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NEWSLETTER/030: Werkstatt für Frieden & Solidarität - Rundbrief 13/2010


Werkstatt-Rundbrief Nr. 13/2010 - 14. Oktober 2010


Themen:

AKTUELLES:
(1) Uni-Vollversammlungen und Warnstreiks am 19. Oktober - "Sparen bei Bildung ist schlichtweg dumm!"
(2) Übergabe der Unterschriften der Werkstatt-Petition "Höchste Eisenbahn!"
(3) Allgemeine Wehrpflicht: Die aktuelle Wirtschafts- und Kriegspolitik sind die wirkliche Bedrohung
(4) Post AG: Skandalöse Dividendenpolitik
(5) § 278a - Selbstanzeigen offenbaren Haltlosigkeit der Vorwürfe gegen die angeklagten Tierrechts-AktivistInnen

WEITERE HINWEISE:
(6) Laufende Kampagnen und Aktivitäten
(7) LeserInnenbriefe/Diskussionen/Gastkommentare
(8) Termine
(9) Bestellungen


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AKTUELLES

(1) Uni-Vollversammlungen und Warnstreiks am 19. Oktober: "Sparen bei Bildung ist schlichtweg dumm!"

Am 19. Oktober finden in allen österreichischen Uni-Standorten Warnstreiks und Vollversammlungen der Lehrenden und Studierenden statt, um gegen den Kahlschlag an den Universitäten zu protestieren. Die Regierung will ab 2012 die Uni-Budgets einfrieren, real bedeutet das 10 Prozent minus jährlich. Trotz der niedrigen Akademikerquote in Österreich soll die Zahl der Studierenden gedrosselt werden - durch flächendeckende Zugangsbeschränkungen in Form einer "Studierendenrausprüfphase" im ersten Semester. Eine neue Studie aus dem Wissenschaftsministerium zeigt: Der Anteil von Kindern aus unteren sozialen Schichten hat an den Hochschulen deutlich abgenommen.

Der Aufstand der Studierenden im vergangenen Herbst gegen die katastrophalen Studienbedingungen hat den materiellen Notstand im Bildungsbereich endlich zu einem Thema gemacht. Selbst die Regierung versprach, in den Ausbau der Bildung zu investieren. Doch seit EUKommission und EU-Rat den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein eisernes Sparkorsett verordnet haben, ist wieder alles anders. Ab 2012 sollen die Uni-Budgets bis 2014 eingefroren werden. Der Rektor der Linzer Universität Richard Hagelauer warnt, dass ein Einfrieren der Gelder für die Unis angesichts wachsender Personal- und Materialkosten eine reale Budgetkürzung von jährlich 10% bedeuten würde (OÖN, 12.10.2010). D.h. trotz steigender Studierendenzahlen müsste Hochschulpersonal abgebaut und Investitionen zurückgestellt werden; ganze Institute sind von Schließungen bedroht.

Schon seit vielen Jahren verschlechtert sich das Betreuungsverhältnis an den Hochschulen stetig. Kamen in den 80er Jahren noch 66 Studierenden auf eine/n Professor/in, so sind es jetzt bereits 127 (1). An manchen Universitätsstandorten kommen bis zu 300 Studierende auf eine/n Professor/in. Seit Mitte der 90er Jahre ist der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) kontinuierlich zurückgegangen. Wäre der Anteil der Bildungsausgaben am BIP aus dem Jahr 1995 konstant geblieben (und nicht gesunken), wären seither 13 Milliarden Euro mehr für die Bildung in diesem Land ausgegeben worden.

"Studieneingangsphase als Studierendenrausprüfphase". Auch die Antwort der Regierung auf diesen Notstand zeichnet sich ab: Noch mehr Zugangsbeschränkungen, noch mehr soziale Selektion. So haben sich SPÖ und ÖVP mittlerweile geeinigt, dass die sog. "Studieneingangsphase" eine "Studierendenrausprüfphase" werden soll, um die Studierendenzahlen den universitären Sparkurs anzupassen. Was das heißt, zeigt sich am Beispiel der Wirtschaftsuni in Wien, wo von 7.000 NeuinskribentInnen 1.300 nach diversen "Knock-out"-Prüfungen zu Studienbeginn übrig bleiben sollen. Auch die Ausweitung der Studiengebühren rückt wieder auf die politische Tagesordnung. Äußerungen der Salzburger LH Gabi Burgstaller deuten darauf hin, dass die SPÖ auch hier zum Salto-rückwärts ansetzt. TU-Rektor Skalitzky forderte im Frühjahr bereits Studiengebühren in der Höhe von EUR 10.000,- jährlich. Eine Vorstellung, die den Plänen der EU-Kommission entspricht, die sich bereits 2006 für hohe Studiengebühren nach dem Vorbild US-amerikanischer Eliteuniversitäten ausgesprochen hat.(2)

Verschärfte soziale Selektion. Dabei zeigt die jüngst erschienene Sozialerhebung des Wissenschaftsministerium (3) schon jetzt, dass sich die soziale Selektion an den österreichischen Hochschulen im letzten Jahrzehnt verschärft hat. Der Anteil von Kinder aus unteren sozialen Schichten an den Studierenden hat deutlich abgenommen; ihr Anteil ist von 26% (1999) auf 19% (2008) abgesunken. 61% der Studierenden müssen auch während des Semesters jobben gehen. Sie arbeiten im Durchschnitt knapp 20 Stunden pro Woche. Die Unvereinbarkeit von Studium und Berufstätigkeit zählt zu den wichtigsten Gründen für die hohe Studienabbrecherquote an den österreichischen Hochschulen.

Immer klarer zeichnen sich auch Tendenzen der Selektion innerhalb des Studiums ab. Bei etlichen Studienrichtungen ist es bereits üblich, dass die erfolgreiche Absolvierung eines Bachelor-Studiums nicht mehr ausreicht, um ein weiterführendes Master-Studium beginnen zu können. Immer öfter werden hier zusätzliche Ausleseverfahren eingezogen, um die Zahl jener zu begrenzen, die sich universitär weiterbilden dürfen. Es ist allerdings den Kämpfen der "uni-brennt"-Bewegung seit Herbst 2009 zu verdanken, dass an vielen Studienrichtungen solche Selektionshürden beim Übertritt vom Bachelor zum Master bislang verhindert werden konnten.

"Stiller Putsch". Mit dem Bologna-Prozess und dem sog. "Lissabon-Prozess" der EU soll die europäische Hochschullandschaft neoliberal umgestaltet werden. Zentrales Ziel dieser Prozesse ist es, die Errungenschaften der 70er Jahre - mehr Chancengleichheit, offener Hochschulzugang, Demokratisierung der Unis - zurückzurollen und ein Zwei-Klassen-Studium zu implementieren: Schmalspurausbildung für die Masse, höchste Qualifikation nur mehr für eine kleine Eliten, die sich wieder vorwiegend aus den oberen Schichten der Bevölkerung rekrutieren. Dazu gehört auch der immer direktere Zugriff der "Wirtschaft" auf die Entwicklung von Lehre und Forschung. So hat mit dem Universitätsgesetz (2002, novelliert 2009) an den österreichischen Hochschulen ein stiller Putsch stattgefunden, der die studentische Mitbestimmung massiv zurückgedrängt und die Vertreter von Konzernen und Banken an die Schalthebel der Universitäten gehievt hat. Ermöglicht wurde das durch die Einrichtung der machtvollen Universitätsräte, die seither die Entwicklung der Universitäten steuern. Von den 79 Uni-Rats-Mitgliedern kommen 33, also fast 42% direkt aus den Führungsetagen von Großunternehmen wie Raiffeisen, Siemens, Bank Austria, Sony, IBM, Generali, Voestalpine, Hoffman-La Roche. Den 33 KapitalvertreterInnen steht eine (!) Vertreterin einer Gewerkschaft gegenüber. 8 von 11 Vorsitzende der Uni-Räte kommen aus Konzernetagen.(4)

"Gemeinsam dem Bildungsabbau entgegentreten!"

Als Zeichen des Protests gegen die materielle Aushungerung der Hochschulbildung werden am 19. Oktober an allen österreichischen Unis Universitätsvollversammlungen stattfinden, zu denen alle Studierenden und Lehrenden eingeladen sind. Gleichzeitig findet ein Warnstreik statt, der Lehrveranstaltungsbetrieb wird eingestellt. Die "Uni-brennt-Bewegung" nimmt wieder Fahrt auf. Stefan Daxner, Aktivist der Werkstatt Frieden & Solidarität: "Sparen bei Bildung ist schlichtweg dumm. Wir müssen diese Vollversammlungen nutzen, um gemeinsam dem Bildungsabbau der Regierung entgegenzutreten. Die Kämpfe der 'Uni-brennt-Bewegung' haben gezeigt: Nur durch Druck von unten, durch das Engagement und Solidarität der Betroffenen kann diese zukunftsfeindliche Rotstiftpolitik durchkreuzt werden." Für die Werkstatt sind Investitionen in Bildung, freier Hochschulzugang und die Demokratisierung der Unis wichtige Bestandteile einer solidarischen, ökologischen und demokratischen Wende, um aus der neoliberalen Sackgasse rauszukommen und in Richtung eines Solidarstaat Österreich umzusteuern.

Die Werkstatt Frieden & Solidarität fordert für die Hochschulen:

Eine Hochschulmilliarde sofort - Anhebung des öffentlichen Hochschulbudgets auf 2% des BIP!
Freier Hochschulzugang - keine Zugangsbeschränkungen zu den Universitäten bzw. während des Studiums.
Demokratisierung der Unis - gleichberechtigte studentische Mitbestimmung auf allen Ebenen - Abschaffung der undemokratischen Uni-Räte!
Keine prekären Arbeitsverhältnisse - Überwindung von Diskriminierungen auf allen Ebenen!
Ausstieg aus dem Bologna-Prozess!
Nein zum sozialen Numerus Clausus - Abschaffung aller Studiengebühren - Wirtschaftliche Absicherung für Studierende unabhängig vom Elterneinkommen! (Siehe dazu Reiche Eltern für alle!)

Alle Vollversammlungstermine für den 19. Oktober 2010 an den verschiedenen Uni-Standorten auf:
http://www.vollversammlung.at/

Anmerkungen:
(1) Zahlen siehe Statistik Austria auf www.statistik.at
(2) EU-Kommission; Effizienz und Gerechtigkeit in den Europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung, 8.9.2006, Brüssel
(3) Studierenden-Sozialerhebung 2009; Bericht zur sozialen Lage der Studierenden, IHS, im Auftrag des BMWF.
(4) siehe auch guernica 4/2010


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(2) Übergabe der Unterschriften der Werkstatt-Petition "Höchste Eisenbahn"

Die Werkstatt Frieden & Solidarität übergab im September 2.500 Unterschriften, die für die Petition "Höchste Eisenbahn" gesammelt wurden, an Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Die Forderungen dieser Werkstatt-Aktion sind aktueller denn je: Die ÖBB plant die Stilllegung von 29 Nebenbahnen, selbst ÖBB-Chef Kern warnt mittlerweile vor einem Ausverkauf an die Deutsche Bahn. Wir sehen diese Unterschriften daher als Startschuss für ein langfristiges Engagement für die Forderungen dieser Petition und laden zur Mitarbeit ein. Die Werkstatt Frieden & Solidarität übergab im September 2.500 Unterschriften, die für die Petition "Höchste Eisenbahn" gesammelt wurden, an Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Die Forderungen dieser Initiative sind:

Sofortiger Stopp der Bahnliberalisierung und der Pläne zur Streckenstilllegung!
Ausweitung des öffentlichen Verkehrsnetzes und Taktfahrplan nach dem Muster der Schweiz!
Nulltarif auf Öffentlichen Verkehrsmitteln finanziert durch einen solidarischen Mobilitätsbeitrag für alle, der sich an der Wertschöpfung bemisst!
Volksabstimmung über einen zukunftsfähigen Öffentlichen Verkehr statt Bahnliberalisierung!

"Hervorragende Verbündete". Prammer zeigte sich hoch erfreut über diese Initiative, versprach eine ausführliche Prüfung im Petitionsausschuss des Nationalrates und versicherte uns, dass wir in der Verkehrsministerin Bures "eine hervorragende Verbündete" für unsere Anliegen hätten. Das mag ja sein, doch der Haken daran ist: Selbst wenn die Ministerin unsere Forderungen teilt, die Weichen werden derzeit in eine ganz andere Richtung gestellt: Die ÖBB will mindestens 29 Nebenbahnen stilllegen, weil das Geld für Investitionen fehlt und im Zeitalter der EU-Liberalisierung für den Ausgleich zwischen profitablen Hauptstrecken und unrentablen Nebenstrecken keinen Platz mehr ist. Unsere "hervorragende Verbündete" könnte in die Geschichte eingehen als jene Verkehrsministerin, in deren Zeit die meisten Bahnverbindungen seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts stillgelegt worden sind. Selbst der Totalausverkauf der Bahn droht mit der Liberalisierungspolitik. Vor kurzem hat sogar der neue ÖBB-Chef Christian Kern zugegeben, dass die ÖBB "in 10 Jahren der Deutschen Bahn gehören" könne. (Die Presse, 22.09.2010).

Schweiz zeigt, dass es auch anders geht. Die österreichischen Machteliten befinden sich in einem -selbst gewählten und gewollten - Schraubstock von EU-Vorgaben: Sparzwang, Liberalisierungszwang, Privatisierungszwang. Die Werkstatt warnt schon seit langem davor, dass die EU-Liberalisierungspolitik zum Ausverkauf der Bahn führt. Aus diesem Schraubstock müssen wir raus, wenn der öffentliche Verkehr - und damit die Menschen - wieder Luft zum Atmen bekommen soll. Das Nicht-EU-Land Schweiz zeigt, dass es auch anders geht. Dort werden Schienennetze nicht absondern ausgebaut. Dort gibt es zwischen allen regionalen Zentren einen Halbstundentakt, während derzeit in Österreich die letzten Direktverbindungen zwischen der zweit- und drittgrößten Stadt (Graz -Linz) eingestellt werden soll.

Die Forderungen unserer Petition sind aktueller denn je. Wir wissen, dass 2.500 Unterschriften noch viel zu wenig sind. Wir sehen das als Startschuss für ein langfristiges Engagement für diese Forderungen. Als WERKSTATT können wir dabei freilich nur so stark sein, wie sich auch Menschen finden, die sich dafür engagieren. Wir wollen deshalb eine Werkstatt-Arbeitsgruppe "Öffentlicher Verkehr" gründen, die diese Unterschriften als Auftrag sieht, in diese Richtung weiter Dampf zu machen. Jede/r, der/die dabei mitmachen will, ist uns herzlich willkommen!

Kontakt: office@werkstatt.or.at

Zu den Forderungen der Petition "Höchste Eisenbahn" im Detail:
Höchste Eisenbahn Teil 1: Ein Drittel des Schienennetzes von Stilllegung bedroht
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=198&Itemid=68
Höchste Eisenbahn Teil 2: Verkehrswende nach dem Vorbild der Schweiz
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=199&Itemid=68
Höchste Eisenbahn Teil 3: Der öffentliche Verkehr soll für jeden kostenlos sein
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=200&Itemid=68


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(3) Allgemeine Wehrpflicht: Die aktuelle Wirtschafts- und Kriegspolitik sind die entscheidende Bedrohung

Ein Berufsheer ist sowohl leichter für offensive Kriegseinsätze nach außen als auch im Inneren gegen die eigene Bevölkerung einsetzbar. "Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin." Diese alte Losung der Friedensbewegung ergibt nur als kollektive Aufgabenstellung einen Sinn. Wird sie auf "ich geh nicht hin" reduziert, erleichtert es bloß den Einsatz militärischer Mittel beim großen Geschäft der neuen, alten Eliten.

".., doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen - negative durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen." Über diese etwas holprige Formulierung der aktuellen kriegspolitischen Ziele Deutschlands ist Horst Köhler im Mai dieses Jahres gestolpert. Dabei hat er nur laut ausgesprochen, was längst schon offizielle Doktrin in allen einschlägigen Dokumenten ist. Österreich hat wohl nicht die Größe Deutschlands, wohl aber eine mit Deutschlands Industrie verflochtene Außenhandelsorientierung und Außenhandelsabhängigkeit. Entsprechend finden sich die gleichlautenden Zielsetzungen auch in der österreichischen Sicherheitsdoktrin und Militärpolitik. "Für Österreich ist die Teilnahme an EU-Einsätzen mit großem Nutzen verbunden ....zum globalen Management von Konflikten und zwecks Zugangs zu strategischen Rohstoffen, der Aufrechterhaltung des freien Handels und der Schifffahrt" liest man auf der web.page des BMLV bereits im Jahr 2001. Verteidigungsminister Platter lobte vor Jahren bereits die Militärpräsenz des Bundesheeres am Balkan als "Türöffner für die österreichische Wirtschaft". Und trotz Kleinheit und Budgetnöten hegt man große Pläne. Sollte es zu einer weiteren "Stabilisierung" am Balkan kommen, will man die Präsenz im Nahen Osten, besonders im Libanon, ausbauen. (Die Presse, 27.8.2010) Auch wenn es selten ausgeplaudert wird: Wir können getrost davon ausgehen, dass keiner dieser Schritte ohne enge Absprache mit dem großen Nachbarn vorgenommen wird.

Berufheer - leichter für offensive Kriegseinsätze nach außen und gegen die eigene Bevölkerung einsetzbar. Das muss jenen zu denken geben, die die derzeitige Diskussion um Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und Einführung eines Berufs- bzw. Freiwilligenheeres als friedenspolitischen Fortschritt interpretieren. Präsenzdiener können nicht automatisch zu globalen Militäreinsätzen verpflichtet werden, bei Berufssoldaten kann die Verpflichtung schon beim Eintritt ausbedungen werden. Dafür tritt jetzt eine eigenartige Koalition von Grünen, BZÖ und der "Kronen-Zeitung" in Erscheinung. Peter Pilz (Grüne) verlangt eine Konzentration auf Auslandseinsätze, Österreich solle sich auf eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik festlegen, die von den USA abgekoppelt ist. (Die Presse, 30.6.2010) Berücksichtigt werden muss auch, dass mit der sogenannten "Solidaritätsklausel" im EU-Vertrag, auch Militäreinsätze im Innern der Boden bereitet wurde, etwa gegen unbotmäßige Bevölkerungen, die sich dem verordneten Sparkurs verweigern. (siehe: Werkstattrundbrief 12-2010, www.werkstatt.or.at) Die friedensstiftende Wirkung einer Abschaffung der Wehrpflicht ist nicht begründbar. Sie kann ebenso schnell wieder eingeführt werden, wie sie abgeschafft wurde. Viel wichtiger ist die Interpretation der außen- und sicherheitspolitischen Gemengelage. Freilich ist es unsinnig, die Aufrechterhaltung der allgemeinen Wehrpflicht mit der Bedrohung von durch den Donaukorridor ziehender Panzerkolonnen zu begründen. Als entscheidende Bedrohung muss die aktuelle Wirtschafts- und Kriegspolitik selbst betrachtet werden: eine aggressive Außenhandelsorientierung, Sparpolitik nach innen, verbunden mit der offen bekundeten Absicht diese globale Machtprojektion auch militärisch zu unterfüttern. Diese Politik wird gleichermaßen als Forderung von außen an die österreichische Politik herangetragen, wie auch von den eigenen industriellen und finanzkapitalistischen Machteliten selbst betrieben. Eine demokratische, solidarische und ökologische Wende kann sich nur entfalten, wenn Österreich die Anbindung an diese Politik aufgibt. Bedrohung muss vor diesem Hintergrund diskutiert werden. Allgemeine Wehrpflicht hätte in diesem Kontext vor allem die Aufgabe, Bereitschaft und Strukturen zur Verteidigung des eigenen demokratischen und solidarischen Weges gegen die aggressiven Ambitionen äußerer, aber auch der eigenen, Eliten zu formen. Ob dies mit dem derzeitigen Bundesheer möglich ist, erscheint höchst zweifelhaft. 24.000 Berufskader (zivile und militärische) werden beim Bundesheer beschäftigt. Ein großer Teil dieses Kaders sieht sich eher in der Tradition alter imperialer Traditionen, als einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft, die auf die Anwendung militärischer Gewalt bei der Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen bewusst verzichtet.

"Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin." Diese alte Losung der Friedensbewegung ergibt nur als kollektive Aufgabenstellung einen Sinn. Wird sie auf "ich geh nicht hin" reduziert, erleichtert es bloß den Einsatz militärischer Mittel beim großen Geschäft der neuen, alten Eliten.

Boris Lechthaler-Zuljevic

P.S.: Unter dem Titel "Für einen allgemeinen Wehr- und Solidardienst statt eines Berufsheeres für Auslandseinsätze" wird in der Werkstatt gerade ein Positionspapier zur aktuellen Debatte um die Wehrpflicht erarbeitet. Wer sich hier einklinken will, kann jederzeit mit uns Kontakt aufnehmen.

P.P.S.: Im Zuge des Wiener Gemeinderatswahlkampfes ist von Michael Häupl (SPÖ) auch die Forderung nach einer Volksbefragung über die Frage der allgemeinen Wehrpflicht ventiliert worden. Grundsätzlich ist die Nutzung direktdemokratischer Instrumente auch in dieser Frage zu begrüßen. Es kommt jedoch darauf an, was genau befragt wird. Wehrpflicht, ja oder nein, alleine greift sicherlich zu kurz. Wenn Volksbefragung dann auch über den Kriegsermächtigungsartikel 23 f des BVG, über die Solidaritätsklausel und die Beistandsverpflichtung im neuen EU-Vertrag, über die Einrichtung sogenannter EU-Schlachtgruppen.


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(4) Post AG: Skandalöse Dividendenpolitik

Zum dritten Mal hintereinander schüttet die Post mehr Dividenden an die Aktionäre aus, als Gewinn erzielt wurde. Während die Aktionäre gefüttert werden, sollen noch heuer weitere 300 Postämter geschlossen werden. Das ist ein Skandal, denn allein im Jahr 2008 wurde 14-mal mehr an Dividende ausgeschüttet, als durch die Schließung dieser 300 Postämter eingespart werden kann. Einzelne Beispiele zeigen aber: Der Widerstand der Bevölkerung vor Ort gegen Postamtsschließungen zeigt Wirkung.

Der Kahlschlag bei den Postämtern soll weitergehen, denn der Post-Vorstand plant die Schließung von weiteren 300 Postämtern noch in diesem Jahr. Schon jetzt sind von den 2.300 Postämtern im Jahr 1999 nur mehr 1.051 übrig, 27% der MitarbeiterInnen (rd. 10.000 Beschäftigte) wurden in diesem Zeitraum "abgebaut". Besonders skandalös sind die horrenden Dividenden-Ausschüttung. Bereits drei Jahre hintereinander wurde deutlich mehr an Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet als Gewinn erzielt wurde.

Die Dividendenpolitik der Post AG kann nur mehr als skandalös in hohem Maß geschäftsschädigend bezeichnet werden. Zum dritten Mal hintereinander wurde mehr Dividende ausgeschüttet, als Gewinn erzielt wurde.

Die Zahlen im Detail:

in Millionen EUR
2007
2008
2009
Gewinn
123
119
80
Dividendenausschüttungen
168
169
101
Dividendenausschüttung in
Prozent des Gewinns
137%
142%
126%

Quelle: Österreichische Post AG


Um satte 116 Millionen überstiegen in diesen drei Jahren die Gewinnausschüttungen an die Aktionäre die erwirtschafteten Gewinne. Alleine im Jahr 2008 wurde vierzehn Mal mehr an Dividende ausgeschüttet, als durch die Schließung von weiteren 300 Postämtern eingespart werden soll. Diese unverantwortliche Vorgehensweise des Managements gefährdet die Substanz des Unternehmens.

"Postpartner" sind kein Erstatz

Auch die sog. "Postpartner" sind kein Ersatz für Postämter. Die Menschen haben ein Recht, dass mit ihrer Post und ihrem Geld vertrauens- und verantwortungsvoll umgegangen wird. Das kann nicht nebenbei zwischen Ölwechsel, Brotaufstrich und Zigarettenverkauf erledigt werden. Eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer Tirol stellt diesen Postpartnern teilweise ein vernichtendes Zeugnis aus, zahlreiche Mängel wie ein fehlender Schutz der Privatsphäre, Verschlechterung der Dienstleistungen, usw. wurden festgestellt.

Auslöser: EU-Liberalisierung

Ausgelöst wurde diese negative Entwicklung durch die Liberalisierung der EU-Postmärkte. Anstelle einer flächendeckenden Absicherung von qualitativ hochwertigen Postdienstleistungen für alle tritt dadurch der Zwang zur Maximierung von Gewinnen und Dividenden. Gerade die Versorgung von ländlichen Gegenden wird damit immer mehr in Frage gestellt. Über die EU-Ebene wird damit eine Politik durchgepeitscht, die in vielen Ländern auf parlamentarischem Weg nie und nimmer mehrheitsfähig wäre. Ab 2011 droht die vollständige Öffnung der EU-Postmärkte.

Zum Vergleich: Im Nicht-EU-Land Schweiz, das flächenmäßig nur halb so groß wie Österreich ist und eine halbe Millionen EinwohnerInnen weniger hat, gibt es mit 2.600 Postfilialen mehr als doppelt so viele wie in Österreich. Die Schweizer Post, die zu 100% im staatlichen Eigentum steht, beschäftigt doppelt so viele Menschen wie die österreichische und ist damit einer der größten Arbeitgeber im Land.

Widerstand gegen Postamtsschließungen zeigt Wirkung

Immer wieder gibt es Widerstand der örtlichen Bevölkerung gegen die Schließung "ihrer" Postämtern. Teilweise durchaus mit Erfolg. Ein breites Bündnis hat über 3.500 Unterschriften gegen die Schließung des beliebten und gut frequentierten Postamtes im Linzer Stadtteil Spallerhof gesammelt. Bei einer Kundgebung für den Erhalt des Postamtes ließ der örtliche Pfarrer sogar die Kirchenglocken läuten, um den Protest lautstark zu unterstützen. Mit Erfolg: Das Postamt, das am 1. Juli seine Tore hätte schließen sollen, ist immer noch offen. Sehr zur Freude der BewohnerInnen dieses Linzer Stadtteils.

Auch in niederösterreichischen Gemeinden regt sich Widerstand. Eigentlich war die Schließung des Postamtes in Ernstbrunn bereits beschlossene Sache. Doch auch hier unterschrieben in kurzer Zeit 1.360 Menschen für den Erhalt des Postamtes. Ein Postwurf der Werkstatt Frieden & Solidarität gegen die Schließung Postamtes, der an die BewohnerInnen in Ernstbrunn und den Umlandgemeinden verschickt wurde, rief eine äußerst positive Resonanz hervor. Der Bürgermeister von Ernstbrunn, ein Befürworter der Postamtsschließung, gerät zunehmend unter Druck; das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Auch in den Gemeinde Kirchberg am Wagram unterschrieben zahlreiche Bürger den Protestaufruf der Werkstatt Frieden & Solidarität gegen die mit Ende August vollzogenenen Schließung ihres Postamtes.

Wer über den Widerstand in anderen Gemeinden berichten will, bitte Kontakt aufnehmen:
office@werkstatt.or.at


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(5) § 278a - Selbstanzeigenkampagne offenbart Haltlosigkeit der Anklagen gegen die 13 Tierrechts-AktivistInnen!

Bereits 300 Menschen haben sich nach § 78a selbst angezeigt, um zu dokumentieren: Wenn Ihr 13 Tierrechts-AktivistInnen wegen derer legaler NGO-Aktivitäten anklagt, dann könnt Ihr es gegen uns auch. Die Staatsanwaltschaft hat alle 300 Selbstanzeigen abgewiesen und damit selbst die Haltlosigkeit der Vorwürfe eingestanden. Zwei AktivistInnen sind nun noch einen Schritt weiter gegangen. Sie haben sich wortident nach der Anklagsschrift zweier Angeklagter selbst angezeigt.
... http://www.vgt.at/presse/news/2010/news20101012m.php
Dass es bei diesen Paragrafen vor allem um die Kriminalisierung von politischen Bewegungen geht, zeigt auch ein anderer Fall. Vier Studierenden drohen nach dem "Anti-Terror"-Paragraf § 278b bis zu 15 Jahre Haft - wegen zwei brennender Mistkübel.
... http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=309&Itemid=77


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WEITERE HINWEISE

(6) Laufende Kampagnen und Aktivitäten

Pflege: Vorbereitung einer BürgerInnen-Initiative gegen den Pflegenotstand
Die Werkstatt Frieden & Solidarität plant die Einleitung einer BürgerInnen-Initiative zum Thema Pflege. Die Forderungen stellen wir im Vorfeld zur Diskussion.
... http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=293&Itemid=1

Die neue guernica ist da!
Ein Probeexemplar schicken wir gerne kostenlos zu; 10-Nr. Abo EUR 10,- ; 5-Nr. Abo EUR 5,-.
Bestellung: Mailto: office@werkstatt.or.at Inhaltsverzeichnis der neuen Ausgabe auf
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=24&Itemid=34

Aufruf des Musikers und Schriftstellers Herwig Strobl gegen die Abschiebung der Familie Komani.
Bitte unterstützen und weiterleiten!
... http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=310&Itemid=92

(7) LeserInnen-Briefe/Diskussionen/Gastkommentare
Im Zuge der Umstrukturierung unserer Web-Page haben wir nun auch eine Rubrik für LeserInnen-Briefe/Gastkommentare und Diskussionen eingerichtet. Wir freuen uns über Ihre/Deine Beiträge - Kritik, Lob, Anregungen, Kommentare, Neuigkeiten, usw. Bei aller möglichen Leidenschaft in der Argumentation ersuchen wir doch um einen respektvollen Ton. Menschenfeindlichen Äußerungen werden wir keinen Platz bieten. Allfällige Kürzungen behalten wir uns vor. Vielen Dank!
Sh. http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=65&Itemid=92

(8) Termine
aktuelle Terminübersicht siehe unter www.werkstatt.or.at (rechts unten unter "Termine")

(9) Bestellungen
Bücher, Broschüren, etc, die in der Werkstatt bestellt werden können, siehe
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=30&Itemid=50


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Quelle:
Werkstatt Rundbrief Nr. 13/2010 vom 14. Oktober 2010
Werkstatt Frieden & Solidarität
Waltherstr. 15, 4020 Linz
Telefon 0732/771094, Fax 0732/797391
Mail: office@werkstatt.or.at
Internet: www.werkstatt.or.at


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2010