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BERICHT/169: Schutz für die Wachhunde der Menschenrechte (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Schutz für die Wachhunde der Menschenrechte
10 Jahre UN-Erklärung für MenschenrechtsverteidigerInnen

Von Annette Fingscheidt


Noch nie seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor sechzig Jahren haben MenschenrechtsverteidigerInnen ein so hohes Ansehen genossen wie heute. Und doch werden sie heute weltweit bedroht, verhaftet oder sogar gefoltert und ermordet. Ihre Aktivitäten werden kriminalisiert. Besonders gefährdet sind AktivistInnen kleiner Basisorganisationen.


"Jeder Mensch hat das Recht, einzeln wie auch in Gemeinschaft mit anderen, den Schutz und die Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene zu fördern und darauf hinzuwirken." - So lautet Artikel 1 der Erklärung über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen. Sie wurde von der UN-Vollversammlung am 9. Dezember 1998, also am Vortag des fünfzigsten Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR), einstimmig verabschiedet. Diese Resolution, kurz Erklärung für MenschenrechtsverteidigerInnen (MRV) genannt, war vor zehn Jahren das Ergebnis eines langen Prozesses, der sich in allen Teilen der Welt abspielte und noch längst nicht abgeschlossen ist: der Kampf um Schutz und Anerkennung einer Gruppe von Menschen, die nicht durch eine bestimmte Berufsbezeichnung identifiziert wird, sondern einzig und allein durch die menschenrechtliche Art der Arbeit, die sie ausführt. Dies kann jeder Mensch tun, unabhängig davon, ob er oder sie in einer Menschenrechtsorganisation tätig ist oder für diese Tätigkeit entlohnt wird. MenschenrechtsverteidigerInnen, so das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, unterliegen lediglich zwei Bedingungen: Sie müssen die Universalität der Menschenrechte anerkennen, und ihre Arbeit muss friedlichen Charakters sein.


Staat als Schutz und als Gefahr

Die Genese der MRV als distinktive Gruppe erklärt sich am einfachsten durch das der AEMR und ihren nachfolgenden Pakten und Verträgen innewohnende Paradox: Einerseits wurden und werden Menschenrechtsnormen verabschiedet, um allen Menschen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu gewähren. Andererseits soll dieser Schutz von denselben Staaten gewährleistet werden, die gleichzeitig als potentielle Verletzer dieser Normen auftreten. Dort wo der Staat nicht schützt, tritt er auch nicht als Garant für den Zugang zu Rechten auf, und es gibt keine supranationale Instanz, die ein wirksames Kontrollorgan mit Sanktionsmöglichkeiten darstellt. Folglich sind im Lauf der Jahrzehnte viele regierungsunabhängige Organisationen entstanden, die das menschenrechtliche Verhalten von Staaten beobachten und den relevanten internationalen Stellen darüber Bericht erstatten. Auf nationaler sowie internationaler Ebene arbeiten sie in Netzwerken zusammen, um bestimmte Anliegen gemeinsam vorzubringen. MRV sind die 'Wachhunde' der Menschenrechte - wenn sie anschlagen, wird Unrecht publik gemacht, das Staaten gerne ignorieren oder gar aktiv vertuschen. Die Stimmen der MRV sind also gefürchtet, trotz ihrer relativ geringen Möglichkeiten der Einflussnahme auf Staat und Regierung.

Als die AEMR 1948 verabschiedet wurde, gab es weltweit insgesamt nur etwa 40 Nichtregierungsorganisationen (NRO), die von der UNO als solche anerkannt und denen der sogenannte Konsultativstatus beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) gewährt wurde. Die Anzahl dieser Organisationen hat besonders seit den 1990er Jahren rapide zugenommen, was einerseits auf eine Öffnung der UNO gegenüber Akteuren der Zivilgesellschaft, andererseits auf die Attraktivität eines solchen Status für NRO zurückzuführen ist. Sie gewinnen dadurch internationales Ansehen und bekommen für ihre Anliegen leichter Gehör, auch gegenüber dem eigenen Staat. Etwa zwei Drittel aller Organisationen mit Konsultativstatus befinden sich in Europa und Nordamerika.


Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidigerinnen

Die große Mehrheit aller MenschenrechtsverteidigerInnen, die auf lokaler oder nationaler Ebene in Ländern des Südens mit oft angespannter Menschenrechtslage arbeitet, ist nicht mit solchen Privilegien ausgestattet. Genau dort ist die Arbeit jedoch mit dem höchsten Risiko verbunden. MenschenrechtsverteidigerInnen kritisieren die Regierungen ihres eigenen Landes öffentlich für Menschenrechtsverletzungen oder die Unterlassung ihrer Schutzfunktion gegenüber den BürgerInnen. Dafür werden sie verfolgt, bedroht, verhaftet oder sogar gefoltert und ermordet. Viele müssen ihr Land verlassen. Besonders seit diesem Jahrzehnt ist es üblich, ihnen kriminelle Machenschaften nachzusagen sowie die Kollaboration mit illegalen bewaffneten Gruppen oder Terroristen. In einigen Ländern sind Gesetze zur Kontrolle der Aktivitäten von MRV sowie der Herkunft ihrer finanziellen Mittel erlassen worden. Anderswo ist es MRV nicht einmal vergönnt, Organisationen zu gründen, so dass sie gezwungen sind, in der Illegalität zu arbeiten. Trotzdem ist ihre Tätigkeit durch die universelle Anerkennung der Menschenrechte als legitim zu betrachten. Die vor zehn Jahren verabschiedete Erklärung für MenschenrechtsverteidigerInnen definiert die Menschenrechtsarbeit sowohl als Recht als auch als Verpflichtung. Diese Aussage bekräftigt ihre Legitimität.


Mangelnde Konsistenz bei Umsetzung der EU-Richtlinien

Mit der Erklärung wurde das Amt der UN-Sonderberichterstatter begründet, die den Vereinten Nationen kontinuierlich über die Situation von MRV Bericht erstatten. Auch in den regionalen Organisationen sind Stellen für MRV entstanden: Als erste etablierte die Interamerikanische Menschenrechtskommission 2001 eine MRV-Einheit, 2005 folgte die Afrikanische Kommission mit der Ernennung eines Sonderberichterstatters für MRV, und dieses Jahr schloss sich der Europarat mit einer Resolution des Ministerkomitees an. Die Europäische Union (EU) erließ im Juni 2004 Richtlinien für MRV, die vor allem den vor Ort eingesetzten Missionen der EU sowie ihrer Mitgliedsstaaten konkrete Vorschläge für Aktivitäten zum Schutz von MRV unterbreiten. Noch nie seit der Verabschiedung der AEMR haben MenschenrechtsverteidigerInnen ein so hohes Ansehen genossen, doch stellt sich die Frage,ob alle Erklärungen des guten Willens sowie Einrichtungen von Ämtern die Situation der MRV maßgeblich verbessert haben. Es hat auf einigen Gebieten Fortschritte gegeben, aber positive Resultate hängen oft vom Engagement einzelner Personen oder Missionen ab. Was fehlt, ist Konsistenz. Dies wird zum Beispiel an der Umsetzung der EU-Richtlinien kritisiert. Außerdem scheinen MRV in vielen Ländern nicht von der Existenz der EU-Richtlinien in Kenntnis gesetzt worden zu sein, da dies nicht aktiv betrieben wird - trotz der expliziten Erklärung der EU, dass die Menschenrechte eine Priorität aller EU-Außenpolitik darstellen.


Aktivistinnen an der Basis besonders gefährdet

Die internationale Staatengemeinschaft neigt dazu, die Situation der in den Provinzen tätigen MenschenrechtsverteidigerInnennicht ausreichend zu berücksichtigen. Mitglieder kleiner Basisorganisationen, so wie Bauernverbände, indigene Gruppen, Gewerkschaften, Journalistenverbände und anderen Vereine, die für spezifische Rechte oder diejenigen spezifischer Personengruppen (zum Beispiel Kinder, Frauen, Menschen mit Behinderung, AIDS-Kranke) eintreten, sind aufgrund ihres vergleichsweise geringen internationalen Bekanntheitsgrades sowie aufgrund ihrer oft begrenzten Möglichkeiten, mit der Außenwelt zu kommunizieren oder gar ins Ausland zu reisen, Bedrohungen und direkten Übergriffen in viel stärkerem Maß ausgesetzt als international bekannte Menschenrechtsorganisationen, die gerne in Hauptstädten angesiedelt sind und so problemlos Zugang zu relevanten Akteuren gewinnen.

Internationaler Bekanntheitsgrad erfüllt eine bedeutende Schutzfunktion, in deren Genuss jedoch die meisten Basisaktivistinnen nicht gelangen. Es fällt auch auf, dass internationale Menschenrechtspreise meist an diejenigen MRV verliehen werden, die für die bürgerlichen und politischen Menschenrechte eintreten, und nicht die VerteidigerInnen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (WSK). Dies ist sehr bedauerlich, nicht nur aufgrund der oft weitaus schwierigeren Bedingungen, denen MRV an der Basis ausgesetzt sind, sondern auch aufgrund der immer noch geläufigen Praxis, die WSK-Rechte als Rechte 'zweiter Generation' einzustufen. Dies entspricht nicht einmal den Tatsachen, da sowohl der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte als auch der über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte am selben Tag verabschiedet wurden und die Unteilbarkeit der Menschenrechte bereits in der AEMR ausdrücklich betont wurde. Es wäre demnach von enormer Wichtigkeit, die Menschen, die sich für die Durchsetzung und Wahrung von grundlegenden Rechten einsetzen, unterschiedslos zu würdigen und zu schützen.


Die Autorin ist Sozialanthropologin und aktiv bei Peace Brigades Internationale (pbi).


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2008, S. 4-5
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2009