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INTERNATIONAL/081: Südafrika - Alle Occupier sind gleich - manche gleicher (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2011

Alle Occupier sind gleich - manche gleicher
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Occupy-Bewegung von Kapstadt

Von Jared Sacks


Die von der Wall Street ausgehende Occupy-Bewegung hat auch in Kapstadt Fuß gefasst. Auf einer Veranstaltung am 15. Oktober fiel Jared Sacks die "große theoretische Kluft zwischen den alltäglichen Erlebnissen derer, die übersehen und deren Stimmen nicht gehört werden, und den weißen liberalen Aktivisten" auf, die verkünden, dass wir "alle gleich sind". Für Sacks ist es "an der Zeit, dass sich die weißen, männlichen Aktivisten, die sich aufrichtig gegen Unterdrückung stellen, endlich auch derer unter den 99 Prozent entsinnen, die unterdrückt werden."


In Kapstadt fanden sich am 15. Oktober schätzungsweise 200 Einwohner zusammen, nachdem sie dem Aufruf zu einem internationalen Tag des Protests im Zusammenhang mit der weltweit wachsenden "Occupy"-Bewegung gefolgt waren.

Wir erreichten Company Gardens in für Kapstadt typischer Manier: überwiegend zu spät, unzusammenhängend und mit einem ganzen Aufgebot an Zielen und persönlichen Agenden - alle abzuarbeiten am ersten Tag.

Tatsächlich reiste die Mehrheit der "Occupiers" in spe so spät an, dass der glattrasierte Undercover-Sicherheitsbeamte die Demonstration als nicht bedrohlich eingestuft und Company Gardens längst verlassen hatte. Auch die Polizei schenkte der entspannten Picknick-Atmosphäre, die sich eingestellt hatte, sobald sich etwas mehr als 70 Menschen eingefunden hatten, wenig Beachtung.

Ungeachtet der Umstände des Einläutens der Kapstädter Occupy-Bewegung ließ dieser Tag in der Nachbetrachtung erahnen, welches Potenzial die "Occupy-WallSt"-Bewegung hat. Denn in Kapstadt, einer der ungleichsten, von Segregation und Rassismus betroffenen Städte der Welt, leben Hunderttausende wütende - wenn auch demoralisierte - Jugendliche, die auf einen wirklichen Wandel warten. Die Townships gleichen einer tickenden Zeitbombe und lassen die Schnittpunkt zwischen den Sekwanele! (Genug ist Genug!)-Rufen und dem Funken Hoffnung erahnen, den eine durch die breiten Massen unterstützte soziale Bewegung bringen könnte.

Aber würden die betroffenen 99 Prozent wirklich erscheinen? Letztendlich waren es nämlich, abgesehen von einem kleinen Gefolge der Communities for Social Change, überwiegend die oberen 19 Prozent dieser 99 Prozent, die dort erschienen sind. Nichtsdestotrotz sollte man das Potenzial, das in dieser Gruppe der überwiegend weißen, privilegierten Aktivisten liegt, nicht missachten, denn sie sind sich teilweise durchaus bewusst darüber, welche Probleme ihre Privilegien für die unteren 80 Prozent mit sich bringen. So griffen sie dort kursierende Themen wie weiße Vormachtstellung, Klasse und Patriarchat direkt auf und suchten damit einen Raum der Solidarität zu schaffen, ohne dabei für die betroffenen Gruppen zu sprechen oder deren Kämpfe zu kooptieren. Für diese Aktivisten war "Occupy Cape Town" ein aufregendes, interessantes Experiment, bei dem es galt, grundlegende Gleichheit zu initiieren, die aktiv behauptet und nicht lediglich vorausgesetzt wird.

Im Laufe des Tages ließen sich dann doch einige von uns den Schneid von den Lautesten unter den 19 Prozent abkaufen. Unsere vier Hauptversammlungen schienen von belesenen Internetaktivisten dominiert zu werden. Sie hatten alle Antworten und Lösungen dabei, wie etwa folgende:

• Für die Armen liegt die Lösung im Kauf von Solarzellen für ihre Häuser.
• Wir müssen alle einfach aufhören zu kaufen, dann bricht das System schon zusammen.
• Wir sollten ein Internetkaffee aufmachen, damit auch die Armen an unserer Internetrevolution teilnehmen können.
• Wir müssen recyceln!
• Es gibt eine Alternative zu "Occupy" - und zwar durch unser Handeln...esst baked beans auf Toast und schließt Bankkonten.
• Maschinen sollten die Handarbeit ersetzen, um die Lohnsklaverei zu beenden.

Als die Leute über die rassische Zusammensetzung des Treffens kritisch reflektierten, forderten die "Farbenblinden" unter den Aktivisten, solches Gerede über "Rassenfragen" zu beenden und zur ursprünglichen Idee der Occupy-Bewegung zurückzukommen - gehe es dabei doch nicht um Fragen der Hautfarbe oder damit verbundenen Konflikten. Als in der Versammlung das Thema Klassenfrage aufkam, wurden Rufe laut, die Bewegung nicht zu spalten: "Wir sind die 99 Prozent!". Wenn eine Frau das Wort ergriff, was in dieser durch Männer dominierten Versammlung selten genug geschah, schien es so, als würden ihre Anmerkungen häufig schlichtweg überhört und ignoriert. Doch wie konnten die Ideale einer Bewegung, die für die sofortige Durchsetzung der Ziele der Gleichheit steht und kämpft, so schnell pervertiert werden?

Malcolm X sagte einmal: "Wenn man mir ein Messer 9 Zoll tief in den Rücken rammt und es dann wieder 3 Zoll herauszieht, ist das noch lange kein Fortschritt." Und viele sind der Meinung, dass die Ära nach 1994 genau das war: Das Messer des weißen Machtanspruchs ist immer noch allgegenwärtig, während das Thema der Unterdrückung unter dem Deckmantel der liberalen, nichtrassischen Demokratie verschwindet. Radikale Gruppen wie Blackwash bedienen sich hier schon ganz anderer, direkterer Sprache, wenn sie sagen: "Fuck the rainbow nation. Coz 1994 changed fokol!" ("1994 hat nichts gebracht!") Diese Gruppen, neben Blackwash beispielsweise auch Abahlali baseMjondolo, prangern an, dass es heute zwar weder Passgesetze noch legalen Rassismus gibt, aber Arme und Schwarze, und hier vor allem schwarze Frauen, immer noch von einem System unterdrückt werden, das im Prinzip das geblieben ist, das die Apartheid ermöglicht hat.

Denn wenn man nach John Holloway Unterdrückung als "Unsichtbarkeit der Unterdrückten" versteht, beginnt sich die große Kluft zwischen denen, für die die Unterdrückung zum Alltag gehört, deren Stimmen aber unsichtbar sind, und liberalen, weißen Aktivisten aufzutun, die immer wieder betonen, wir seien alle gleich.

Dennoch war für mich immer noch die Debatte die aufschlussreichste des Tages, die geführt wurde, bevor "Occupy Kapstadt" die Long Street bis zu den Bürogebäuden des Fernsehsenders ETV entlang marschierte. Denn während der Versammlung, die dem Marsch durch die Straßen vorausging, war der Einwand vorgebracht worden, dass die Protestschilder mit der Aufschrift "FUCK the Rich" möglicherweise gegen uns verwendet werden könnten, sobald ETV uns damit filmen würde. Diese Bedenken erhielten Zustimmung, war dies doch ein recht drastisches Statement, das negative Energie verbreite und nicht zu der doch eigentlich friedvollen Absicht der Besetzung passe. Im Versuch, die ganze Veranstaltung möglichst demokratisch ablaufen zu lassen, stimmten einige weiße Aktivisten dem zu und waren für eine Abstimmung bezüglich der Parolen auf den Bannern. Nichts, was auch nur einen rassistischen oder gewaltsamen Anklang haben könnte, sei akzeptabel. Die dazugehörige Gruppe armer schwarzer Protestler aus Mannenberg stimmte, wenn auch nur widerstrebend, zu, ihr Plakat wieder einzupacken. Doch ein auf seine Unabhängigkeit pochendes Mitglied der Gruppe widersetzte sich der Entscheidung und das entsprechende Plakat fand auf unbestimmte Weise seinen Weg in die Nachrichten.

Wenn die radikal-feministische Erklärung der afroamerkanischen Literaturwissenschaftlerin bell hooks, dass "das Patriarchat Männer dafür belohnt, von ihren Gefühlen entfremdet zu sein", zutrifft, könnte eine logische Konsequenz daraus sein: In einer Gesellschaft, die immer noch durch weiße Vormachtstellung, Patriarchat und Kapitalismus geprägt ist, entfremden sich weiße Männer nicht nur von ihren eigenen Gefühlen und denen anderer, sondern auch von der Art und Weise, wie sie andere herabsetzen und unterdrücken. Das trifft auf eine radikal-demokratische Bewegung nicht weniger zu als auf die unterdrückerischen Institutionen innerhalb einer Gesellschaft. Deshalb war es nur logisch, dass die Dominanz der weißen Liberalen, die doch überwiegend einen feingeschliffenen Kapitalismus oder idealistische Utopien herbeisehnen, indem sie sich vom System zurückziehen (statt es zu stürzen), zu dem Versuch führte, eine ideologische Hegemonie auf der Grundlage ihrer eigenen privilegierten, westlich geprägten Ausrichtung zu schaffen.

Wenn nun manche von den Occupiern gleicher sind als andere, ist es an der Zeit, dass sich die weißen, männlichen Aktivisten mit ihrem aufrichtigen Ziel, die Unterdrückung zu beenden, endlich auch derer unter den 99 Prozent entsinnen, die wirklich unterdrückt werden. Erste Ansatzpunkte wären hierbei unter anderem die Schriften von allseits bekannten radikalen Theoretikern wie Franz Fanon, bell hooks oder Bantu Biko. Außerdem sollten wir uns mit den selbst verfassten Arbeiten von Leuten aus den Townships wie von den Symphony Way Pavement Dwellers oder von Abahlali baseMjondolo auseinandersetzen.


Der Autor ist Aktivist in Kapstadt und arbeitet mit Community-basierten sozialen Bewegungen und "Occupy Kapstadt" zusammen.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2011, S. 10 - 11
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2012