FoodFirst Ausgabe 1/2016
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin. Für das Menschenrecht auf
Nahrung
Das Sterben in Parc Cadeau
Von Andreas Boueke
Das Elend in Lagern dominikanischer MigrantInnen haitianischer Abstammung an der Grenze zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik wird von der internationalen Gemeinschaft und den Lokalen Behörden weitgehend ignoriert. Das kostet täglich Menschenleben.
Eliezer Catraballo lässt seinen Blick über die wackligen Hütten
des Lagers Parc Cadeau streifen. Er selbst lebt im Süden der
Dominikanischen Republik. Ab und zu überquert er die Grenze zum
Nachbarland Haiti, um ein paar Nahrungsmittel in eines der
Migrantencamps zu bringen. Viel ist es nicht. Er selbst verdient
gerade mal genug, um seine Familie zu ernähren. "Ich sehe, wie
Menschen an Cholera erkranken und schließlich sterben." Diese Menschen
sind vor einem halben Jahr aus der Dominikanischen Republik vor einer
zunehmend aggressiven Stimmung gegenüber Personen haitianischer
Abstammung geflüchtet. Parc Cadeau ist eines von vier informellen
Lagern im Süden Haitis, in denen ein paar tausend MigrantInnen leben
und sterben. Anfang Dezember 2015 hat das Gesundheitsamt auf der
dominikanischen Seite einen Notstand ausgerufen. Die Choleraepidemie
im Grenzgebiet hat Ausmaße angenommen, die nicht mehr zu kontrollieren
sind. Pierre-Fils Lamartine ist der Repräsentant des haitianischen
Gesundheitsministeriums in der Gegend. Er versichert, dass er sich der
Notlage bewusst ist und alle notwendigen Maßnahmen in die Wege
geleitet hat. Doch wer in dem öffentlichen Krankenhaus behandelt
werden will, muss bezahlen.
Das Vierzehnjährige Mädchen Emmelie aus dem Lager Parc Cadeau erzählt, wie sie in der vergangenen Woche mit ihrem kranken Vater hilfesuchend in die Notaufnahme kam: "Wir haben kein Geld. Die Ärzte haben uns eine Flasche Wasser und zwei Tabletten gegeben. Für eine Behandlung hätten wir 1600 dominikanische Pesos zahlen müssen." Zwei Tage später starb Emmelies Vater in dem Camp Parc Cadeau.
Viele Bewohnerinnen des Lagers glauben nicht, dass ihre Angehörigen an Cholera sterben. "Wir verhungern", versichert Danilo, der einen Plastikeimer voll Wasser trägt. Das Wasser hat er aus einem Rohrausgang geholt. Eliezer ist nicht besonders glücklich über dieses Rohr. "Die Europäische Union hat es vor zwei Jahren verlegt", erklärt er. "Das Projekt hat ein paar hunderttausend Euro gekostet. Es bringt Wasser von dem Fluss, der weit entfernt oberhalb der Camps fließt. Als ich den Ingenieur gefragt habe, wie das Flusswasser behandelt wird, hat er geantwortet, dafür seien die lokalen Institutionen zuständig. Doch hier gibt es keine lokalen Institutionen, die kontrollieren, ob das Wasser sauber ist."
Danilo wurde in der Dominikanischen Republik geboren, genauso wie sein Vater. Sein Großvater war aus Haiti ins Nachbarland gezogen, um dort auf Zuckerplantagen zu arbeiten. Bis vor einem halben Jahr ist Danilo nie in Haiti gewesen. Er kennt und versteht die Kultur des Landes nicht. Er hat keine Papiere haitianischer Behörden. Aber in die Dominikanische Republik traut er sich auch nicht zurück. "Wir wollten dort bleiben, aber dann haben unsere dominikanischen Nachbarn begonnen, uns als schmutzige Haitianer zu beschimpfen."
Die englische Sozialwissenschaftlerin Bridget Wooding ist die Direktorin des Beobachtungszentrums für Migration in der Karibik, OBMICA.
Frage: Haiti und die Dominikanische Republik sind zwei
verschiedene Länder auf einer Insel. Wie würden Sie die Beziehungen
zwischen den beiden Gesellschaften beschreiben?
Bridget Wooding: Das Nebeneinander war schon immer sehr kompliziert. Haiti ist das ärmste Land des amerikanischen Kontinents, während die Dominikanische Republik als Schwellenland bezeichnet werden kann. Deshalb suchen so viele Haitianer nach besseren Lebenschancen.
Frage: Die beiden Kulturen sind sehr unterschiedlich.
Seit wann gibt es trotzdem so viele Migranten?
Bridget Wooding: Schon immer. Die Geschichte der Migration begann lange vor den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Zu der Zeit wurden sehr viele arme Haitianer von der damaligen US-amerikanischen Besatzungsmacht beider Länder dazu angehalten, in die Dominikanische Republik zu ziehen, um dort auf großen Zuckerplantagen zu arbeiten. Später haben die Haitianer gerade in der chaotischen Übergangsphase nach dem Ende der Diktatur von Baby Doc im Jahr 1986 in jeder Nische der dominikanischen Wirtschaft einen Platz gefunden. Doch erst im Jahr 2014 begannen die dominikanischen Behörden mit einem Programm zur Regulierung. Die Nachkommen haitianischer Migranten, die in der Dominikanischen Republik geboren wurden, hatten ein Jahr lang Zeit, ihren Status zu klären. Doch für die betroffenen Menschen war der Prozess teuer und kompliziert. (...) Die Regulierungsphase ging im Juni 2015 zu Ende. Im Juli und August haben die dominikanischen Behörden dann die Menschen, die ihren Status nicht geklärt hatten, aufgefordert, das Land zu verlassen. Es kam zu deutlichen interrassialen Spannungen. Menschen hatten Angst um ihr Leben.
Frage: Ist das der Grund, weshalb jetzt Tausende Menschen
in informellen Lagern in der Nähe der Grenze leben?
Bridget Wooding: Diese Menschen haben keine Familienbeziehungen mehr in Haiti. In vielen Fällen sind es eigentlich Dominikaner mit haitianischer Abstammung, aber sie besitzen keine Papiere, die das bestätigen. Ihre Hautfarbe ist meist deutlich dunkler als die der Dominikaner, und sie haben Angst vor Angriffen und Rassismus auf der dominikanischen Seite.
Andreas Boueke ist freier Journalist und hat sich auf Lateinamerika spezialisiert. Kontakt: ANDREASBOU@aol.com
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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 1/2016, Seite 6-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2016
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