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MUMIA/249: Der abgehörte Gouverneur (Mumia Abu-Jamal)


Der abgehörte Gouverneur

US-Politiker Blagojevich der Korruption angeklagt -
aber was unterscheidet ihn von seinen Kollegen?

Von Mumia Abu-Jamal


Wenn man die Medienberichte der letzten Wochen zum Maßstab macht, dann ist der Gouverneur des US-Bundesstaates Illinois, Rod Blagojevich, der korrupteste Bürger Chicagos seit dem berüchtigten Gangster Al Capone. Blagojevichs Gesicht ist rund um die Uhr auf allen Nachrichtenkanälen zu sehen, seit ihn die Horde der Schlagzeilenjäger zur bevorzugten Beute erkoren hat. Die Journaille giert sehnsüchtig danach, ihre Berichte durch Kraftausdrücke ausschmücken zu können. Deshalb wurde so ausführlich und genüßlich aus den geheimen Abhörprotokollen zitiert, in denen das FBI festgehalten hat, wie Blagojevich am Telefon schwadronierte und fluchte wie ein Gefängniswärter. Glaubt denn wirklich jemand, daß die Telefongespräche anderer US-Politiker sich substantiell von denen ihres Kollegen Blagojevich unterscheiden?

Was wirft man dem noch amtierenden Gouverneur letztlich vor? Laut Bundesanwalt Fitzgerald soll der Demokrat Blagojevich den am 20. Januar freiwerdenden Landesparlamentssitz seines Parteikollegen, des Senators von Illinois, Barack Obama, gegen Gefälligkeiten für sich und seine Frau und »eine großzügige Spende für seine Wahlkampfkasse« feilgeboten haben. Er soll laut Fitzgerald sogar gesagt haben, so einen Posten könne man nicht »verschenken«.

Die Aufregung ist kaum nachvollziehbar: Was ist schließlich die alltägliche Praxis von US-Politikern anderes als ein ständiges ehrgeiziges Streben nach Vorteil? Schon im 19. Jahrhundert befaßte sich der großartige französische Visionär Alexis de Tocqueville in seinem 1835 in Frankreich erschienenen Buch »Über die Demokratie in Amerika« mit diesem Phänomen und erklärte: »Der amerikanische Bürger kennt keine höhere Profession als die Politik - denn sie ist die allerlukrativste.«

Wenn jemand - mündlich - Äußerungen von sich gibt, so sind diese für sich allein genommen noch kein Verbrechen, egal wie schockierend oder anstößig sie auch sein mögen. Solange noch kein Handel abgeschlossen wurde, gibt es noch keine konkrete Tat und folglich auch kein Verbrechen. Im vorliegenden Fall sind Justiz und Bundespolizei FBI, die Blagojevich Anfang Dezember 2008 sogar auf spektakuläre Weise vorübergehend festnahm, einer Umsetzung der eigentlichen Straftat zuvorgekommen. Daraus folgt, daß die gegenüber Gouverneur Blagojevich öffentlich erhobene Rücktrittsforderung berechtigt sein mag, aber nicht deshalb, weil er ein Verbrechen begangen hat, sondern nur, weil man ihm ein grobes Fehlverhalten in seiner Amtsführung vorwerfen kann.

Machen wir uns klar, daß bei nicht wenigen von uns die privaten Telefongespräche mit unseren derzeitigen oder früheren Lebenspartnern und Freunden kaum einer strengeren moralischen Überprüfung standhalten würden, wenn sie an die Öffentlichkeit gezerrt würden. Es sagt deshalb viel über den sicherheitspolitischen Zustand unseres heutigen gesellschaftlichen Klimas aus, wenn ein hoher Amtsträger wie der Gouverneur von Illinois so leicht abgehört werden kann, wenn es seinen politischen Gegnern - oder denen eines Barack Obama, um dessen Posten es hier schließlich geht - beliebt. Es ist vorstellbar, daß die anderen 49 Gouverneure nun beim Telefonieren um einiges vorsichtiger sein werden.

Die Verwunderung über das Fehlverhalten Rod Blagojevichs kann nur daher rühren, daß viele immer noch glauben, Politiker in den USA seien nicht wegen ihres persönlichen Strebens nach Macht und Geld in diesem Geschäft. Fällt einem nur ein einziger US-Präsident ein, der bis zur Schlüsselübergabe an seinen Nachfolger nicht einen guten Schnitt gemacht hätte? Allein die letzten drei Präsidenten waren nicht kleinlich bei der Sicherung ihrer Pfründe: William Clinton hat im Weißen Haus abgeräumt wie mit einem Industriestaubsauger. Der alte George H. Bush tourte fleißig um die Welt und hielt dabei die Hände auf, und bei seinem Sohn George W. Bush steht der Kassensturz kurz bevor.

Bei alledem dürfen wir nicht vergessen, wie viele Kriege vom Zaun gebrochen wurden, nicht etwa um der »Demokratie« zum Durchbruch zu verhelfen und auch nicht, um »Massenvernichtungswaffen« aufzuspüren und auszuschalten, sondern nur aus dem einen Grund, nämlich US-Konzernen Vorteile und Profite zu verschaffen und den USA Rohstoffe und Reichtümer zu sichern.

Blagojevichs Amtsführung mag korrupt sein, aber er ist nicht korrupter als andere Politiker auch, und seine Amtsführung unterscheidet sich nicht wesentlich von der in den meisten Ämtern und Behörden der USA. Er macht's wie viele - er folgt dem »American Way of Life«.

Copyright: Mumia Abu-Jamal 2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 305 vom 03./04. Januar 2009


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Quelle:
Die Beiträge entstammen der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
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Weitere Informationen siehe auch http://www.mumia.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2009