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PREIS/045: Whistleblower Preis 2015 (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms
Presseinformation vom 17. September 2015

Whistleblower Preis 2015


Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die deutsche Sektion der internationalen Juristenorganisation IALANA vergeben den Whistleblower-Preis 2015 zu gleichen Teilen an

  • den ehemaligen US-Drohnenpiloten Brandon Bryant und
  • den Molekularbiologen Prof. Gilles-Eric Séralini von der Universität Caen (Normandie/Frankreich) sowie
  • den Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis an den NS-Verfolgten dt.-franz. Physiker Dr. Léon Gruenbaum (geb. 1934 gest. 2004)

Die Verleihung der Preise wird am Freitag, den 16. Oktober 2015, 19.30 Uhr, im Bürgersaal des Rathauses zu Karlsruhe in Anwesenheit von Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup erfolgen.

Die Auswahl der Preisträger erfolgt auf Vorschlag der gemeinsamen Jury der VDW und der IALANA. Ihr gehören an:

Rechtsanwalt Gerhard Baisch (Bremen) · Bundesrichter Dr. Dieter Deiseroth (Leipzig/Düsseldorf) · Prof. Dr. Hartmut Grassl (früherer Direktor des Max-Planck-Instituts für Metereologie, Hamburg) · Molekularbiologin Dr. Angelika Hilbeck (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) · Rechtsanwältin Christine Vollmer (Bremen)


Die Jury hat ihre Auswahlentscheidung wie folgt begründet:

Brandon Bryant war in den Jahren 2006 bis 2011 bei der US Air Force als Drohnenpilot im Einsatz. Nach einer Zeit schwerer Gewissenskonflikte gab er aus eigenem Entschluss seinen Dienst auf und schied im Juli 2011 aus den US-Streitkräften aus. Er lehnte und lehnt aus ethischen Gründen den globalen geheimen US-Drohnenkrieg ab. Ihn schrecken insbesondere die damit verbundenen unzähligen zivilen Opfer und auch die schweren psychischen Folgen für die an den Tötungen beteiligten Drohnenpiloten, von denen viele gravierende gesundheitliche Schäden davontragen. Er wollte dies nicht länger mit-verantworten und bedauert heute seine frühere Mitwirkung an diesen extra-legalen Tötungen zutiefst. Brandon Bryant deckte als Insider ab Dezember 2012 in zahlreichen Interviews auf, wie dieser globale Drohnenkrieg geführt wird. Er hat dabei öffentlich - für Deutschland besonders bedeutsam - auch die zentrale Funktion der Relaisstation und des "Air and Space OPs Center (AOC)" in der US-Air-Base Ramstein (Rheinland-Pfalz) enthüllt, ohne die das gesamte Programm global in diesen Dimensionen nicht durchführbar wäre. Er nahm bei seinen Enthüllungen dienst- und strafrechtliche Verfolgung sowie drohende soziale Isolation in Kauf. Seine Enthüllungen lassen erkennen: Mit Hilfe der schnellen transatlantischen Glasfaserverbindungen über die Relaisstation in Ramstein wird der Kontakt von den USA zu den Drohnen fast ohne Latenz praktisch in Echtzeit ermöglicht. Die Einrichtungen in Ramstein beschränken sich dabei nicht auf den Datentransfer; vielmehr sind dort bis zu 650 Soldaten und Bildauswerter tätig, die den Kommandeuren bei der Zieldefinition zuarbeiten. Die US-Drohnenangriffe sind nach Auffassung vieler Staaten und der bei weitem meisten Völkerrechtler insbesondere wegen der damit verbundenen und bewusst in Kauf genommenen großen Zahl ziviler Opfer mit Art. 51 und 57 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen nicht vereinbar. Solche Angriffe sind völkerrechtswidrig, wenn der "Begleitschaden" vorhersehbar war und wenn er durch die Anwend ung praktisch möglicher Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und -methoden vermeidbar gewesen wäre oder wenn die mit ihm verbundenen Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Auch bei nicht völkerrechtswidrigen Angriffen, durch welche die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden kann, muss eine wirksame Warnung vorausgehen, wenn die gegebenen Umstände dies erlauben. Die US-Drohnenangriffe gegen Ziele u.a. in Pakistan, Jemen und Somalia verstoßen ferner gegen die territoriale Integrität dieser Zielstaaten (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta). Sie können auch nicht als Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta gerechtfertigt werden, da von diesen Staaten keine (gegenwärtigen) militärischen Angriffe gegen die USA ausgehen. Eine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat nach Art. 39 und 42 UN-Charta liegt nicht vor. Brandon Bryant ist zudem mit detaillierten Angaben der Behauptung der deutschen Bundesregierung entgegen getreten, die von deutschen Geheimdiensten an US-Stellen weitergegebenen Mobiltelefon-Daten seien nicht zur Ortung eines Drohnen-Angriffsziels verwendbar. Wie er enthüllte, ermöglicht die "Gilgamesh-Komponente" der technischen Ausstattung der Drohnen an Hand dieser Daten eine metergenaue Ortung eines Mobiltelefons möglicher Zielpersonen und damit deren Tötung. Die US-Regierung hat zu keiner Zeit seine Informationen als unzutreffend dargestellt oder dementiert. Bryant gab mit seinen Informationen den Anstoß für weitere detaillierte Recherchen und Enthüllungen zahlreicher investigativer Journalisten. Es ist seinen Informationen zu verdanken, dass sich der Fokus der Debatte um den globalen Drohnenkrieg der USA in Deutschland nunmehr immer stärker auf die Aktivitäten der USA in Ramstein konzentrieren kann. Die Bundesregierung begeht mit ihrer Politik der Duldung der dortigen Vorgänge selbst ein völke rrechtliches Delikt. In der Öffentlichkeit werden deshalb inzwischen zu Recht die Kündigung der mit den USA abgeschlossenen Überlassungsvereinbarungen (Art. 48 Abs. 3 ZA-NTS) für Ramstein und ein drastisches Einschreiten deutscher Stellen vor Ort gefordert, um wirksam die zahlreichen dort auf deutschem Boden stattfindenden Völkerrechtsverstöße im Drohnenkrieg zu unterbinden.


Professor Dr. Gilles-Eric Séralini hat als Wissenschaftler an der Universität Caen, Frankreich, als erster bei einem zweijährigen Fütterungsversuch mit Ratten die Giftigkeit und die tumorauslösende Wirkung des weltweit am häufigsten verwendeten Herbizids, des Glyphosat-basierten "Roundup", im Tierversuch festgestellt. Unmittelbar nach der Veröffentlichung seines Forschungsberichts im Jahre 2012 in der Zeitschrift Food and Chemical Toxicology (FCT), die im Elsevier-Verlag erschien, ist er in einer Kampagne "interessierter Kreise" aus der Chemieindustrie sowie von dem von der Industrie mitfinanzierten "British Science Media Centre" vehement angegriffen worden. Das führte zur Zurückziehung der Veröffentlichung durch den Herausgeber der genannten Zeitschrift wegen "Unschlüssigkeit" ("inconclusiveness") und damit zur Nichtzitierfähigkeit der darin enthaltenen Daten, was klar gegen internationale Regeln der Publikationsethik verstieß, wie sie das "Committee on Publication Ethics (COPE)" festgelegt hat. Denn das Zurückziehen von Publikationen und der darin enthaltenen Daten ist danach nur bei schweren Verstößen wie nachgewiesener Fälschung oder Manipulation, 'ehrlichem' Irrtum (honest error) oder bei Plagiat gerechtfertigt. Prof. Séralini ist es gelungen, seine Studie 2014 in einer anderen Zeitschrift, Environmental Sciences Europe (Springer-Verlag), erneut zu veröffentlichen und somit der wissenschaftlichen Analyse und Nutzung zu erhalten. Sie konnte damit auch für die kürzlich veröffentlichte Neubewertung von Glyphosat als 'wahrscheinlich krebserregend' durch die "In ternational Agency for Research on Cancer (IARC)" der Weltgesundheitsorganisation WHO herangezogen werden. Mit dieser IARC-Expertise wird nicht nur die tumorauslösende Wirkung, die Prof. Séralini in seinen Studien beobachtet und über die er berichtet hat, bestätigt, sondern auch, dass viele dieser Tumore bösartig sind, was bislang - trotz gegenteiliger Behauptungen - nicht Gegenstand der Untersuchungen von Prof. Séralinis Studien war. Gegenüber allen wissenschaftlichen und persönlichen Angriffen, auch solchen, die sich vor Gerichten als haltlos erwiesen, blieb Prof. Séralini in diesen durch seine Studien ausgelösten Konflikten in Wahrnehmung seiner berufsethischen Verantwortung standhaft. Diesen Attacken setzte er auf hohem wissenschaftlichem Niveau mit großer Ausdauer und Entschiedenheit seine Argumente entgegen. Er fand damit weltweit Unterstützung bei vielen WissenschaftlerInnen, die die von ihm gewählten Methoden verteidigen und seine gewonnenen Ergebnisse für weiterführend halten. Damit hat er den wissenschaftlichen Diskurs über die Gesundheitsrisiken des Glyphosat-basierten Herbizids "Roundup" sehr gefördert. Darüber hinaus hat er systemische Schwächen bei der Zulassungsprüfung von Herbiziden im Besonderen und Pestiziden im Allgemeinen durch die zulassenden Behörden aufgedeckt. Damit ist erneut sichtbar geworden: Der Erhalt unserer Gesundheit ist von Whistleblowern abhängig. Diese nehmen unter Gefährdung ihrer persönlichen Integrität und ihrer Karriere ihre berufsethische Verantwortung wahr, weil innerstaatliche und europäische Stellen der ihnen übertragenen Verantwortung nur unzureichend gerecht werden. Sie verdienen unsere Anerkennung und Unterstützung. Der herausragende uneigennützige Einsatz von Prof. Séralini erfüllt die Kriterien der gemeinsamen Jury für den Whistleblower-Preis von IALANA und VDW und soll mit diesem Preis in besonderer Weise geehrt werden.


In diesem Jahr wird erstmals auch ein Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis vergeben, und zwar an Dr. Léon Gruenbaum, einen früher am Kernforschungszentrum Karlsruhe beschäftigten deutsch-französischen Physiker, der als NS-Verfolgter ("survivor child") gegen rassistische und NS-affine Äußerungen dortiger NS-belasteter Leitungspersonen protestiert hatte und im Gefolge dieser Konflikte nicht weiterbeschäftigt wurde. Bei der Würdigung seines Wirkens geht es u.a. auch um das Aufdecken von Fehlverhalten des Ehrensenators der Karlsruher Universität (KIT), des früheren administrativen Geschäftsführers des KFZ Karlsruhe Dr. Rudolf Greifeld, sowie um Gruenbaums Arbeiten zu den Verstrickungen des Forschungszentrums in die Weiterverbreitung von Atomwaffen.

Weitere Informationen und eine ausführliche Begründung der Jury finden Sie unter:
http://www.ialana.de/arbeitsfelder/whistleblowing/whistleblower-preis/whistleblowerpreis-2015/1254-whistleblowerpreis-2015-pressemitteilungen

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Quelle:
IALANA-Hauptstadtbüro
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: +49 30 20654857, Telefax: +49 30 20654858
E-Mail: info@ialana.de
Internet: http://www.ialana.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2015

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