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BERICHT/204: Eindrücke von der "Games Convention" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Make War, Not Love
Eindrücke von der "Games Convention"

Von Stephan Möhrle


Für wenige Sekunden erhellt das Mündungsfeuer eines Maschinengewehrs meine Umgebung, ehe ein Granateinschlag die Luft vibrieren lässt. Bedrohlich laut nähert sich eine Rakete von irgendwo her. Blitzschnell drehe ich mich um, erneut bebt der Boden unter mir. In diesem Moment schlägt die Rakete ein, der Untergrund erzittert, ich werde unkontrolliert durch die Gegend geschleudert. Plötzlich wird alles um mich herum in blutrote Farbe getaucht - das eindeutige Signal, dass ich tödlich getroffen worden bin.

Ich befinde mich in einem komplett abgedunkelten Raum, an dessen Wänden stehen elf Computerterminals. Neben den Terminals leuchten farbige Lichtstäbe, die sich der jeweiligen Situation anpassen. Um das Kriegserlebnis möglichst realistisch zu gestalten, kann der gesamte Raum vibrieren. An diesem Ort kann man sich gegenseitig jagen, beschießen und abknallen. Unwillkürlich stehe ich auf, mache dem nächsten Besucher Platz, der bereits sehnsüchtig in der Reihe gewartet und ungeduldig auf den Monitor geglotzt hat. An einer der Wände steht unübersehbar der Werbeslogan "Philips - See, hear and feel the Game".

Der Philips-Stand ist nur einer von vielen auf dieser so genannten "Fachmesse für Unterhaltungselektronik", die vom 19. bis 23. August in Leipzig stattgefunden hat. "Fachpublikum" treffe ich allerdings kaum, meine Nachfragen können nur von wenigen sachkundig beantwortet werden. Zum Fragenstellen sind auch die Wenigsten hier. Die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen warten in langen Schlangen. Denn hier in den Leipzig Messehallen können sie ihre Helden aus den altbekannten Computerspielen bei neuen Abenteuern begleiten.

Die bekanntesten der Stände sind übervölkert, die längsten Schlangen verzeichnen die bekannten Online-Rollenspiele wie "World of Warcraft" und "Starcraft" oder die bekannten Ego-Shooter-Spiele wie "Call of Duty". Hierher kommen die Gamer vor allem deshalb, weil demnächst der heiß erwartete neue Teil "World at War" erscheint.

Zwischen all den Platinen, Laufwerken und Festplatten brüllen mich virtuelle Marktschreier von ihren Bühnen und Monitoren herab an. Ihre Botschaft ist immer die gleiche: Du willst mich! Du brauchst mich! Kauf mein Produkt! Los, kauf es endlich! Kaufe! Kaufe! Kaufe!

In den wenigen ruhigen Ecken, den so genannten "Chill-Out-Lounges", stehen Fernseher mit Kopfhörern bereit. In meiner Lounge liegen sechs Menschen, die vor Übermüdung eingeschlafen sind, vor den neun Fernsehterminals. Die restlichen drei Kids sind derart tief in ihr Computerspiel vertieft, dass ich erst gar nicht versuche, sie wegzuschicken. Erschlagen von den vielen Sinneseindrücken setze ich mich in die Ecke und lasse meinen Blick in die Runde schweifen. Hier sind viele Kostümierte unterwegs; zwei US-Soldaten, mindestens sechs Anime-Comic-Figuren und eine unbestimmbare Anzahl an Elfen, Wölfen und sonstigen Fantasiewesen - alles altbekannte Figuren aus den verschiedensten Games.

Nachdem ich mich im Halbschlaf ausgeruht habe, werde ich wieder Teil des Besucherstroms einer heillos überfüllten Messe für Computermenschen. Wieder werde ich von oben und von der Seite von Krach beschallt, wieder werden meine Blicke, wie die unzähliger anderer, von zahllosen Bildschirmen angezogen. In ihnen laufen Games aller Art - mal rasant, mal gewalttätig, mal sexistisch.

In heiß begehrten gesonderten Bereichen können neue Shooter-Spiele wie "Metal Gear Solid 4" getestet werden. Neugierig begebe ich mich in einen solchen Testraum. Weniger, weil ich selbst spielen will, vielmehr um einigen Gamern zuzuschauen. Was ich sehe, ist einfach zu beschreiben: Krieg in allen Formen und Farben. Viele, zumeist deutlich übergewichtige Spieler, jagen einander mit deutschen G36-Gewehren, russischen AK74 und amerikanischen M-4 durch virtuelle Welten. In irgendwelchen Kellergewölben, Ruinen oder Wüstenlandschaften spritzt Blut ohne Ende. Abgeschossene Körperteile fliegen durch die Gegend, Köpfe plätzen wie Kürbisse.

Als ich einen Firmenvertreter zu dem Geballere befragen will, stelle ich fest, dass außer den Gamern, den Türstehern und den Bereichswächtern niemand anwesend ist, den ich hätte fragen können. Aber so ist das eben auf einer "Fachmesse für Unterhaltungselektronik". Dafür scheinen die Kids, die ich beim Endlosspielen beobachte, etwas anderes zu sehen als ich. Sie freuen sich mit jedem Headshot über weitere Belohnungspunkte.

Dieser Raum vibriert zwar nicht, dafür besticht er durch eine hervorragende Grafik. Ich kann beim Mörsereinschlag sogar kleine Steinchen wegfliegen sehen. Ein ziemlich dicker Junge mit langen dunklen Haaren und einem sehr langen schwarzen Ledermantel gibt den unbesiegbaren Helden. Auf seinem Rucksack prangt ein G36-Gewehr und der Schriftzug "Make WAR, not Love". Angesichts des Gemetzels in diesem Raum wirkt der Messestand der Bundeswehr mit dem Slogan "Entschieden für Frieden" verharmlosend. Denn die Jungs, die hier virtuell Krieg spielen, werden womöglich viel zu spät kapieren, dass sie der Weg zur Armee wieder auf Schlachtfelder führen wird - dann allerdings auf reale.


Der Gymnasiast Stephan Möhrle hält als Vorstandsmitglied der DFG-VK-Ortsgruppe Freiburg und Mitglied im Vorstand des Rüstungs-Informations-Büros (RIB e.V) Vorträge zum Thema "Krieg in Kinderköpfen" und hat ein Planspiel zum Thema "Sollen Killerspiele verboten werden?" für Jugendliche mitentwickelt. Dieses hat er bereits vielfach mit Schulklassen und Jugendgruppen durchgeführt. Kontakt: StephanMoehrle@web.de


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September 2008, S. 14-15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/18 05 82 87, Telefax: 01212/571 94 60 95
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2008