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MELDUNG/126: Diplomatische Krise wegen UN-Bericht zum israelischen Angriff auf die Mavi Marmara (IPPNW)


IPPNW-Presseinfo vom 27. September 2011
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland

Diplomatische Krise wegen UN-Bericht zum israelischen Angriff auf die Mavi Marmara

Im Widerspruch zum UN-Menschenrechtsausschuss


Die diplomatischen Spannungen zwischen der Türkei und Israel, die der UN-Bericht zum israelischen Angriff auf die Mavi Marmara ausgelöst hat, verschärfen sich weiter: Jetzt hat der türkische Geheimdienst der Staatsanwaltschaft die Daten von 174 israelischen Soldaten übergeben, die an dem Sturm auf die Gaza-Hilfsflotte im Mai 2010 beteiligt gewesen sein sollen. Die IPPNW weist aus diesem Anlass auf die deutliche Diskrepanz zwischen dem "Palmer-Report" der Vereinten Nationen zum israelischen Angriff auf die Gaza-Flottille und dem Bericht des UN-Menschenrechtsausschusses hin. "Wir sind enttäuscht, dass die Kommission die Seeblockade des Gazastreifens als legal eingestuft hat", erklärt der IPPNW-Vorsitzende Matthias Jochheim, der sich im letzten Jahr an Bord der Mavi Marmara befand. Der UN-Menschenrechtsrat dagegen hatte in seinem Kommissionsbericht die gesamte Blockadepolitik Israels gegenüber Gaza als völkerrechtswidrig kritisiert.

Die "Palmer-Kommission" hatte aber auch geurteilt, dass der Angriff "unnötig, unverhältnismäßig, exzessiv und unangemessen" gewesen sei. Sie fand keine überzeugende Erklärung dafür, dass die meisten Opfer von hinten erschossen wurden: "mindestens sechs Tötungen können als extralegale, willkürliche und summarische Exekutionen bezeichnet werden". Diese Toten und die anderen zahlreichen z. T. schwer Verletzten, von denen sich heute noch einer im Koma befindet, seien nicht zu akzeptieren. Die Kommission stellte zudem fest, dass die getöteten Passagiere keine tödlichen Waffen gehabt hätten. Sie fand auch die Aussagen von insgesamt 93 Zeugen im Bericht der Türken glaubhaft, die über grobe Misshandlungen nach der Eroberung der Mavi Marmara berichtet hatten: zu enge Plastikfesseln, Verweigerung ärztlicher Behandlung und des Zugangs zu Toiletten, Belästigung, Einschüchterung und physische Misshandlung, Schläge noch auf dem Flughafen Ben Gurion, unberechtigte Konfiszierung sämtlichen Hab und Guts und die Verweigerung sofortiger konsularischer Hilfe.

"Der UN-Bericht zum israelischen Angriff auf die Mavi Marmara ist nichts weiter als ein diplomatischer Versuch, den Streit über das Vorgehen der israelischen Armee zu entschärfen", erklärt IPPNW-Beiratsmitglied und Völkerrechtler Prof. Dr. Norman Paech. Schon die Besetzung der Kommission deute auf den Versuch eines Ausgleichs hin: zwei ehemalige Staatsmänner aus weit vom Tatort entfernten Ländern, der ehemalige neuseeländische Ministerpräsident Sir Geoffrey Palmer und der ehemalige Staatspräsident von Kolumbien Alvaro Uribe, dazu von jeder Streitpartei ein Vertreter, aus Israel Joseph Ciechanover Itzhar, aus der Türkei Süleyman Özdem Sanberk.

Grundlage ihrer Untersuchung war nicht das Geschehen selbst, sondern nur der Untersuchungsbericht der Israelis, der sogenannte Turkel-Bericht, und der Bericht der Türken. Der sorgfältige Untersuchungsbericht des UN-Menschenrechtsrats fand keinen Eingang in die Verhandlungen der Palmer-Kommission, er wurde nur ein einziges Mal zitiert.

Der Streit hätte sich erledigt, wenn sich die israelische Regierung entschlossen hätte, sich bei der Türkei für die Toten und Verletzten zu entschuldigen. Die IPPNW appelliert an den deutschen Außenminister Guido Westerwelle zwischen beiden Staaten zu vermitteln, um eine weitere Eskalation zu verhindern.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 27. September 2011
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2011