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LATEINAMERIKA/056: Agrartreibstoffe aus Brasilien (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Agrartreibstoffe aus Brasilien
Untersuchungsmission dokumentiert Menschenrechtsverletzungen

Von Sofia Monsalve


FIAN-International führte vom 3. bis 10. April 2008 in Zusammenarbeit mit anderen Nichtregierungs- und Zivilorganisationen eine Untersuchungsmission in Brasilien durch, um die Auswirkungen der brasilianischen Agrartreibstoff-Politik und die Expansion des Energiepflanzenanbaus auf Umwelt, Arbeitsbedingungen und Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Nahrung, zu dokumentieren. Die Delegation bereiste die Bundesstaaten São Paulo, Mato Grosso do Sul und Piauí.

Die Ergebnisse der Mission bestätigten die Befürchtungen: Die Expansionsgeschwindigkeit des Sektors ist Atem beraubend und führt durch den fast ausschließlichen Anbau in Monokultur zum Verlust von Artenvielfalt, zu Verschmutzungen und Überanspruchung der Wasserreserven, zu Abholzungen sowie zur Vergiftung der Böden. Zu den Hauptproblemen der Agrartreibstoffproduktion zählen weiterhin die unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Zuckerrohrschneider. Die Arbeiter sind massiv Giftstoffen ausgesetzt und arbeiten sich regelrecht zu Tode. Die Erntemenge hat sich seit den 80er Jahren von täglich 6 auf 12 Tonnen verdoppelt - parallel zur Halbierung der Löhne. Allein in São Paolo werden seit 2004 21 Tonnen durch Arbeitsüberlastung dokumentiert - die Dunkelziffer liegt weit höher. Sklavenarbeit ist trotz gebetsmühlenartigem Verneinen seitens der brasilianischen Regierung im Zuckerrohrsektor an der Tagesordnung: 2007 wurden 800 Indigene in Mato Grosso do Sul aus der Sklavenarbeit befreit.


Vertreibungen und Morde mehren sich

Mit der Ausweitung der Zuckerrohrplantagen verstärkt sich der Druck auf das Land der Indigenen. Die Zahl der Vertreibungen und Morde haben sich erhöht; wegen den schwindenden Zugangs zu Land sind sie nicht in der Lage, sich ausreichend zu ernähren. Infolge des Mangeln an Regulierung im Zuckerrohrsektor kommt es zudem zu steigenden Bodenpreisen und aufgrund der Verdrängung von Nahrungsmittelanbau zu erhöhten Lebensmittelpreisen. Beides hat spürbare Auswirkungen. Viele müssen ihre eigene Landwirtschaft aufgeben und geraten in Abhängigkeit zu Großgrundbesitzern oder Großproduzenten. Das Biodiesel-Programm der Regierung, eigentlich zur Förderung von KleinbäuerInnen konzipiert, begünstigt die Sojaöl-Produktion und damit die darauf spezialisierten multinationalen Firmen anstatt die produzierenden Bauern.

Um die vielfältigen Probleme anzugehen muss Schutz der Indigenen und Arbeiter im Zuckerrohrsektor höchste Priorität haben. Arbeitsbedingte Todesfälle und Gewalt gegen Indigene müssen eingehend untersucht und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden. Besonders dringlich ist die lange versprochene Demarkation indigener Territorien, um die Lebensgrundlage der indigenen Völker nachhaltig zu sichern.

Angesichts der Befunde muss die brasilianische Regierung ihre einseitige Unterstützung für Energiepflanzenanbau in Monokultur grundsätzlich hinterfragen. Zur Umsetzung den Menschenrechts auf Nahrung muss sie den Schwerpunkt ihrer Agrarpolitik auf eine Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft, die überfällige Durchsetzung der Agrarreform sowie eine Diversifizierung der Lebensmittelproduktion legen.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2008, S. 15
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2008