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BERICHT/237: Erstes europäisches Hearing US-amerikanischer und britischer Irak-Veteranen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Desertieren, verweigern, Öffentlichkeit schaffen
Erstes europäisches Hearing US-amerikanischer und britischer Irak-Veteranen

Von Frank Brendle


Aussteigen ist möglich: Im südbadischen Freiburg berichteten Mitte März acht ehemalige Soldaten der US- und britischen Armee über ihre Einsätze im Irak, in Afghanistan und in Guantanamo. Die Versammlung mit dem Titel "Winter Soldier" war das erste Hearing dieser Art, das außerhalb der USA stattfand. Mit über 100 TeilnehmerInnen war die Veranstaltung recht gut besucht.

Was kann man von solchen Veranstaltungen erwarten? Dass der Krieg brutal und ungerecht ist, dürfte allen schon vorher bekannt gewesen sein. Die Anhörung glänzte weniger in tief schürfenden Analysen, sondern dadurch, schlaglichtartig das ganz persönliche Kriegserleben der beteiligten Soldaten zu schildern. Mitveranstalter Rudi Friedrich von Connection e.V. sagte, Sinn der Veranstaltung sei es, "die Rädchen im Getriebe unter die Lupe zu nehmen" und öffentlich zu machen, was die Soldaten kriegführender Staaten erlebten. Das ist gelungen: Was man im Allgemeinen über Misshandlungen durch US-Soldaten und die Brutalität des Krieges bereits wusste, wurde durch das Hearing eindrücklich konkretisiert. Dass die "Meinen Rädchen" bereit waren, über ihr Mitwirken am verbrecherischen Getriebe zu berichten, ist ihnen auch persönlich hoch anzurechnen. Zugleich machten sie deutlich, dass es auch für Soldaten einen Ausweg gibt: desertieren, verweigern oder zumindest hinterher Öffentlichkeit schaffen und Kontakt suchen und auf diese Weise die Antikriegsaktivitäten unterstützen.

So berichtete der Kalifornier Eddie Falcon, die Armee schüre den Rassismus, "denn das macht es leichter, alles in die Luft zu jagen." Der frühere Lademeister der Luftwaffe war an Gefangenentransporten von Bagdad nach Basra beteiligt: Zunächst seien Militärpatrouillen "von Haus zu Haus gegangen und haben Leute hinausgezerrt". Denen wurden die Augen verbunden, an Händen und Füßen gefesselt wurden sie in eine Frachtmaschine gezerrt, genauer: "Sie wurden getreten, bis sie im Flugzeug drin waren". Dort wurden sie, im Schneidersitz auf dem Boden sitzend, mit Frachtgurten festgezurrt. Statt Toiletten gab es Windeln. Keiner habe ihnen erklärt, was passiert.

Der Hubschraubermechaniker André Shepherd (vgl. das ZivilCourage-Interview mit ihm in der Ausgabe 1/2009) schilderte, wie er seine ursprüngliche Überzeugung, zu den "guten Jungs" zu gehören, Schritt für Schritt verlor. Im Irak-Einsatz oblag ihm die Wartung von Apache-Kampfhubschraubern, anfangs hoffte er noch auf eine Karriere als Pilot, bis ihm aufgefallen sei, "dass die Iraker bei unserem Anblick nicht den Eindruck machten, sich erleichtert zu fühlen." Er begann, Fragen zu stellen, und erfuhr, dass viele seiner Kameraden den Sinn des Krieges nicht Capps, verstanden. Er recherchierte im Internet und kam zum Schluss, dass er an einem imperialistischen Krieg mitwirke. "Mein Weltbild brach zusammen." Der Erkenntnis folgte die Desertion. Shepherd hat mittlerweile in der BRD einen Asylantrag gestellt.

Chris Arendt, der als 19-Jähriger in Guantanamo eingesetzt worden war, schilderte Details der entmenschlichenden Gefangenenbehandlung.

Mehrfach angesprochen wurden die Rekrutierungsbedingungen für das "Freiwilligenheer" der USA: "Ich war damals obdachlos, wollte ein besseres Leben und die Welt kennenlernen", so Shepherd. Bei Kaffee und Kuchen hätten ihm die Werber mitgeteilt, er könne mithelfen, die Welt vor bin Laden, Saddam Hussein und Kim Jong Il zu retten. Verschwiegen hätten sie hingegen, dass das Militär die vereinbarte Dienstzeit einseitig verlängern kann. Bei Falcon war es ähnlich: Er sei buchstäblich "auf den Straßen von L.A." aufgewachsen, als Sohn einer armen mexikanischen Einwanderin und eines Vaters, "der sich das Gehirn mit Drogen aufweichte". Ein Jahreseinkommen von 60.000 US-Dollar erschien da als einmaliges Angebot. Shepherd befürchtet, dass die aktuelle Wirtschaftskrise die Armee "wieder verstärkt als ernstzunehmende Option erscheinen lässt".

Deutlich wurde, dass auch die Täter nicht unversehrt aus dem Krieg herausgehen: Die britischen Veteranen Lee Kamara und Martin Webster, die acht bzw. elfeinhalb Jahre in der Armee waren, leiden heute unter psychischen Problemen infolge schwerer Gewalterfahrungen. Die Psychologin Rose Kazma gab einen Einblick in die Moral der US-Armee. 300.000 Veteranen litten unter posttraumatischen Belastungsstörungen oder Depressionen, rund 20 Prozent kehrten mit angeschlagener Psyche aus dem Einsatz zurück, jedes Jahr kämen 20.000 neue hinzu. Die Zahl der Selbstverstümmelungen habe sich auf 1.200 versechsfacht, in Afghanistan stürben mittlerweile mehr US-Soldaten durch Selbstmord als durch Aufständische.

Die Forderung der Veteranen ist eindeutig: "Bringt die Truppen heim und kümmert Euch um sie!" Der Unterstellung der meisten US-Medien, Verbände wie "Irak Veterans against the War" seien vaterlandslos, hielt der Journalist Zack Baddorf (der früher Öffentlichkeitsarbeit für das Militär betrieb) entgegen: "Sie sind keine Verräter, sondern mutige Patrioten."

Na ja, da hat wohl mancher Linke geschluckt. Es sei der kleine Hinweis erlaubt: Nicht jeder der Soldaten taugt als Identifikationsobjekt. Sie können Bündnispartner sein, aber wer erwartet, auf astreine Pazifisten zu stoßen, täuscht sich. Mancher von ihnen zweifelt nicht am Militär an sich, nicht an der Legitimation von "Verteidigungskriegen", sondern nur am Missbrauch der US-Armee. Aus Sicht des Autors kein Grund, auf solche Veranstaltungen zu verzichten.


Frank Brendle ist ZivilCourage-Redakteur und aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dave Cortelyou, Chris Arendt, Darnell Stephen Summers, Chris Capps, Eddie Falcon, Zack Baddorf und Lee Kamara (v.l.n.r.)


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009, S. 24
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2009