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AKTION/054: Krieg beginnt am Niederrhein - Demonstration in Kalkar (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Krieg beginnt am Niederrhein
Demonstration in Kalkar gegen ein für Bundeswehr und Nato zentrales Kriegsführungszentrum

Von Joachim Schramm


Im August konnte man den Medien entnehmen, dass Eurofighter vom Stützpunkt der Bundesluftwaffe im rheinischen Nörvenich gestartet waren, um für vier Monate über den baltischen Staaten im Rahmen der Nato-Mission "Air Policing Baltikum" den Luftraum zu überwachen. Auch Flugzeuge anderer Nato-Staaten waren daran beteiligt. Im Rahmen dieser Aktion kam es wiederholt zu Begegnungen mit russischen Kampfflugzeugen, zum Glück handelten beide Seiten besonnen, und es kam zu keiner Eskalation.

Diese Ereignisse machten wenige Wochen vor der Demonstration der Friedensbewegung gegen die Nato-Kommandozentrale in Kalkar deutlich, warum Friedensaktivisten seit nunmehr drei Jahren ihr Augenmerk auf diese Einrichtung im nordwestlichsten Zipfel von Nordrhein-Westfalen gerichtet haben: Hier von Kalkar/Uedem aus steuerte die Nato-Einrichtung "Combined Air Operation Centre" (Coac) den Einsatz der Flugzeuge über dem Baltikum. Das Coac ist die Kommandozentrale für alle Nato-Lufteinsätze nördlich der Alpen bis zur russischen Grenze. Im Falle einer militärischen Eskalation an der Nato-Ostgrenze wäre Kalkar das Zentrum der Nato-Luftkriegsführung.

Mit dem Ostermarsch Rhein/Ruhr - in dem zahlreiche Friedensforen und -gruppen aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland zusammengeschlossen sind - als Kern organisiert die Friedensbewegung jeweils am 3. Oktober eine Demonstration zur Von-Seydlitz-Kaserne vor den Toren Kalkars. In diesem Jahr hatte die DFG-VK NRW vorgeschlagen, zusätzlich eine Menschenkette entlang der Kasernengrenze zu bilden, um so den zivilen Niederrhein von der Tötungsmaschinerie hinter dem Kasernenzaun zu trennen.

Kalkar ist einer der Bundeswehrstandorte, der im Zuge der Bundeswehrreform nicht etwa verkleinert, sondern ganz im Gegensatz vergrößert wurden. Um 400 Soldaten wurde der Standort aufgestockt, 1250 Soldaten und Zivilbeschäftigte tun dort ihren Dienst, bis 2018 sollen es 1400 sein. Hintergrund ist, dass in Kalkar gleich mehrere entscheidende Kommandostrukturen der Bundeswehr und der Nato an einem Ort untergebracht sind. Die Bundeswehr unterhält dort das "Zentrum Luftoperationen", das alle Aufgaben zur Planung und zur Führung von Luftkriegsoperationen im In- und Ausland übernimmt. Wenn also deutsche Militärflugzeuge in Afghanistan oder aktuell über Syrien im Einsatz sind, werden sie vom Zentrum Luftoperationen gelenkt und koordiniert. Als Sinnbild dieses Zusammenhangs wurde Anfang diesen Jahres ein Ortschild von Kalkar nach Afghanistan zum dortigen Einsatzgeschwader der Luftwaffe geschickt. Die ähnlichen Aufgaben hat das bereits oben erwähnte Coac, allerdings auf Nato-Ebene. Von diesen Einrichtungen existieren nur drei in Europa.

Die dritte wichtige Einrichtung in Kalkar ist das "Weltraumlagezentrum" der Bundeswehr. Immer stärker wird der Weltraum militärisch genutzt, z.B. durch die Bundeswehr mit ihrem hochmodernen Aufklärungssystem Sar Lupe. Das kann unabhängig von Wetter und Tageszeit Bilder von jedem beliebigen Punkt der Erde machen, also zentrale Informationen zur Kriegsführung liefern. Dieses und andere Systeme vor Angriffen, aber auch vor Kollisionen mit Weltraumschrott zu schützen und Warnungen vornehmen zu können, ist Aufgabe des Weltraumlagezentrums.

Während diese drei Einrichtungen in Kalkar/Uedem tagtäglich im Einsatz und in militärische Aktivitäten eingebunden sind, ist die vierte Einrichtung dort eine Nato-Denkfabrik. Im "Joint air power compentence center" arbeiten Militärs an der Entwicklung neuer Szenarien und Strategien für den Luftkrieg. Einmal im Jahr treffen sie sich mit Politikern und Rüstungsproduzenten zu einer Tagung, um sich mit ihnen auszutauschen. Dieses Zentrum führt alle Lippenbekenntnisse, dass Militär heute vorrangig für humanitäre Aufgaben zuständig sei, ad absurdum. In den Papieren dieser Einrichtung ist von der möglichen Führung eines großen Krieges in Europa die Rede und von der Anwendung von Atomwaffen. Die hier entwickelten Szenarien entsprechen zwar nicht der aktuellen Tagespolitik der Nato, doch sie zeigen, was in den Köpfen der Militärs vorgeht und was eines Tages auch möglich werden kann.

Krieg hier beenden

In diesem Jahr demonstrierten über 500 Menschen am 3. Oktober in Kalkar gegen die dortige Nato-Kommandozentrale, eine ähnlich große Zahl wie im Vorjahr. Sie machten mit dieser Aktion am Tag der deutschen Einheit deutlich, dass der Krieg, der Hunderttausende Menschen dazu zwingt, ihre zerstörte Heimat zu verlassen, auch hier in den Militäreinrichtungen im Rheinland beginnt und dass er hier beendet werden muss. Bei der Auftakt-Kundgebung auf dem Marktplatz in Kalkar sprachen Roland Vogt, Pazifist, Gründungsmitglied der Grünen und von 1991 bis 2006 Konversionsbeauftragter in der brandenburgischen Landesregierung, sowie Stephan Brackertz vom Arbeitskreis Zivilklausel an der Uni Köln. Moderiert wurde die Kundgebung von der DFG-VK-Landessprecherin Hannelore Tölke. Anschließend folgte die Demonstration zur Von-Seydlitz-Kaserne, wo sich die TeilnehmerInnen zu der Menschenkette entlang des Kasernenzauns zusammenschlossen. Vor der Kaserne hielt dann Sahra Wagenknecht, die damals noch stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken eine engagierte Rede.

Sahra Wagenknecht wandte sich dabei gegen die von Kalkar aus geleiteten Einsatz von voll kampfbereiten Militärflugzeugen an der russischen Grenze: "Solche Kriegsspiele können bei dem geringsten Missverständnis zum offenen Konflikt führen. Damit muss Schluss sein!" Am 3. Oktober feierte man an vielen Orten den 25. Jahrestag der deutschen Einheit. Sahra Wagenknecht erinnerte an einen zentralen Satz aus dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag: "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!" Diesen Satz würden die Friedensaktivisten ernst nehmen, aber nicht diejenigen, die solche Luftwaffenstützpunkte wie in Kalkar betrieben und auch sonst auf Militarisierung setzten, so Wagenknecht. Sie wandte sich gegen weitere Bombardierungen in Syrien, egal ob durch Nato-Staaten oder durch Russland, und forderte zivile Lösungen ein.

Die Schließung und Umwandlung von Militäreinrichtungen wie die in Kalkar in zivile Objekte war eine der zentralen Forderungen der Demonstration. Roland Vogt berichtete von erfolgreichen Konversionsprojekten in Brandenburg, verwies aber auch auf näher liegende Projekte wie im benachbarten Kevelar, wo ein ehemaliges Munitionsdepot in eine zivile Einrichtung umgewandelt wurde. Vogt forderte die Schaffung eines Bundeskonversionsprogramms, um die notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen. Er betonte darüber hinaus die Notwendigkeit der Konversion der ganzen staatlichen Ebene: "Es ist unsere Aufgabe, vor allem die Aufgabe der jungen Generation, sich stark zu machen dafür, dass die Europäische Gemeinschaft eine Zivilunion und keine Militärmacht wird."

Stephan Brackertz verwies auf die Rolle der Hochschulen als Orte, die solchen militärischen Denkfabriken wie der in Kalkar entgegenstehen müssten: "Wo, wenn nicht an den Hochschulen sollten Konflikte rationalisiert, über Kriegsursachen und -profiteure aufgeklärt und Voraussetzungen für eine friedliche und zivile Entwicklung erforscht werden?" Er verwies auf die Aufgabe, "den Geist der Waffen mit den Waffen des Geistes" zu bekämpfen.

Die DFG-VK war in der Vorbereitung und Durchführung der Aktion präsent, die Fahnen und Transparente der Aktiven aus unseren Ortsgruppen deutlich sichtbar. Mit einer Tagung "Für einen entmilitarisierten Niederrhein" hatten wir schon im Vorfeld für die Demonstration geworben und auf die anderen Militärstandorte in der Region aufmerksam gemacht. Hier wollen wir anknüpfen und im Rahmen eines Schwerpunkts unserer Landesverbandsarbeit den Widerstand in der Region stärken.


Joachim Schramm ist Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen DFG-VK-Landesverbands.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016, S. 20 - 21
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2016

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