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BERICHT/211: Auf Achse für Frieden und Abrüstung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Auf Achse für Frieden und Abrüstung
DFG-VK-Friedensfahrradtour 2008 mit TeilnehmerInnenrekord -
Solidarität mit den tschechischen GegnerInnen der US-Radarbasis in Brdy

Von Florian Wieckert


"Es überrascht mich, dass gerade Deutsche für den Frieden kämpfen. Aber ja, die Zeiten ändern sich wohl." So kommentierte ein Passant den Besuch der FriedensradfahrerInnen im tschechischen Plzen, der vorletzten Station der diesjährigen Friedensfahrradtour der DFG-VK-Landesverbände Bayern und Baden-Württemberg.

Die Zeiten könnten sich tatsächlich ändern, wenn auch in anderer, fataler Weise - wenn die USA mit dem Bau der Radarbasis, die den künftig in Polen stationierten Abwehrraketen im Angriffsfall das Datenmaterial liefern soll, einen neuen Kalten Krieg mit Russland heraufbeschwören sollten. Einen Beitrag zur Verhinderung der US-Pläne leistete die Friedensfahrradtour, die vom 2. bis 10. August etwa 25 PazifistInnen von Ulm über Günzburg, Gundremmingen, Donauwörth, Ingolstadt, Manching, Regensburg, Nabburg, Waidhaus und Plzen nach Rozmitál pod Tremsinem führte. Um Aufmerksamkeit zu erregen, wurden an den Fahrrädern Fahnen der DFG-VK befestigt und Flugblätter mit Friedenskeksen und in Rätsel gepackte Informationen über erfolgreichen gewaltfreien Widerstand in der Geschichte verteilt. Zudem veranstalteten die FriedensfahrerInnen in den größeren Städten Infostände und Kundgebungen.

Bis Regensburg folgte die Gruppe weitgehend dem Donauradweg und besuchte auf dieser Strecke Standorte von EADS und Tochterunternehmen. Nach einem Auftaktkorso durch Ulm, wo EADS Radartechnik und Militärelektronik produziert, fuhren die FriedensradlerInnen über Günzburg zum Atomkraftwerk Gundremmingen, wo gemeinsam mit dem Vertreter einer lokalen BürgerInneninitiative eine Mahnwache abgehalten wurde. Erörtert wurden die KiKK-Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters aus dem letzten Jahr, die endgültig einen klaren Zusammenhang zwischen dem Krebsrisiko bei Kindern und deren Wohnortnähe zu AKWs belegt, sowie die mögliche Verwertung angereicherten Plutoniums in Atomwaffen. In Donauwörth passierten die FriedensradlerInnen das Werksgelände von Eurocopter, einem Hersteller von Militär- und Zivilhubschraubern mit dem Mehrheitseigentümer EADS. Am nächsten Morgen veranstalteten die FrühaufsteherInnen Demos vor den Werkstoren des Betriebs und verteilten Flugblätter an die eintreffenden MitarbeiterInnen. Die Resonanz war überwiegend positiv, ein Arbeiter erklärte sogar ganz offen: "Ihr habt's Recht."

Eine Fahrraddemo durch die Altstadt mit anschließender Kundgebung am Infostand bildete das Programm in Ingolstadt. Grußworte sprachen ein örtlicher Vertreter des DGB und die Wahlkreismitarbeiterin der Linken-Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter. Am nächsten Morgen gab es erneut eine Frühaktion, diesmal beim Eurofighter-Werk in Manching. Auf dem Weg nach Regensburg besuchte die Gruppe den US-amerikanischen Bombenabwurfplatz bei Siegenburg, seit Ende des Zweiten Weltkriegs ein Testgelände der US-Armee in Deutschland. Einen Höhepunkt der Fahrradtour bildete der Abend in Regensburg: Zum Abendessen waren die RadlerInnen bei einem pensionierten Schiffskoch eingeladen, der mit delikaten Schmankerln die ganze Gruppe verwöhnte; anschließend begeisterte das Oberpfälzer Rockkabarett "Ruam" ("Rüben") mit Blues und Rock zu originellen und politischen Texten. Zum Abschluss des Besuchs in Regensburg fand am nächsten Morgen, dem 6. August, anlässlich des 63. Jahrestages des US-Atombombenabwurfs über Hiroshima eine Kundgebung mit Bildern der zerstörten Stadt und ihrer BewohnerInnen statt.

Weiter ging's nach Burglengenfeld, wo die Gruppe vom 2. Bürgermeister Georg Tretter (SPD) empfangen und bewirtet wurde. In seiner Grußrede hob er die Konversion einer alten Kaserne zu einem Schul- und Freizeitgelände hervor. Altlandrat und Anti-WAA-Veteran Hans Schuierer übergab eine Grußadresse an den Bürgermeister von Rozmitál. Eine Spontandemonstration gegen einen Infostand der NPD markierte den Abschluss. In Schwandorf besuchten Bürgermeister Helmut Hey (SPD) und Vertreter der regionalen Presse den Infostand der Tour. Auf der Fahrt nach Nabburg wurden die FriedensradlerInnen sogar von einer Reporterin von Oberpfalz-TV gefilmt. Beim Abendessen in einem idyllischen Biergarten in Nabburg stellte sich Bürgermeister Armin Schärtl (SPD) bis tief in die Nacht der Diskussion mit Interessierten.

Anderntags stand noch ein Empfang des Pfreimder Bürgermeisters Arnold Kimmerl (ÖDP) an. Zwar vermied er alle Aussagen zum örtlichen Militär und zum Thema Mayors for Peace, radelte aber mit der Friedensfahrradtour noch ein ganzes Stück durch den Oberpfälzer Wald in Richtung Waidhaus.

Ab dort übernahm Miroslav Prokes von den tschechischen Initiativen neradaru.cz ("Nein zum Radar") und Ne základnám ("Nein zu den Militärbasen") die Führung der Gruppe. Der Vizepräsident der Naturfreunde-Internationale hatte die tschechischen Etappen und Veranstaltungen organisiert. Bleibende Eindrücke hinterließen die malerische Landschaft Böhmens und ihre aufgeschlossenen BewohnerInnen: Nirgendwo sonst auf der Tour wurden die mit einem freundlichen "Za mir" ("Für den Frieden") übergebenen Flugblätter so gerne genommen - dies spiegelt auch die Mehrheitsmeinung in der tschechischen Bevölkerung wider, die zu 70 Prozent die US-Radarbasis ablehnt.

In Trokavec am Rand des Brdywalds, 25 Kilometer südöstlich von Plzen, wurden die RadfahrerInnen von Bürgermeister Jan Neoral (parteilos) empfangen. Die Gemeinde ist aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zur geplanten Basis besonders von den US-Plänen betroffen und hatte im März 2007 ein lokales Referendum durchgeführt, bei dem sich nahezu alle Stimmberechtigten gegen den Bau der Radarbasis aussprachen. Auf dem letzten Teilstück der Tour nach Rozmitál stießen noch einmal etwa 20 tschechische MitstreiterInnen zur Gruppe. Auf dem Gelände des städtischen Freibads in Rozmitál wurden die FriedensradlerInnen schließlich von etwa 150 tschechischen und deutschen FriedensfreundInnen empfangen.

Bei der Abschlusskundgebung sprachen u.a. Jan Májícek für die vereinigten tschechischen Anti-Radar-Initiativen, Thomas Rödl als Landessprecher der DFG-VK Bayern und Organisator der Tour, der Abgeordnete des sächsischen Landtages Heiko Kosel (LINKE), der bereits seit Plzen mitradelnde Europaabgeordnete Jaromír Kolícek (Linksfraktion) sowie Rozmitáls Bürgermeister Josef Vondrácek (KPBM).

Im Namen der DFG-VK sprach sich Thomas Rödl gegen Raketenbasen in Europa überhaupt aus und forderte anlässlich des Nagasaki-Tags die weltweite atomare Abrüstung. Zudem verwies er darauf, dass die geplante Radarbasis genau wie die Standorte der US-Armee in Grafenwöhr (Truppenübungsplatz), Ansbach-Katterbach (Ausbildung von Hubschrauberpiloten), Ramstein (Luftwaffenstützpunkt und Militärflughafen) und das Hauptquartier der Nato-Landstreitkräfte in Heidelberg allesamt am 49. Breitengrad liegen und dass der geplanten US-Basis im Brdywald wohl auch die unausgesprochene Funktion zukomme, diese Stützpunkte zu schützen.

Jan Májícek hob die Gefährdung der Region hervor, wenn die Basis tatsächlich gebaut würde, da diese als "Auge" und unabdingbare Voraussetzung des Raketenabwehrsystems der USA im Fokus eines Angriffs auf die USA stehen würde. Jaromir Kolícek ergänzte, dass die Elektronik der zivilen Luftfahrt durch den Radar gefährdet werden könnte. Bürgermeister Vondrácek zerteilte zum Abschluss der Kundgebung symbolisch eine Torte in Form einer Radarstation, die umgehend von den FriedensradlerInnen verzehrt wurde, bis von der "Radarbasis" nichts mehr übrig war. Zum Abschluss der Tour feierten tschechische und deutsche FriedensfreundInnen ein Fest mit Grillen und gemeinsamer Musik.

Auch dank des Engagements der OrganisatorInnen und Begleit-AutofahrerInnen wurde die diesjährige Friedensfahrradtour wieder ein Erfolg. Davon zeugen nicht nur die rund 4.500 verteilten Flugblätter und die bislang höchste Zahl an TeilnehmerInnen. Wichtiger dürften die vielen individuellen Diskussionen, die neu geknüpften oder intensivierten Kontakte mit anderen antimilitaristisch orientierten Organisationen und DFG-VK-Ortsgruppen sowie vor allem das breite Medienecho in beiden Ländern sein.

Die Zeiten könnten sich im Sinne des Friedens ändern - dafür müssen wir aktiv bleiben. Oder, wie Peter Strutynski es in der Solidaritätsadresse der Sommerakademie des Friedensratschlags an die Tour formulierte: "Radfahren macht in der Gruppe viel Spaß. Leben in Frieden macht dauerhaft Spaß."


Florian Wieckert ist Mitglied im LandessprecherInnenkreis der DFG-VK Bayern.


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Die US-Radarbasis im Brdywald bei Trokavec

Nach der einseitigen Aufkündigung des ABM-Vertrags (2002) planen die USA nun im Rahmen ihres Nationalen Raketenabwehrsystems (NMD) bis 2011 den Bau einer Radarbasis im tschechischen Brdywald, der aufgrund seiner strategisch günstigen Lage seit der Nazizeit militärisches Sperrgebiet ist. Die Radarstation soll sich nähernde gegnerische Interkontinentalraketen identifizieren, deren Flugbahn berechnen und die gewonnenen Daten an die US-Raketenbasis in Polen übermitteln. Nach US-Angaben soll die Raketenabwehr gegen Angriffe von "Schurkenstaaten" und "Terroristen" schützen, die aber mittelfristig gar nicht in der Lage sein Werden, die USA mit Raketen anzugreifen bzw. voraussichtlich andere Wege wählen würden. Vielmehr dürften sich die Basen gegen das nahe Russland richten, dass nervös auf die US-Pläne reagiert. So drohte der russische General Nikolaj Solowzow Mitte Dezember 2007 damit, dass russische Raketen auch auf Tschechien ausgerichtet werden könnten. Am 21. Mai billigte das tschechische Kabinett den Bau der Radarstation, obwohl sich fast 70 Prozent der Bevölkerung dagegen aussprechen. 77 Prozent fordern ein Referendum, das den Bau noch aufhalten könnte.

Florian Wieckert


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September 2008, S. 18-19
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2008