber die Täter aus der mittleren und unteren Führungsschicht sowie aus den unteren Etagen der arbeitsteilig operierenden Mordmaschinerie.

Die Ursache dieser Einseitigkeit liegt auf der Hand: Die Menschen erinnern sich generell ungern an Täter, weil an diesen eine Negativbotschaft haftet. Bei NS-Tätern ist diese Abneigung besonders ausgeprägt. Aus diesem Grunde sind zum Beispiel in unseren Städten und Gemeinden bislang keine überzeugenden Ideen entwickelt worden, wie man an Täter erinnern könnte, die aus dem jeweiligen Ort stammen. Das ist besonders zu bedauern. Denn zum erwünschten Lernen aus der Geschichte gehört es doch gerade zu begreifen, wie aus ganz normalen Menschen Mörder werden konnten.(49) Außerdem wissen wir heute, dass der Massenmord an den europäischen Juden ohne Täter auf allen Ebenen der Befehlshierarchie gar nicht hätte durchgeführt werden können. Wir kennen auch das Bild vom "dünnen Eis der Zivilisation", also den beunruhigenden Befund, dass eine Wiederholung prinzipiell nicht ausgeschlossen werden kann.


14. Was wird aus der historischen Lehre "Nie wieder Krieg!"?

Im Zug der Privilegierung des Holocaust-Gedenkens drohen andere Lehren aus der Negativgeschichte des Nationalsozialismus tendenziell in den Hintergrund gedrängt zu werden, zuvörderst die Lehre "Nie wieder Krieg!" Wie jedermann weiß, hat die deutsche Außenpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges ihre bis dahin gültige Grundlinie verändert. Sie wandte sich vom Grundsatz der außenpolitischen Zurückhaltung ab und begann damit, Deutschlands gewachsene internationale Verantwortung auch militärisch zu definieren. Schrittweise setzte sie eine militärisch instrumentierte Außenpolitik in Szene, die zu den Kriegsbeteiligungen Deutschlands in Jugoslawien 1999 und Afghanistan (2002 bis heute) führte.

Im Kosovo-Krieg drehten die verantwortlichen deutschen Politiker die historische I,ehre "Nie wieder Krieg!" komplett um und legitimierten nunmehr den deutschen Kriegseinsatz unter Berufung auf die NS-Vergangenheit: Man habe auch "Nie wieder Auschwitz!" gelernt und dürfe den serbischen Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos zusehen.(50) Wenig später redete der vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einer "Enttabuierung des Militärischen" das Wort und meinte damit natürlich die Enttabuierung des Einsatzes der Bundeswehr als Teil einer angestrebten "Neuen Normalität".

Die deutsche Bevölkerung hat diesem Wandel ihre Zustimmung bislang großenteils versagt. Offenbar sind die Negativerfahrungen mit den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts in den Köpfen der Menschen noch hinreichend präsent. Die friedfertige Einstellung der meisten Deutschen(51) hat bislang schon einer Ausweitung des Handlungsspielraums für eine militarisierte Außenpolitik Grenzen gesetzt.(52) Aber die Öffentlichkeit hat sich diesen Wandel auch gefallen lassen, ohne hörbar aufzubegehren.


15. Die Sehnsucht nach dem Vergessen

Am Beginn des Historikerstreits von 1986 klagte der Historiker Ernst Nolte, beim Nationalsozialismus handle es sich um "eine Vergangenheit, die nicht vergehen will".(53) In diesem eingängig formulierten Satz steckt die Sehnsucht nach dem Vergessen. Heute wird gelegentlich daran erinnert, dass selbst der britische Kriegspremier Winston Churchill in seiner berühmten Rede am 19. September 1946 in Zürich die Feinde von gestern zu einem "segensreichen Akt des Vergessens" (blessed act ob oblivion) aufrief.(54) Ähnlich mahnte der deutsche Justizminister Thomas Dehler im Januar 1950 im Deutschen Bundestag das Vergessen "dieser schauerlichen Zeit" an und erinnerte an den Westfälischen Frieden von 1648, wo man im Blick auf den Dreißigjährigen Krieg beschlossen habe: "Ewiges Vergessen all dessen, was seit Beginn der Unruhen geschehen ist."(55)

Anknüpfend an Äußerungen dieser Art hat der Althistoriker Christian Meier in einem historischen Längsschnitt dargelegt, dass in den letzten zwei Jahrtausenden nach europäischen Kriegen und Bürgerkriegen häufig und mit Erfolg eine Geschichtspolitik des Vergessens betrieben wurde. Um dann jedoch - ziemlich unvermittelt - festzustellen, dass das Vergessen im Falle der NS-Geschichte offensichtlich nicht greift. So kam es zu dem Buchtitel, der wie ein Widerspruch daherkommt: "Das Gebot zu Vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns".(56) Tatsächlich ist es die Monstrosität der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, begangen durch Angehörige einer zivilisierten Nation in der Form eines staatlich organisierten und arbeitsteilig durchgeführten Großverbrechens, die den Eintritt in die entlastende Sphäre des Vergessens auf Dauer versperrt.


16. Der Nationalsozialismus als Negativgeschichte und das Erinnern des Guten

Abschließend möchte ich noch in aller Kürze die folgende Frage beleuchten: Kann eine Negativbotschaft, wie sie von der Geschichte des Nationalsozialismus ausgeht, als ein dauerhaftes Fundament unserer zukünftigen Erinnerungskultur dienen? Oder wirkt sich der "lange Schatten der Vergangenheit"(57) womöglich wie ein Bann aus, der die Menschen eher hemmt und lähmt als dass er positive, in die Zukunft gerichtete Energien freisetzen könnte? Wegen Befürchtungen dieser Art warnten bestimmte deutsche Politiker und Publizisten schon vor Jahrzehnten davor, eine deutsche Identität auf der Basis einer Negativgeschichte bilden zu wollen. Sie plädierten statt dessen dafür, die Geschichte zu "entkriminalisieren".(58)

Nun muss man einräumen, dass Hoffnungen dieser Art keineswegs abwegig sind. In der Geschichte der Nationen gilt es seit jeher als normal, dass man sich primär an Positives erinnert, zum Beispiel an den Gründungsakt der Nation, an ihre Siege, ihre Kriegshelden, ihre Revolutionen und ihre herausragenden Kulturleistungen, an ihre Wissenschaftler und Künstler. Aus diesen Bildern gestalten die Nationen in aller Regel ihre kollektive Erinnerung und nutzen diese für die Festigung ihrer nationalen Identität.

Im Hinblick auf Deutschland kann diese Regel allerdings keine Anwendung finden. Eine heroische Erinnerungskultur bleibt den Deutschen nach den Negativereignissen des Holocausts und des Zweiten Weltkrieges auf Dauer verwehrt, Sie wäre nicht einmal um den Preis eines verordneten systematischen Vergessens zu haben. Denn die Schatten der Vergangenheit drängen von selbst immer wieder in die Gegenwart. Wir müssen vielmehr das "negative Gedenken"(59) - wie es Volkhard Knigge, der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, genannt hat - als unabänderliches Spezifikum der deutschen Erinnerungskultur begreifen. Den nachwachsenden Generationen bleibt nichts anderes übrig, als sich dieser ungewöhnlichen geschichtspolitischen Herausforderung zu stellen. Sie sind die "schuldlos Beladenen", um noch einmal eine Formulierung Ralph Giordanos aufzugreifen.

Bei dieser Gelegenheit ist allerdings auch daran zu erinnern, dass die Geschichte der nationalsozialistischen Zeit keineswegs nur aus Krieg und Massenverbrechen besteht. Es gab auch Menschen, die Widerstand und Humanität praktiziert haben, angefangen vom Hitler-Attentäter Georg Elser über die Studenten der "Weißen Rose" und die Angehörigen der Berliner Widerstandsgruppe "Rote Kapelle", die Offiziere des 20. Juli 1944, die Soldaten, die sich dem Vernichtungskrieg verweigerten und als Wehrkraftzersetzer, Deserteure und Kriegsverräter verfolgt wurden, die Helfer und Retter von Juden und anderen Verfolgten.(60) Unter dem großen Schutthaufen der deutschen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus leuchten diese widerständigen Menschen wie Goldkörnchen bis in unsere Gegenwart hinein. Sie bieten positive Anknüpfungspunkte im Sinne einer "Erinnerung des Guten".(61) Denn sie können uns lehren, dass es für mutige Menschen mit Anstand selbst in der NS-Zeit Spielräume für humanes Handeln gegeben hat, also die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden als es die damaligen Machthaber erwarteten.


17. Die Herausforderung bleibt

Im Hinblick auf die nachgewachsenen Generationen ist vor Überforderungen zu warnen. Die Jugendlichen von heute erleben eine Explosion des Wissens in unserer globalisierten Welt, in der sie sich beruflich, gesellschaftlich und politisch zurechtfinden müssen. Das nötigt den jungen Menschen größere Lernanstrengungen ab als dies je zuvor der Fall war. Hier findet das Ausmaß der Beschäftigung mit der deutschen Negativgeschichte von 1933 bis 1945 seine natürlichen Grenzen.

Trotzdem muss klar bleiben: Das Außergewöhnliche der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen hat auch für die Angehörigen der nachgewachsenen Generationen Konsequenzen: Auf sie kommt nämlich die ebenfalls außergewöhnliche Aufgabe zu, das heute verfügbare Wissen aktiv zu bewahren und verantwortlich mit ihm umzugehen. Das können die Älteren sich wünschen, ohne den Jüngeren vorschreiben zu wollen, mit welcher Intensität und in welchen Formen sie die künftige deutsche Erinnerungskultur im Einzelnen gestalten wollen.

Die Herausforderung bleibt.


Prof. Dr. Wolfram Wette ist Historiker und Mitglied der DFG-VK. Dieser Text wurde von ihm als Vortrag zum Abschluss der Ausstellung "Die Deportation nach Gurs 1940. Das Schicksal der Badener jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens in der Nazi-Zeit" am 8. Dezember 2010 in der Katholischen Akademie Freiburg im Breisgau gehalten.


Anmerkungen

1) Thorsten Eitz/Georg Stötzel: Wörterbuch der "Vergangenheitsbewältigung". Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Hildesheim 2007. Eintrag "Vergangenheitsbewältigung"

2) Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 2007. Siehe dazu die Rezension von Helmut König in: H-Soz-u-Kult, 20.10.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-herlin.de/rezensionen/2008-4-059

3) Vgl. dazu Eitz/Stötzel, Wörterbuch (wie Anm. 1), S. 601-625

4) Auf positive Elemente der Vergangenheitsbewältigung hebt der russische Historiker Alexander Borosnjak ab: Erinnerung für morgen: Deutschlands Umgang mit der NS-Vergangenheit aus der Sicht eines russischen Historikers. Gleichen, Zürich 2006, S. 7 f.

5) Andreas Eichmüller: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945. Eine Zahlenbilanz. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 26 (2008), S. 621-640

6) Siehe Stichwort "Amnesien" in: Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), 92-94, und Stichwort "Verjährungsdebatten", ebda., S. 199 ff.

7) Vgl. im Einzelnen Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989. Bonn 3. Aufl. 1996. Zusammenfassend Wolfram Wette: Der KZ-Kommandant Schwammberger und die deutsche Justiz. In: Almut Greiser, Der Kommandant. Ein NS-Täter in der Erinnerung von Überlegenden. Berlin 2011

8) Siehe Fischer/Lorenz (wie Anm. 2), Stichwort "Wiedergutmachungs- und Entschädigungsgesetze", S. 58-60

9) Siehe das Stichwort "Zwangsarbeiter-Entschädigung" in: Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), S. 323-325

10) Siehe die Abschnitte "Erste Reflexionen" und "Schuld- und Unschulddebatten" in: Fischer/Lorenz. Lexikon (wie Anm. 2), S. 30-57

11) Vgl. dazu Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996

12) Edgar Wolfrum: Die beiden Deutschland. In: Volkhard Knigge/Norbert Frei (Hrsg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord. München 2003, S. 133-149, hier: S. 134

13) Siehe Stichwort "131er-Gesetzgebung" in: Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), S. 94-96, sowie den Abschnitt "Ungebrochene Karrieren" in: Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), S. 92-106, und Norbert Frei, Vergangenheitspolitik (wie Anm. 11)

14) Ralph Giordano: Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein. Hamburg 1987

15) Auch diese Beschreibung der "unbewältigten Vergangenheit" fand ihren Kritiker. Für den jungkonservativen Zeithistoriker Manfred Kittel war die Adenauer-Ära "ein einziger Versuch, die NS-Vergangenheit ideell und materiell zu bewältigen". Siehe dessen als Anti-Giordano konzipierte Schrift: Die Legende von der "zweiten Schuld". Vergangenheitsbewältigung in der Ära Adenauer. Frankfurt/M., Berlin 1993. Dazu die Rezension von Willi Jasper: Endlich wieder normal? Ein neues Produkt jungkonservativer Geschichtsrevision: Manfred Kittel über dir angeblich geglückte "Vergangenheitsbewältigung" nach 1945. In: Die Zeit Nr. 40, 1.10.1993

16) Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), S. 184.

17) Vgl. Konrad H. Jarausch: Der nationale Tabubruch. Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik in der Fischer-Kontroverse. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, S. 20-40; sowie Immanuel Geiss: Zur Fischer-Kontroverse - 40 Jahre danach. In: ebda., S. 41-57.

18) Vgl. die vorzügliche Biographie von Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie. München 2009.

19) Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München 2. Aufl. 2008, Kapitel "Kinder der Verdrängung. Die Geburt einer Generation aus dem Geiste der NS-Kritik" (S. 79-88).

20) Eine Feststellung aus dem Jahre 1961. Zit. nach Frei, 1968 (wie Anm. 19), S. 80.

21) Tilmann Moser: Politik und seelischer Untergrund. Frankfurt/M. 1993, S. 84

22) Zit. nach Wolfrum, Deutschland (wie Anm. 12), S. 139

23) Wolfram Wette (Hrsg.): Filbinger - eine deutsche Karriere. Springe 2006

24) Adorno äußerte er Zweifel. "dass man das Vergangene im Ernst verarbeite, seinen Bann breche, durch helles Bewusstsein, sondern man will einen Schlussstrich darunter ziehen und womöglich es selbst aus der Erinnerung wegwischen". Siehe Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? 1963. Zit. nach Eitz/Stötzel, Wörterbuch (wie Anm. 1), S. 604 f.

25) Richard v. Weizsäcker: Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ansprache am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1985

26) Weizsäcker, 40. Jahrestag (wie Anm. 25), S.5 f.

27) Zur Einschätzung siehe auch Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), S. 232-235

28) Siehe im Einzelnen Hannes Heer: "Hitler warís". Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit. Berlin 2005

29) Weizsäcker, 40. Jahrestag (wie Anm. 25), S. 6

30) Zur Kritik des Versöhnungs- und Erlösungsversprechens vgl. Ulrike Jureit/Christian Schneider: Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung. Stuttgart 2010, S. 38 ff. Es handle sich um "säkulare Inanspruchnahme" eines "religiösen Erinnerungsgebots" (ebda., S. 39).

31) Aufgrund der Forschungen von Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945. Stuttgart 1978

32) Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. 3 Bde. Frankfurt/M. 1990

33) Näheres in Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), Abschnitt "Erzählmuster und Aneignungsverhältnisse" (1979-1995), S. 243-256

34) Hannes Heer/Klaus Naumann (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Hamburg 1995

35) Siehe im Einzelnen Wolfram Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden. Frankfurt/M. 2002.

36) Vgl. Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003.

37) Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München 2006, S. 277 f. Zitat von Joachim Landkammer et al. (Hrsg.): Erinnernngsmanagement. Systemtransformation und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. München 2006, S. 279

38) Vgl. Christian Staas: Was geht uns das noch an? In: ZEIT-Magazin Nr. 46, 4.11.2010, S. 12-15, hier: S. 15

39) Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. 2 Bde. Bonn o.J. (1997/98)

40) Vgl. Daniel Levy/Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter. Der Holocaust. Frankfurt am Main 2001

41) Siehe die Ansprache des Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert (CDU) in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 25.1.2008. In: Bulletin Nr. 10-1 der Bundesregierung vom 27.1.2008: Gedenkstunde: 27. Januar - Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

42) Volkhard Knigge: Statt eines Nachworts: Abschied der Erinnerung. Anmerkungen zum notwendigen Wandel der Gedenkkultur in Deutschland. In: ders./Norbert Frei (Hrsg.), Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord. München 2002, S. 423-440, hier: S. 423

43) Erklärung des Stockholmer Internationalen Forums über den Holocaust / 26.-28. Januar 2000). Siehe:
http://holocaust-forum.gov.se/. Vgl. auch die erste historiographische Untersuchung dieser Konferenz von Jens Kroh: Transnationale Erinnerung. Der Holocaust im Fokus geschichtspolitischer Initiativen. Frankfurt/M. 2008. Dazu Tanja Schult: Rezension zu Jens Kroh: Transnationale Erinnerung. Der Holocaust im Fokus geschichtspolitischer Initiativen. Frankfurt am Main 2008, in: H-Soz-u-Kult, 23.07.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-052

44) FAZ, zitiert nach Harald Welzer: Opa in Europa. Erste Befunde einer vergleichenden Tradierungsforschung. In: ders. (Hrsg.), Der Krieg der Erinnerung. Holocaust, Kollaboration und Widerstand im europäischen Gedächtnis. Frankfurt/M. 2007, S. 7-40, hier: S. 7

45) Ebda.

46) Siehe Fischer/Lorenz, Lexikon (wie Anm. 2), Eintrag "Holocaust-Mahnmal in Berlin", S. 290-293

47) Ulrike Jureit/Christian Schneider: Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung. Stuttgart 2010

48) Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Berlin 2004

49) Vgl. etwa Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizei-Bataillon 101 und die "Endlösung" in Polen. Reinbek 1993; Harald Welzer: Täter. wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt a. M.: S. Fischer-Verlag 2005

50) Vgl. Michael Schwab-Trapp: Der Nationalsozialismus im öffentlichen Diskurs über militärische Gewalt. Überlegungen zum Bedeutungswandel der deutschen Vergangenheit. In: Wolfgang Bergen (Hrsg.). Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs. Opladen 2003, S. 171-186

51) Wolfram Wette: Eine stille Revolution. Deutschlands Weg vom Militarismus zur zivilen Gesellschaft. In: Manfred Budzinski (Hrsg.): Das Maß des Friedens ist der Frieden selbst. Konstruktiver Pazifismus im 21. Jahrhundert. Dokumentation einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll 27. bis 29. Juni 2008. Bad Boll: Evangelische Akademie 2008, S. 14-38

52) Harald Schoen: Ein Bericht von der Heimatfront. Bürger. Politiker und Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. In: Politische Vierteljahresschrift, 51. Jg. (2010), Heft 3, S. 393-408

53) Ernst Nolte: Eine Vergangenheit. die nicht vergehen will. Veröffentlicht in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Juni 1986. Wiederabdruck in: "Historikerstreit". Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München, Zürich 8. Aufl. 1991, S. 39-47

54) Christian Meier: Das Gebot zu Vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. München 2010. S. 10

55) Thomas Dehler am 11.1.1950 in der Debatte über den Überleitungsvertrag. Zit. nach Annette Weinke: Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutsehland. Vergangenheitsbewältigungen 1949-1969, oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg. Paderborn u.a. 2002, S. 59

56) Meier, Gebot (wie Anm. 55). Als Reaktion auf die Erinnerungskultur hat sich eine regelrechte "Vergessensforschung" entwickelt. Vgl. etwa Gary Smith/Hinderk M. Emrich (Hrsg.): Vom Nutzen des Vergessens. Berlin 1996; Harald Weinrich: Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens. München 1997

57) Titel des Buches von Aleida Assmann (siehe Anm. 36)

58) Wolfrum, Deutschland (wie Anm. 12), S. 140

59) Knigge, Nachwort (wie Anm. 12), S. 423 ff.

60) Zum ganzen Spektrum des deutschen Widerstandes vgl. den repräsentativen Sammelband von Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Bonn (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 438) 2004

61) Vgl. Dirk Heinrichs: Vom Vergessen und Erinnern des Guten. Betrachtungen zum Retterwesen. In: Wolfram Wette (Hrsg.), Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. Frankfurt/M. 2. Aufl. 2006, S. 323-340


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 29 - I/2011, S. 24 - 34
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2011