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BERICHT/144: Neue Nahrungsmittelhilfekonvention in Sicht? (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Neue Nahrungsmittelhilfekonvention in Sicht?

Von Michael Windfuhr


Ende 2007, Anfang 2008 werden die Neuverhandlungen für die Nahrungsmittelhilfekonvention beginnen. Nahrungsmittelhilfe ist in der Praxis seit Jahrzehnten hoch umstritten, da sie oft eher dem Absatz von Agrarüberschüssen aus den Industrieländern diente, als der Not- und Katastrophenversorgung in Ländern des Südens.


Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) lud während der deutschen EU-Präsidentschaft alle beteiligten Parteien im Mai zu einer Expertenkonferenz nach Berlin ein, um die Neuverhandlungen inhaltlich vorzubereiten. Nichtregierungsorganisationen (NRO) hoffen nun, dass es bei den Neuverhandlungen die Chance geben wird, die Nahrungsmittelhilfe qualitativ neu zu organisieren und an den Prinzipien des Rechts auf Nahrung zu orientieren. Sie fordern die Entwicklung einer neuen Ernährurigssicherheitsarchitektur für die Vereinten Nationen. Aus Deutschland waren an der Konferenzvorbereitung und während der Konferenz vor allem die Diakonie-Katastrophenhilfe, die Welthungerhilfe, FIAN und Misereor beteiligt.


Hilfe mit katastrophalen Folgen

Die derzeitige Nahrungsmittelhilfekonvention (Food Aid Convention = FAC) ist ein Abkommen zwischen den 23 traditionellen Geberländern der Nahrungsmittelhilfe. Sie wurde 1967 etabliert, nachdem es Mitte der 60er Jahre zu Fehlernten in einigen Entwicklungsregionen kam. Da die Europäische Gemeinschaft damals gerade begann, Überschüsse zu produzieren, entstand die Nahrungsmittelhilfekonvention auf Anregung der USA, um die Last der Verpflichtung zur Nahrungsmittelhilfe zu teilen. Nahrungsmittelhilfe ist in vielen Not- und Katastrophensituationen eines der wichtigen Reaktionsmechanismen, allerdings nur dann, wenn sie richtig eingesetzt wird. Hauptmotiv der Vergabe von Nahrungsmittelhilfe war in den letzten Jahrzehnten oft agrarpolitischer Natur. Bezahlt aus den Agrarhaushalten, diente die Lieferung für einige Geber-Länder dem Abbau der Agrar-Überschüsse. Weizen aus Frankreich, Mais aus den USA. Die Lieferung von Getreide aus den Herkunftsländern der Geber wurden auf den Märkten der Empfängerländer verkauft. Mit den Erlösen konnten die Regierungen der Empfängerländer ihre Haushaltseinnahmen verbessern. Vor allem in den USA sind auch nichtstaatliche Organisationen an dem Geschäft beteiligt. Sie erhalten von der US-Regierung Nahrungsmittelhilfe geschenkt, die sie anschließend auf den Binnenmärkten der Entwicklungsländer verkaufen. Mit dem Erlös können sie dann ihre eigenen Entwicklungsprojekte finanzieren. Die Verkäufe von Nahrungsmittelhilfe waren für die Bauern in Entwicklungsländern oft ruinös, da sie in Konkurrenz mit den Erzeugnissen der lokalen Bauern traten und die Preise, die sie für ihre Produkte bekommen können, sehr stark absenkten. Nahrungsmittelhilfe ist zudem kaum an die Essgewohnheiten der Empfänger angepasst. In den letzten Jahren gab es gravierenden Streit über die Lieferung von gentechnisch verändertem Mais als Nahrungsmittelhilfe.

Die Kritik an der Nahrungsmittelhilfe, die Nichtegierungsorganisationen seit Jahren vorgebracht haben, hat allerdings auch zu Veränderungen an der Nahrungsmittelhilfekonvention geführt, vor allem aber auch die Praxis der Nahrungsmittelhilfe verändert. Einige Geber haben inzwischen einen Vorrang für lokal oder regional aufgekaufte Nahrungsmittel beschlossen. Bei der EU machen lokal aufgekaufte Nahrungsmittel inzwischen 92 Prozent der Nahrungsmittelhilfe aus. Dennoch wird die Nahrungsmittelhilfe noch immer zu großen Teilen durch direkte Lieferungen per Schiff aus Geberländern in Empfängerländer bestritten. 2004 kamen bei insgesamt 8,2 Millionen Tonnen Nahrungsmittelhilfe 5,7 Millionen Tonnen direkt aus den Geberländern. Dies liegt daran, dass das Hauptgeberland, die USA, kaum Veränderungen vorgenommen hat.

Oft wäre es wesentlich sinnvoller, mögliche Überschüsse im Empfängerland oder in der Region aufzukaufen (local or regional procurement), anstatt Geberüberschüsse mit enormen Transportkosten rund um die Welt zu transportieren. Katastrophen betreffen selten ganze Länder, oft sind nur einzelne Regionen oder Landkreise betroffen, so dass auch in Katastrophensituationen oft nationale Überschüsse aus anderen Landesteilen genutzt werden könnten oder zumindest Überschüsse aus Nachbarländern der Region. Dies würde vor allem Bäuerinnen und Bauern im Land oder in der Region stärken und sie anregen, mehr Nahrungsmittel anzubauen. Lokaler oder regionaler Ankauf von Überschüssen benötigt allerdings Geld aus Entwicktungshilfeetats, während die Nahrungsmittelhilfe aus heimischen Beständen in der Regel durch die Agraretats bezahlt wird.

Die Nahrungsmittelhilfe war bislang zudem als Krisenmechanismus untauglich: Immer wenn die Getreidepreise stiegen und die verfügbaren Mengen von Getreide auf dem Weltmarkt zurückgingen, stand weniger Überschussgetreide für die Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung. Und immer dann, wenn die Preise ohnehin niedrig waren und hohe Getreidemengen produziert wurden, gab es hohe Mengen für die Nahrungsmittelhilfe. Bei der Neuverhandlung der Food Aid Convention muss also ein Mechanismus der Zusagen gefunden werden, der sicherstellt, dass gerade in Jahren schlechter Ernten und hoher Preise die Nahrungsmittelhilfe nicht ausgeht. Bislang bleibt es auch folgenlos, wenn ein Land den Lieferverpflichtungen der FAC einmal nicht nachkommt.


Neuer institutioneller Rahmen gesucht

Zur Debatte steht auch der institutionelle Rahmen der zukünftigen Nahrungsmittelhilfekonvention. Es gilt eine Lösung dafür zu finden, dass verschiedene relevante Gruppen an der bisherigen Nahrungsmittelhilfekonvention nicht beteiligt sind. So fehlen die neuen Geberländer, das heißt die Länder, die erst in den letzten Jahren selbst Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung stellen wie beispielsweise Brasilien. Nicht beteiligt sind ebenso die Empfängerländer und zivilgesellschaftliche Organisationen. Selbst die relevanten internationalen Organisationen - wie das Welternährungsprogramm - können nur auf Einladung an den Sitzungen teilnehmen. Nichtregierungsorganisationen fordern vor diesem Hintergrund, die Nahrungsmittelhilfe im Rahmen einer umfassenden Ernährungssicherungsarchitektur bei den Vereinten Nationen organisatorisch neu aufzustellen. Grundlage dieser Architektur sollten die freiwilligen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung sein, die im November 2004 bei der FAO angenommen wurden. Zwei der Leitlinien beschreiben auch Mindeststandards für den Umgang mit der Nahrungsmittelhilfe und der Not- und Katastrophenvorsorge.

Neben den bereits erwähnten traditionellen Problembereichen und Themen bei der Nahrungsmittelhilfe könnte ein Thema allerdings zukünftig an Bedeutung gewinnen: die zukünftige Verfügbarkeit von Nahrungsmittelhilfe. Die Zusagen der Geberländer, im Durchschnitt rund 5-6 Millionen Tonnen Nahrungsmittelhilfe pro Jahr zur Verfügung zu stellen, hatte in Jahrzehnten der Überschussproduktion auf den Weltgetreidemärkten scheinbar keine große Bedeutung. Drei aktuelle globale Trends für die weltweite Agrarproduktion und die Agrarmärkte werden die zukünftige Verfügbarkeit von Überschüssen und damit auch der Nahrungsmittelhilfe erheblich verändern:

1. Die wachsende Kaufkraft besonders in den asiatischen Schwellenländern (hier besonders in China und Indien) wird die Nachfrage nach verfügbaren Agrarprodukten (Getreide) erheblich steigern. Insbesondere die stark steigende Nachfrage nach Fleischprodukten macht sich bereits auf den Weltgetreidemärkten bemerkbar.

2. Parallel wächst die Bedeutung von Bioenergie und nachwachsenden Rohstoffen für die Energieproduktion und als Benzinersatz (Ethanolproduktion). Die gesetzlich vorgeschriebene Beimischung von Ethanol zum Benzin in den USA und in einigen anderen Industrieländern werden gravierende Auswirkungen auf die Getreidemärkte und damit auf die Preise von Nahrungsmitteln haben.

3. Gleichzeitig werden die Rahmenbedingungen von Landwirtschaft durch den Klimawandel in vielen Regionen großflächig stark verändert und beeinflusst werden.

Angesichts der Auswirkungen dieser Trends könnte der bindenden Verpflichtung von Geberländern, Nahrungsmittelhilfe auch in Krisenzeiten beziehungsweise in Jahren mit schlechter Ernte in gesichertem Umfang zur Verfügung zu stellen, noch eine wichtige Bedeutung zukommen, um sicherzustellen, dass die Weltgemeinschaft die Mittel hat, Menschen in Not- und Katastrophensituationen angemessen zu versorgen. Dies allerdings nur dann, wenn es gelingt, die derzeitigen substantiellen Probleme des Nahrungsmittehilfeinstrumentariums zu überwinden.

Der Autor ist Leiter der Menschenrechtsabteilung bei Brot für die Welt.


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Standards in der NGO-Praxis - das Sphere Project

Das Sphere Project wurde 1997 durch eine Gruppe von Nicht-Regierungs-Organisationen aufgenommen. Sphere verbindet eine klare Verankerung in internationalem humanitärem Völkerrecht und in menschenrechtlichen Verpflichtungen mit einem hohen Anspruch auf Qualität und Verantwortlichkeit nicht-staatlicher Akteure. Das Herzstück des Sphere Projects ist ein Handbuch, das mittlerweile in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde. Im Kapitel zu Nahrung werden Minimalstandards und Qualitätsanforderungen definiert und mit Indikatoren fassbar gemacht. Neben Kernindikatoren zur Erfassung von Ernährungssicherheit, Mangel- und Fehlernährung enthält es auch Qualitätsstandards was Planung, Management und Logistik der durchführenden Organisationen in der Nahrungsmittelhilfe angeht. Darüber hinaus versteht sich Sphere auch als Prozess und bietet über die Webseite vielfältige Möglichkeiten zur eigenen Qualifikation, zur Weiterentwicklung der Standards und zum internationalen Austausch von Praxiserfahrungen.

Mehr dazu unter: www.sphereproject.org


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2007, März 2007, S. 6-7
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Düppelstraße 9-11, 50679 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2007