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MUMIA/366: Pakt mit dem Teufel (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 23. Juli 2010

Pakt mit dem Teufel

Von David Lindorff


Hintergrund. Einige Vorstandsmitglieder von US-amerikanischen Organisationen gegen die Todesstrafe wollen Mumia Abu-Jamal aus der Bewegung ausschließen. Sie reagieren damit auf Vorstöße der reaktionären Polizistenorganisation FOP


Am Abend des 25. Februar 2010 versammelten sich in Genf die aus aller Welt angereisten Teilnehmer des 4. Weltkongresses gegen die Todesstrafe zum Programmpunkt »Stimmen der Opfer«. Der Abend nahm allerdings einen dramatischeren Verlauf, als sie erwartet hatten. Denn plötzlich klingelte ein Mobiltelefon und Robert R. Bryan, Hauptverteidiger von Mumia Abu-Jamal, betrat die Bühne und erklärte, sein Mandant rufe ihn gerade aus dem Todestrakt in Pennsylvania an.

Das Publikum im Saal verharrte in andächtiger Stille, als der Moderator der Veranstaltung das Telefon ans Mikrofon hielt. Abu-Jamal, seit über 28 Jahren im Todestrakt infolge der heftig umstrittenen Verurteilung wegen Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner aus Philadelphia, begrüßte die Delegierten, und dann schilderte er wie schon bei vielen anderen Gelegenheiten die Schrecken des Lebens im Todestrakt, wie sie rund 20.000 Menschen erleiden, die weltweit ihrer Hinrichtung entgegensehen.

Angeführt von Renny Cushing, dem Geschäftsführer der Organisation »Angehörige von Mordopfern für Menschenrechte« (Murder Victim's Families for Human Rights; MVFHR), verließ eine kleine Gruppe von US-Todesstrafengegnern den Saal. Zwei MVFHR-Mitglieder blieben jedoch auf ihren Plätzen. Der eine Bill Babbitt, dessen Bruder Manny, ein Vietnamveteran, der unter einem akuten posttraumatischen Belastungssyndrom litt, in Kalifornien hingerichtet worden war. Der andere Bill Pelke, dessen Großmutter von einer Jugendlichen ermordet worden war, mit der er sich später anfreundete und der er half, sie vor der Hinrichtung zu bewahren. Babbitt ging sogar zu Bryan auf die Bühne und blieb während Abu-Jamals kurzer Ansprache an seiner Seite.

Weder Babbitt noch Pelke, weder Abu-Jamal noch sein Anwalt Bryan wußten zu diesem Zeitpunkt, daß im Dezember 2009 einzelne Vorsitzende und Vorstandsmitglieder verschiedener Organisationen der Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe aus den USA - ohne Wissen der jeweiligen Gesamtvorstände oder ihrer Mitgliedschaft - ein »vertrauliches« Memorandum(1) unterzeichnet hatten, das sie mit folgender unverblümten Anmerkung an die französischen Organisatoren des Weltkongresses geschickt hatten: »Als internationale Repräsentanten der US-Abolitionistenbewegung, können wir einer Teilnahme von Abu-Jamal oder seinen Anwälten über ihre bloße Anwesenheit hinaus nicht zustimmen.«

Das Memorandum erweckte den Anschein, als stamme es von »den US-Mitgliedern des Lenkungsauschusses« des Weltbündnisses gegen die Todesstrafe (World Coalition Against the Death Penalty; WCADP), obwohl die sechs Unterzeichner kaum diesen Ausschuß repräsentieren. Unter der Überschrift »Die Teilnahme von Mumia Abu-Jamal gefährdet das US-Bündnis für die Abschaffung der Todesstrafe« wird in dem Memorandum behauptet, die französischen Organisatoren des Weltkongresses - die Organisation »Gemeinsam gegen die Todesstrafe« (Ensemble Contre la Pein de Mort; ECPM)(2) - hätten sich »über Einsprüche« hinweggesetzt und einfach festgelegt, daß Abu-Jamal auf dem Kongreß sprechen darf. Weiter behaupteten die Autoren des Memorandums, die Bewegung gegen die Todesstrafe in den USA versuche, die Unterstützung seitens der ultrakonservativen »Fraternal Order of Police« (FOP)(3) zu gewinnen und zu »pflegen«. In der FOP sind in den USA landesweit 325.000 Polizisten organisiert. Sie tritt nicht nur mit Nachdruck allgemein für die Todesstrafe ein, sondern befürwortet gezielt die Hinrichtung Mumia Abu-Jamals und anderer Gefangener, die wegen der Tötung von Polizeibeamten verurteilt wurden. Die FOP, so der Wortlaut des Memorandums, habe »einen Boykott gegenüber Organisationen und Personen verkündet, die Abu-Jamal unterstützen«, und deshalb sei alles, was der Weltkongreß unternehme, um in dieser Sache zu helfen, »auf gefährliche Weise kontraproduktiv für die Abolitionistenbewegung in den USA«.


Beispielloser Skandal

Ende Juni 2010 erhielt »ThisCantBeHappening«(4) eine Kopie des »Vertraulichen Memorandums an ECPM«. Als wir dieses Papier einigen anderen Vorstandsmitgliedern der Organisationen zeigten, deren Vorsitzende oder einzelne Vorstandskollegen es namentlich unterzeichnet hatten, reichten die Reaktionen von Fassungslosigkeit bis Empörung. Bill Babbitts Bruder Manny war unmittelbar durch das korrupte Strafverfolgungssystem Kaliforniens getötet worden, das auf seine Hinrichtung drängte, obwohl im Prozeß durch medizinische Sachverständigengutachten eindeutig nachgewiesen worden war, daß die alte Frau, die er angeblich umgebracht hatte, an den Folgen eines Schocks starb, den sie erlitten hatte, als sie bemerke, wie Manny in ihre Wohnung einbrach. Als Babbitt klar wurde, daß er über das Memorandum im unklaren gelassen worden war, obwohl er dem Vorstand von MVFHR angehört, sagte er: »Mit seinen letzten Worten forderte mein Bruder Manny mich auf, immer den geraden Weg zu gehen, und das heißt für mich, immer die Wahrheit zu sagen und offen und transparent zu sein.« Zum Inhalt des Memorandums fügte er an: »Ich denke, wenn man Mumia jetzt den Wölfen zum Fraß vorwirft, dann hilft das der Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe überhaupt nicht weiter. Man feilscht nicht mit Wölfen, die begierig darauf aus sind, einen zu verschlingen.«

Robert Meeropol, Sohn von Ethel und Julius Rosenberg, die 1953 als Spione für die Sowjetunion in den USA hingerichtet worden waren, ist ebenfalls Mitglied des Vorstands von MVFHR. Weil er sich gegenwärtig in Asien auf einer Vortragsreise für die Organisation befindet, ließ er durch einen Mitarbeiter in den USA mitteilen, daß er von dem Memorandum keine Kenntnis gehabt habe, daß er aber weiterhin voll und ganz für »die Forderung nach einem neuen Verfahren für Mumia Abu-Jamal« eintrete.

Mehrere Telefonanrufe des Verfassers in der Absicht, einen Kommentar von den Mitunterzeichnern des Memorandums Renny Cushing und Kate Lowenstein zu erhalten, blieben unbeantwortet. Nur Susanna Sheffer, Mitarbeiterin des Bostoner MVFHR-Büros, kommentierte: »Das ist eine komplizierte Sache. Es ist notwendig, daß Sie die Hintergründe und Strukturen verstehen.«

Überrascht von dem Memorandum war auch der Schauspieler Michael Farrell, Präsident der kalifornischen Gruppe von Todesstrafengegnern »Death Penalty Focus« (DPF; Brennpunkt Todesstrafe). Farrell, der seit vielen Jahren die Forderung nach einem neuen Verfahren für Abu-Jamal unterstützt, erklärte, er habe das Memorandum nie zuvor gesehen, obwohl es unter anderem von der Rechtsanwältin Elizabeth Zitrin unterzeichnet ist, die dem DPF-Vorstand angehört.

Die weiteren Unterzeichner des Memorandums sind Thomas H. »Speedy« Rice von der »National Association of Criminal Defense Lawyers« (NACDL; Nationale Strafverteidigervereinigung), Kristin Houlé von der »Texas Coalition to Abolish the Death Penalty« (TCADP; Texanisches Bündnis zur Abschaffung der Todesstrafe) und Juan Matos de Juan von der Puertoricanischen Anwaltskammer.

Robert R. Bryan, ein altgedienter und erfahrener Verteidiger in Todesstrafenprozessen, der zehn Jahre dem Vorstand der »National Coalition Against the Death Penalty« angehörte - drei Jahre davon als Vorsitzender der Organisation -, erklärte zu dem Memorandum: »In all den Jahren als Aktivist im Kampf gegen die Todesstrafe habe ich zu keiner Zeit von einem Individuum oder einer Gruppe gehört, die dafür eingetreten wären, jemanden zur Ausnahme zu erklären und aus unserer Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe auszusondern. Es gilt Gleichbehandlung für alle. Jemanden auszusondern und zu sagen, er zähle nicht, ist erschreckend. Wo soll da eine Grenze gezogen werden? Bei Leuten, die beschuldigt werden, Polizisten getötet zu haben? Bei Leuten, denen vorgeworfen wird, alte Damen getötet zu haben? Leute, die beschuldigt werden, Kinder umgebracht zu haben? Wo hört das auf? Das ist doch entsetzlich!«

Heidi Beghosian, geschäftsführende Direktorin der Anwaltsvereinigung »National Lawyers Guild« (NLG), die lange Zeit an vorderster Front in der Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe gearbeitet hat, mißbilligte den klammheimlichen Versuch, Abu-Jamal auf dem Weltkongreß zum Schweigen zu bringen. Obwohl die NLG Mitglied in der World Coalition (WCADP) ist, war sie nicht über das Vorhaben unterrichtet worden, das Memorandum im Namen des US-Lenkungsauschusses der WCADP in Umlauf zu bringen.

»Mumia Abu-Jamals Fall steht beispielhaft für die Mängel, die dem Todesstrafensystem innewohnen«, erklärte Beghosian. »Daß er nun von Führern der Abolitionistenbewegung gegeißelt wird, zeigt sehr präzise, was genau falschläuft mit diesem System. Es ist ein System, das sklavisch abhängig ist von den Launen und persönlichen Vorurteilen von Polizei, Staatsanwaltschaft, Richter und Jury. Wenn es bei den Bemühungen um die Abschaffung der Todesstrafe auch hilfreich sein kann, Kontakte zu bestimmten tonangebenden Leuten der Exekutive zu pflegen, darf das nicht auf Kosten eines Falles geschehen, an dem sich gerade einige äußerst verwerfliche Handlungsweisen der Polizei, des Bezirksstaatsanwalts und der Justiz festmachen lassen. Die mächtige FOP und ihre plumpen Bemühungen, Abu-Jamal und seine Unterstützer zu verunglimpfen, sollten nicht das Stimmungsbarometer sein, nach dem die Anführer der Abolitionstenbewegung ihre strategischen Prioritäten ausrichten. Die Kräfte der Abolitionistenbewegung sollten alle zusammenarbeiten und aufhören, einen Todestraktinsassen zu zensieren oder gar zu ächten.«


Bedrohung der Bewegung

Was das anmaßende und manipulative Verhalten einiger US-amerikanischer Todesstrafengegner - dokumentiert durch das geheime Memorandum und die zynische Drohung, sich aus dem Kongreß zurückzuziehen - so außerordentlich abscheulich macht, ist die Tatsache, daß Abu-Jamals Verhaftung, Prozeß und Berufungsverfahren, wie Beghosian es bereits angeführt hat, ein Paradebeispiel für Korrumpierung, Amts- und Machtmißbrauch seitens Polizei und Staatsanwaltschaft ist. Von Beginn an, sogar schon vor seiner Verhaftung, war Abu-Jamals Fall von den Rachegelüsten der Polizei wie von einem Gift durchsetzt. Obwohl er durch eine Kugel aus der Dienstwaffe des Polizisten Daniel Faulkner in Lunge und Leber schwer getroffen worden war und er an inneren Blutungen zu sterben drohte, ließ man ihn fast eine halbe Stunde in einem Polizeitransporter liegen, bevor er endlich in die Notaufnahme eines Krankenhauses eingeliefert wurde. Dort wurden Krankenhausangestellte und mindestens ein Polizeibeamter Zeugen, wie er von den Polizisten, die in eingeliefert hatten, getreten und geschlagen wurde.

Während der Auswahl der Geschworenen zu Beginn von Abu-Jamals Prozeß wurden in einer Pause ein zufällig vorbeikommender Richter und seine Stenografin Zeugen, wie der Vorsitzende Richter Albert Sabo beim Verlassen des Gerichtssaales zu einem Justizangestellten sagte: »Ja, und ich werde ihnen helfen, den Nigger zu grillen.«(5) Vor seiner Wahl ins Richteramt war Sabo stellvertretender Bezirkssheriff und Mitglied der FOP.

Im Verlauf des windungsreichen Berufungsverfahrens haben sowohl die Staats- als auch die Bundesgerichte schamlos ihre eigenen Gesetze gebeugt und Grundsatzurteile mißachtet, die zu Abu-Jamals Gunsten hätten Verwendung finden müssen. Richter Thomas Ambro vom 3. Bundesberufungsgericht formulierte ein bestechendes Minderheitsvotum zu einer Entscheidung seiner beiden Richterkollegen vom 27. März 2008, die praktisch eigene Grundsatzentscheidungen negierten und neues Recht setzten, indem sie Abu-Jamals wohlbegründeten Batson-Antrag(6) ablehnten, in dem es um rassistische Vorurteile seitens der Anklage während der Geschworenenauswahl in seinem Prozeß ging. Seine Entrüstung kaum verbergend, erklärte Richter Ambro: »Unser Gericht hat bereits zuvor in Hauptsacheverfahren von Haftprüfungsanträgen Entscheidungen nach dem Batson-Grundsatzurteil getroffen, in denen die Antragsteller während der Geschworenenauswahl nicht fristgerecht Einspruch erhoben hatten - womit es erkennen ließ, daß unser Gerichtsbezirk nicht über ein unmittelbares Einspruchsrecht wie im Bundesgesetz verfügt -, und ich sehe keinen Grund dafür, warum wir Abu-Jamal nicht die Vorzüge unserer Präzedenzfälle gewähren sollten.« Ambro fügte noch hinzu: »Warum wir gerade diesen Fall herausgreifen, um von dieser Argumentation abzuweichen, weiß ich nicht.«

Abu-Jamal wurde am 25. Juni 2010 per Telefon im Todestrakt des Hochsicherheitsgefängnisses SCI-Greene in West-Philadelphia interviewt. Sehr scharf kritisierte er den Versuch, ihn auf dem Kongreß nicht sprechen zu lassen und ihn aus der US-Abolitionistenbewegung auszuschließen. »Die lassen sich wirklich auf einen Pakt mit dem Teufel ein«, sagte er zu den Informationen, die Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe in den USA versuche, die Unterstützung durch die FOP zu bekommen. »Da ich aus Philadelphia stamme, glaube ich instinktiv, daß da Geld geflossen ist, auch wenn ich das nicht beweisen kann.« Und er fügte noch hinzu: »Diese Geheimaktion ist eine Bedrohung für die gesamte Abolitionistenbewegung. Die sagen praktisch: Weil der Widerstand (gegen die Abschaffung der Todesstrafe) so stark ist, sollten wir nicht kämpfen. Wenn man eine solche Haltung einnimmt, wozu braucht man dann überhaupt eine Abolitionistenbewegung?«

Mumia Abu-Jamals Todesurteil wurde 2001 von einem Bundesrichter aufgehoben und in lebenslange Haft umgewandelt, ohne daß diese Entscheidung je rechtskräftig geworden ist, und erst am 19. Januar 2010 hat der Oberste Gerichtshof der USA diese Entscheidung an das 3. Bundesberufungsgericht zur erneuten Überprüfung zurückverwiesen. Am Ende könnte dieses Gericht das Todesurteil bestätigen. Daß Abu-Jamal sich immer noch in der Isolation des Todestrakts befindet, ist in nicht unerheblichem Maße dem Druck der FOP in Pennsylvania geschuldet. Nach wie vor beteuert Abu-Jamal seine Unschuld. Die Unterzeichner des Memorandums nennt er »Mitverschwörer« gegen ihn und wirft ihnen vor, »naiv« zu sein, weil sie glaubten, die FOP für sich gewinnen zu können, indem sie ihn aufgeben und seinem Schicksal überlassen.

»Wenn die Abolitionisten, die 1860 für die Abschaffung der Sklaverei eintraten, mit dieser Einstellung in den Kampf gezogen wären«, so Abu-Jamal, »und wenn sie gesagt hätten, okay, laßt uns die Sklaven befreien, ausgenommen solche Aufmüpfigen wie Harriet Tubman und Frederick Douglass, auf deren Köpfe Belohnungen ausgesetzt sind, dann würde die Sklaverei noch heute bei uns herrschen.« Abu-Jamal erklärte, es scheine so, als sei die Abolitionistenbewegung vom Weg abgekommen, und er fügte hinzu, es sei notwendig, die Bewegung zu verbreitern, damit sie die Insassen der Todestrakte des Landes besser repräsentiere, wo fast jeder arm ist und wo 53 Prozent der todgeweihten Gefangenen Nichtweiße sind.


Anmerkungen des Übersetzers

(1) Vollständiger Text des Memorandums in deutscher Übersetzung: www.freedom-now.de.
Quelle des Originals: www.thiscantbehappening.net/node/116.
Die weitere Auseinandersetzung über das »Vertrauliche Memorandum« kann auf www.freedom-now.de verfolgt werden.

(2) Ensemble Contre la Pein de Mort (ECPM, www.abolition.fr) wurde im Oktober 2000 in Paris gegründet und organisierte den ersten Weltkongreß gegen die Todesstrafe in Strasbourg im Juni 2001. ECPM ist tonangebend in der World Coalition Against the Death Penalty, einem Bündnis, das Gegner der Todesstrafe aus der ganzen Welt vereint (NGO, Juristen, Parlamentarier). Seit 2002 wurden ECPM-Abteilungen in Österreich, der Schweiz, Belgien und den USA gegründet. Eine deutschsprachige Website von ECPM wird in Österreich betrieben:
members.aon.at/billyjones/ecpm/start.htm [2]

(3) Die Fraternal Order of Police (dt. Brüderlicher Orden der Polizei) wurde 1915 in Pittsburgh/Pennsylvania gegründet und entwickelte sich bis heute zur mächtigsten Standesorganisation einer konservativen Law-and-Order-Politik. Aus der Selbstdarstellung auf www.fop.net: Die FOP »ist die weltgrößte Organisation vereidigter Polizeibeamter mit über 325.000 Mitgliedern in 2100 Ortsgruppen (Logen)«. Höchstes Gremium ist die Grand Lodge. Die FOP nennt sich selbst »die Stimme der Polizeivollzugsdienstbeamten unserer Nation - niemand kennt Polizeibeamte besser als die FOP«. Als finanzstarke Lobbyorganisation nimmt sie Einfluß auf Politik und Gesetzgebungsverfahren der Bundesstaaten und der US-Bundesregierung. Kandidaten, die sich um Abgeordnetensitze bewerben, legt sie routinemäßig inquisitorische Fragebögen vor. Neben anderen Menschenrechtsorganisationen kritisiert Amnesty International die FOP wegen ihrer penetranten Einflußnahme auf das Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal. Die FOP hat zum Boykott gegen Künstler aufgerufen, die für Abu-Jamal eintreten, attackierte 1995 mit einer teuren Kampagne den renommierten Verlag Addison-Wesley, New York, weil er Abu-Jamals erstes Buch »Live from Death Row« (dt. »... aus der Todeszelle«) herausbrachte, und benutzt die Witwe des Polizisten Daniel Faulkner, Maureen Faulkner, für ihre Haßkampagne gegen Abu-Jamal. In Paris demonstrierten FOP-Mitglieder gegen die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Abu-Jamal und dagegen, daß eine Straße, die zum Nelson-Mandela-Stadion führt, nach ihm benannt wurde.

(4) Der News-Blog www.thiscantbehappening.net wurde 2004 von Dave Lindorff zunächst als »Einmannaktion nach Art Don Quijotes gegründet, um den Mächtigen zuzusetzen«. Heute gehören diesem engagierten Journalistenkollektiv außer Lindorff auch seine langjährigen Kollegen John Grant, Linn Washington und Charles M. Young an.

(5) »Grillen« bezieht sich darauf, daß im Prozeßjahr 1982 Hinrichtungen in Pennsylvania noch auf dem elektrischen Stuhl durchgeführt wurden, wobei der Körper des Todeskandidaten durch die starken Stromstöße oft sehr hoch erhitzt wurde und dampfte. Seit 1995 werden Gefangene in diesem Bundesstaat durch die Giftspritze hingerichtet.

(6) In seiner juristischen Stellungnahme vom 11. April 2008 zitierte Rechtsanwalt Robert R. Bryan Bundesrichter Ambros Minderheitsvotum, in dem er zu dem Schluß kommt, daß jeder »das Recht auf einen fairen und vorurteilsfreien Prozeß vor einer Jury von seinesgleichen hat. Wir werden durch [das Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall] Batson daran erinnert, daß '[d]ie Kerngarantie des Gleichbehandlungsgrundsatzes, die die Bürger darin versichert, daß ihr Staat sie nicht wegen ihrer Hautfarbe diskriminieren wird, bedeutungslos wäre, wenn wir dem Ausschluß von Jurykandidaten auf der Basis [...] ihrer Hautfarbe zustimmen würden'. (S. 97 f.) Ich befürchte heute, daß wir den Effekt des Batson-Urteils abschwächen, indem wir jetzt eine Einspruchsbedingung für erforderlich erklären, die es in der Rechtsprechung unseres Gerichts vorher so nicht gegeben hat, und indem wir die niedrige Schwelle für einen Fall von prima facie [Beweis des ersten Anscheins] der Diskriminierung bei der Geschworenenauswahl nun auf eine unerreichbare Höhe anheben, da viel Zeit vergangen ist und die ursprünglichen Gerichtsprotokolle der Geschworenenauswahl nicht mehr verfügbar sind. Wenn wir so entscheiden, erweisen wir dem Batson-Grundsatzurteil einen schlechten Dienst. Ich widerspreche dem deshalb mit allem Respekt.«
(Quelle: www.freedom-now.de/news/artikel405.html)

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Heiser


David Lindorff ist ein anerkannter investigativer US-Journalist u.a. für CounterPunch Magazine und The Nation. Unter seinen Buchpublikationen befindet sich eines über Mumia: »Killing Time. An Investigation into the Death Row Case of Mumia Abu-Jamal« (2002)

Der Artikel wurde am 29.06.2010 auf der Internet-Seite des Autors
unter dem Titel "The Politics of Death: Throwing Mumia Abu-Jamal Under the Bus"
http://www.thiscantbehappening.net/node/117 erstveröffentlicht.


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Quelle:
junge Welt vom 23.07.2010
mit freundlicher Genehmigung des Autors, des Übersetzers und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2010