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BERICHT/217: Exportorientierung vor Ernährungssicherheit (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Plataforma Colombiana de Derechos Humanos, Democracia y Desarrollo

Exportorientierung vor Ernährungssicherheit
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU, Kolumbien und Peru begünstigt Investoren und Großgrundbesitzer


Am 19. Mai 2010 wurde auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid das Freihandelsabkommen zwischen der EU auf der einen sowie Peru und Kolumbien auf der anderen Seite unterzeichnet. Während die Staatenlenker dieses Abkommen als großen Wurf preisen, sind Menschenrechtsorganisationen alarmiert. Besonders bedenklich scheint, dass ein solches Abkommen ungeachtet der massiven Menschenrechtsverletzungen - vor allem in Kolumbien - abgeschlossen wurde. Auch die zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die wsk-Rechte der Menschen in Peru und Kolumbien wurden kaum thematisiert. Das Menschenrechtsbündnis Plataforma Colombiana de Derechos Humanos, Democracia y Desarrollo (Kolumbianische Plattform für Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung) hat die wichtigsten Kritikpunkte aus kolumbianischer Sicht zusammengefasst.


Dieses Freihandelsabkommen zwischen der EU und den andinen Staaten Peru und Kolumbien dient nicht dazu, die horizontale Integration zwischen den beteiligten Staaten zu verbessern, sondern beschränkt sich darauf, asymmetrische Handelsströme zu ermöglichen und europäischen Investitionen bestmöglichen juristischen Schutz zu bieten. Diese Investitionen wiederum landen vor allem im Bergbau- und Erdölsektor. Die verbesserten Garantien für europäische Investitionen werden aller Voraussicht nach negative Folgen für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in Kolumbien haben und insbesondere die Situation der vom bewaffneten Konflikt betroffenen Teile der Bevölkerung verschlechtern.


Problem Landverteilung - Kriegsgewinnler profitieren

In den letzten Jahrzehnten hat in Kolumbien eine brutale Gegenlandreform stattgefunden, angeführt von Großgrundbesitzern, Drogenhändlern und paramilitärischen Gruppen. Millionen kolumbianische Bauern und Bäuerinnen sind von ihrem Land vertrieben worden, ohne dass der kolumbianische Staat Maßnahmen zur Verhinderung dieser Verbrechen ergriffen hätte. Im Gegenteil hat er diese Gegenlandreform durch Gesetzesmaßnahmen und Regierungshandeln oft sogar unterstützt. Da für große Bergbau-, Erdöl- oder Staudammprojekte, aber auch exportorientierte Landwirtschaftsprojekte wie Ölpalmplantagen hohe Investitionen und große Landflächen benötigt werden, besteht die große Gefahr, dass von verstärkten europäischen Investitionsbemühungen ausgerechnet jene Sektoren profitieren werden, die für die Vertreibung vieler hunderttausend Kleinbauern und -bäuerinnen verantwortlich sind. Die Erfahrung der letzten Jahre hat bereits gezeigt, dass große Flächen geraubten Landes durch derartige Wirtschaftsprojekte quasi legalisiert worden sind. Der Freihandelsvertrag wird eine gerechte Landreform stark erschweren.

Das Freihandelsabkommen wird die Exportorientierung der kolumbianischen Landwirtschaft weiter verstärken und dadurch die Ernährungsicherheit und -souveränität Kolumbiens gefährden. Die kolumbianische Regierung hat bereits in den letzten Jahren großen landwirtschaftlichen Projekten den Vorzug gegenüber kleinbäuerlicher Landwirtschaft gegeben. Dank verbesserter Exportmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte wird die kolumbianische Landwirtschaftspolitik noch stärker auf landwirtschaftliche Exportprodukte wie Agrotreibstoffe, Bananen, Kakao, Kautschuk, Macadamia-Nüsse und Zitrusfrüchte setzen. Ein Rückgang der Nahrungsmittelproduktion und eine verstärkte Landkonzentration sind zu erwarten. Leidtragende sind die kolumbianischen Kleinbauern und -bäuerinnen sowie Millionen von Landlosen und Vertriebenen, deren Rechte auf Nahrung und einen angemessenen Lebensstandard massiv verletzt werden.


Morde an GewerkschafterInnen

Während die USA die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien vor allem aufgrund der brutalen Übergriffe auf Gewerkschaftsmitglieder auf Eis gelegt haben, hat sich die EU daran nicht sonderlich gestört. Obwohl mehr als 50 Prozent der weltweit umgebrachten GewerkschafterInnen weltweit in den vergangenen Jahren aus Kolumbien stammten und sich die Lage auch 2010 nicht zu verbessern scheint, wurde das Abkommen unterzeichnet ohne vorher konkrete Schritte zum Schutz der kolumbianischen GewerkschaftlerInnen zu fordern. Aufgrund der jahrelangen Verfolgung hat Kolumbien heute eine der niedrigsten Raten gewerkschaftlicher Organisation in ganz Amerika.

Obwohl es Schätzungen gibt, dass das Bruttosozialprodukt Kolumbiens durch den Freihandelsvertrag um 0,2 bis 1,3 Prozent steigen soll, wird sich die Situation großer Bevölkerungsgruppen eher verschlechtern. Insbesondere die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen unter den Auswirkungen leiden werden, ist sehr hoch. Erstens sind Frauen überproportional stark in weniger produktiven und wettbewerbsfähigen Unternehmen beschäftigt, die vom Freihandel in besonderem Maße betroffen sind. Zweitens sind Frauen oft in sogenannten maquilas, exportorientierten Produktionsstätten transnationaler Konzerne, beschäftigt, in denen internationale Arbeitsstandards häufig nicht eingehalten werden. Drittens wird durch den zu erwartenden Rückgang der nationalen Nahrungsmittelproduktion die Situation derjenigen komplizierter, die sich um die Nahrungsversorgung ihrer Familie kümmern. Dies sind in der Regel Frauen.

Werden Arbeits- oder Umweltrechte verletzt, sind keinerlei konkrete Sanktionen oder Strafen vorgesehen. Dies bedeutet, dass der Vorrang menschenrechtlicher Verträge vor Handelsverträgen ignoriert wird. Das Fehlen konkreter Sanktionen bedeutet somit, dass die Verhandlungsführer eindeutig dem freien Markt Vorfahrt vor den Rechten der Menschen, die von diesem Abkommen verletzt werden, gegeben haben. Die UN-Charta in ihrem Artikel 103 und die kolumbianische Verfassung in ihrem Artikel 93 besagen jedoch eindeutig das genaue Gegenteil.


Impactos y tendencias del "Acuerdo Multipartes" entre Perú y Colombia y la UE en Colombia - Una mirada desde los derechos Humanos. Plataforma Colombiana de Derechos Humanos, Democracia y Desarrollo:
http://www.pidhdd.org/colombia/index.php?option=com_content&task=view&id=80&Itemid=66

Der Text wurde von Sebastian Rötters übersetzt, gekürzt und ergänzt.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2010, Juli 2010, S. 12
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2010