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MUMIA/527: Justizmord verhindern - Hinrichtung abgewehrt (IVK)


Kolumne # 614
Justizmord verhindern

von Mumia Abu-Jamal, September 2012



Am 3. Oktober sollte Terry Williams in Pennsylvania hingerichtet werden. Er war 1984 beschuldigt worden, den 56jährigen Amos Norwood umgebracht zu haben. - Zum gerichtlich erwirkten Hinrichtungsstopp siehe den Artikel von Jürgen Heiser weiter unten.


Sein Hinrichtungsbefehl trägt den Namen »Terrance« Williams, aber das ist nicht sein richtiger Name. In Wirklichkeit heißt er »Terry« Williams. Irgendein Beamter - möglicherweise von der Staatsanwaltschaft - hat daraus jedoch irgendwann einmal »Terrance« gemacht. Und seitdem heißt er offiziell so.

Als ich Terry kennenlernte, war er gerade einmal 18 Jahre alt, zu jung, sich zu rasieren, aber anscheinend alt genug für den Todestrakt. Er war ein aufgeweckter und begeisterungsfähiger Junge, der sich mit einem anderen jungen Mann eingelassen hatte. Dieser Kumpel wußte den besonderen Vorteil für sich zu nutzen, Sohn eines Polizeibeamten zu sein. Um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen, belastete er Terry schwer und hoffte, im Tausch dafür lebenslange Haft mit späterer Aussetzung zur Bewährung zu bekommen. Dieser Mitangeklagte schlug sich auf die Seite der Staatsanwältin, indem er ihr half, Terrys Einlassung als Lüge erscheinen zu lassen, und indem er leugnete, sich auf einen Handel mit ihr eingelassen zu haben.

Als Terry noch Spitzensportler des American-Football-Teams seiner High School war, kannten ihn die meisten Leute wegen seines geschmeidigen Spiels nur unter seinem Spitznamen »Butter«. Wer ihm beim Footballspielen zusah, ahnte, daß hier ein Profispieler heranwuchs. Aber daraus wurde leider nichts.

Seit »Butter« ein Teenager war, trug er ein Geheimnis in sich, über daß man besser nicht mit anderen Männern spricht, vor allem nicht mit anderen Gefangenen. Als Jugendlicher wurde er sexuell mißbraucht, und einer der Täter war das Opfer des Verbrechens, für das Terry in den Todestrakt geworfen wurde und wegen dem ihm in Kürze die Hinrichtung droht.

Sein Mitangeklagter kannte die Vorgeschichte. Wie berichtet wird, wurde er aber angewiesen, im Zeugenstand darüber zu schweigen. Erst jetzt, da »Butter« um sein Leben kämpft, kommen endlich jene Wahrheiten an die Öffentlichkeit, die seine Angaben bestätigen.

Was jedoch in dieser Situation am meisten überrascht, ist das Stillschweigen der Bewegung der Todesstrafengegner. Wo sind sie alle? Warum hören wir nichts von ihnen?

Copyright: Mumia Abu-Jamal 2012
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 228 vom 29./30. September 2012

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Hinrichtung abgewehrt

USA: Oberster Gerichtshof Pennsylvanias stoppt Exekution von Terry Williams
  
von Jürgen Heiser


Aus: junge Welt Nr. 232 - 5. Oktober 2012

Im Fall des US-Todeskandidaten Terry Williams hat der Oberste Gerichtshof Pennsylvanias den gerichtlich angeordneten Hinrichtungsstopp am Mittwoch bestätigt. Die um 15 Uhr 23 (Ortszeit) per Fax an die Verteidiger übersandte Entscheidung lautete: »Am heutigen 3. Oktober 2012 wird der Eilantrag der Bezirksstaatsanwaltschaft abgelehnt.« Damit war die Staatsanwaltschaft von Philadelphia mit ihrer Berufung gegen die am vergangenen Freitag erlassene Aufhebung des Todesurteils gescheitert. Grund für die Aufhebung war der Vorwurf, die Anklagevertreterin habe 1986 der Jury im Mordprozeß gegen Williams »maßgebliche Beweise vorenthalten« (jW berichtete [1]).

Rechtsanwalt Shawn Nolan begrüßte die Entscheidung im Namen seines Mandanten. »Wir sind hocherfreut, daß der Oberste Gerichtshof den von Richterin Teresa Sarmina gewährten Hinrichtungsstopp bestätigt hat.« Die Verteidigung habe nun Zeit gewonnen, den Fall und die neuen Beweise für mildernde Umstände in den nächsten Monaten gebührend vor den Gerichten zu vertreten. Der Oberste Gerichtshof habe »weise« gehandelt, erklärte Nolan, indem er beschloß, vor einer abschließenden Entscheidung müßten erst alle Beweise geprüft werden.

Der Anwalt dankte »allen, die dazu beigetragen haben, diese Exekution zu verhindern«, vor allem der Witwe von Amos Norwood, den der 18jährige Terry Williams 1984 getötet hatte, weil dieser ihn seit Jahren mißbraucht hatte. Sie hatte Williams verziehen und Gouverneur Tom Corbett gebeten, »sein Leben zu schonen«. Die Staatsanwaltschaft täte gut daran, so Nolan, das Gnadengesuch der »Geschworenen, Kinderschutzbeauftragten, Verteidiger von Opferrechten und über 380000 Menschen«, die sich mit einer Petition für die Begnadigung von Williams eingesetzt hatten, zu beherzigen. Bezirksstaatsanwalt Seth Williams solle seine Versuche, die Hinrichtung des Mandanten durchzusetzen, endlich einstellen.

Während der dramatischen Entwicklung verbrachte Terry Williams am Mittwoch bange Stunden des Wartens im Todestrakt des Staatsgefängnisses Greene County in Waynesburg. Bis Mitternacht war der vom Gouverneur unterzeichnete Hinrichtungsbefehl theoretisch noch in Vollzug. Erst nach null Uhr wurde er ungültig. Bei einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zugunsten der Anklage hätte Williams jederzeit noch in das Staatsgefängnis von Rockview, Pennslvania, verlegt werden können. In der dortigen Hinrichtungskammer war der Countdown für seine eventuelle Hinrichtung vor Mitternacht bereits in Gang gesetzt. Einer seiner Verteidiger war deshalb seit dem frühen Morgen in Rockview vor Ort, um jederzeit juristisch eingreifen zu können. Nachmittags kam für Williams dann endlich die erlösende Nachricht seiner Verteidiger.

Bezirksstaatsanwalt Seth Williams, zu dem die Presse immer wieder erklärt, daß er nicht mit dem Todeskandidaten verwandt ist, hält Terry Williams nach wie vor »für einen der wenigen Beschuldigten, der die Todesstrafe verdient«. Ein Sprecher der Anklagebehörde beschwerte sich sogar nach dem Gerichtsentscheid von Mittwoch, Terry Williams' Berufungen hätten »die Gerichte lange genug beschäftigt«. Beobachter kritisierten diese Äußerung, die Williams' legitime Rechte negiere, als »geradezu verfassungswidrig«.

Der Oberste Gerichtshof bat die Verteidigung angesichts der zu erwartenden Berufung der Anklage gegen seine Entscheidung um eine Stellungnahme zu ihrem weiteren Vorgehen.

Sollte Richterin Sarminas Entscheidung Bestand haben, wird entweder vor einer Jury erneut über das Strafmaß verhandelt oder die faktisch von Sarmina beschlossene Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft ohne Bewährung rechtskräftig werden.

Anmerkung:
[1] http://www.freedom-now.de/news/artikel935.html

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Quelle:
Die Beiträge entstammen der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 323, 28093 Bremen
E-Mail: ivk(at)freedom-now(dot)de
Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2012