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BERICHT/240: Hunger ist kein Schicksal (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Hunger ist kein Schicksal
Ein Kommentar zur Berichterstattung über die Hungersnot in Ostafrika

von Roman Herre


Hunger tötet wie eine Kugel. Die akute Hungersnot in Ostafrika zerrt diese Tatsache wieder einmal ans Licht der Öffentlichkeit. Dabei suggeriert die Berichterstattung einmal mehr, dass Hunger durch Naturkatastrophen - in diesem Fall durch die anhaltende Dürre - verursacht wird. Hunger wird so als unvermeidbar und schicksalhaft dargestellt. Der Blick auf strukturelle und menschengemachte Ursachen wird dadurch verstellt und erschwert eine nachhaltige Hungerbekämpfung. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Von knapp einer Milliarde Menschen, die weltweit Hunger leiden, sind zehn Prozent von Naturkatastrophen betroffen. Der überwiegende Teil der Betroffenen hungert "leise", kontinuierlich und auf dem Land. Die Ursachen sind struktureller Natur und damit politisch gemacht. Der Menschenrechtsansatz unterstreicht diese Tatsache. Im Rechtskommentar zum Menschenrecht auf Nahrung wird betont: "Im Grunde liegt die Wurzel des Problems von Hunger und Mangelernährung nicht in einem Mangel an Nahrungsmitteln, sondern im mangelnden Zugang großer Teile der Weltbevölkerung zu den verfügbaren Nahrungsmitteln". Bäuerinnen, Landlose, Kleinfischer, Indigene und Hirten stellen weltweit achtzig Prozent der Hungernden. Ihre Stimme wird bis heute konsequent ignoriert, wenn Strategien zu Hungerbekämpfung oder ländlicher Entwicklung entworfen werden. Diese Diskriminierung verletzt menschenrechtliche Grundprinzipien und ist ein wichtiger Grund, warum sich in Sachen Hungerbekämpfung nichts ändert.

Ein weiteres Problem ist, dass die Finanzwelt den Agrarsektor als Spielwiese entdeckt hat. Während Investoren und Spekulanten zum Zwecke der Geldvermehrung mit Ackerland und Nahrungsmitteln jonglieren, steht Hungerbekämpfung nicht auf ihrer Agenda. Im Gegenteil: Knappheit und Dürre verheißen sprudelnde Gewinne.


Fehlende Reserveflächen

In Kenia beispielsweise hat die Regierung in den letzten Jahren fast eine Million Hektar Land an Investoren veräußert - vor allem für die Produktion von Agrartreibstoffen (vgl. FIAN Fact Sheet 2010/4 - Land Grabbing in Kenia). Dabei wurden Bauern vertrieben und die lokale Nahrungsmittelproduktion zerstört. Viele der Flächen, die auf den ersten Blick leer und öde erscheinen, sind Teil eines Sicherheitsnetzes der ländlichen Bevölkerung. Die Hirten nutzen diese Reserveflächen, um bei extremen Dürren, wie wir sie aktuell haben, ausweichen zu können. Diese fehlen nun.

Auch der Zugang zum Fluss Tana wird durch die Vergabe riesiger Flächen beschnitten. Investoren aus Italien, Belgien oder der Schweiz sind mit von der Partie. Aktuell untersucht FIAN diese Zusammenhänge vor Ort.

Ähnliches geschieht in Äthiopien. In der Hungerregion Oromia wurden der lokalen Bevölkerung riesige Agrarflächen entrissen und damit die Ernährungssicherung untergraben. Es ist aber noch eine weitere Kraft am Werk. Von Juni 2010 bis Juni 2011 verdoppelte sich der Weltmarktpreis für Weizen. Die Weltbevölkerung hat sich letztes Jahr jedoch nicht verdoppelt und auch die Ernten waren nicht schlecht. Schuld sind laut ExpertInnen vor allem der anhaltende Agrartreibstoff-Boom und die Eroberung des Agrarmarktes durch Finanzspekulanten. Da Äthiopien extrem abhängig von Weizen-Importen ist, schlagen die Preise voll auf die nationalen Märkte durch. Dies hat einen tödlichen Cocktail aus armer Bevölkerung, teilweise zerstörter lokaler Nahrungsmittelproduktion und extrem hohen Preisen geschaffen.


EU treibende Kraft

Diese Faktoren müssen bei der Suche nach Ursachen und langfristigen Strategien zur Hungerbekämpfung im Zentrum stehen. Und wir Europäer müssen uns dabei an die eigene Nase packen: 40 Prozent aller Fonds, die in Land investieren, kommen aus der Europäischen Union (EU). Diese fördert zudem die globale Agrartreibstoffproduktion durch Zwangsbeimischung und hat im Gegensatz zu den USA die Zockerei mit Nahrungsmitteln nicht begrenzt. Würde das Menschenrecht auf Nahrung bei diesen Themen ernsthaft berücksichtigt, müsste Europa neben der akuten Nothilfe einen zusätzlichen, nachhaltigen Beitrag zur Hungerbekämpfung leisten. Dies ist aber leider noch nicht in Sicht.


Roman Herre ist Agrar-Referent bei FIAN Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2011, August 2011, S. 16
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2011