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INTERNATIONAL/064: Britische Behörden treiben Bewohner der Dale-Farm in die Obdachlosigkeit (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 25. Oktober 2011

Unerwünschte Travellers
Britische Behörden treiben Bewohner der Dale-Farm in die Obdachlosigkeit

von Christian Bunke, Manchester


Am vergangenen Mittwoch zeigte der britische Staat der Weltöffentlichkeit sein rassistisches Gesicht. Die Bilder der gewaltsamen Räumung der Dale-Farm, Großbritanniens größter Ansiedlung von Irish Travellers, brachten eine seltene Öffentlichkeit für die Probleme einer ethnischen Minderheit, die wie keine andere staatlicher Diskriminierung ausgesetzt ist. Die Bewohner von Dale-Farm bezeichneten die Staatsaktion als ethnische Säuberung.

Travellers sind ein Jahrhunderte altes fahrendes Volk irischer Herkunft. Traditionell ziehen sie in Wohnwagen in Konvois umher, in denen der erweiterte Familienkreis mitfährt. Travellers haben über die Jahrhunderte verschiedene Handwerke ausgeübt, waren Schausteller oder Hundezüchter. Heutzutage gibt es auch eine kleine Gruppe von »New Travellers«, Menschen, die durch die Wohnungsnot auf die Straße getrieben werden.

Der Lebensstil der Travellers wird systematisch durch Gesetze verunmöglicht. 1994 verabschiedete die konservative Regierung unter John Major eines, das den Travellers das Parken ihrer Wohnwagen am Straßenrand verbot. Gleichzeitig mußten Stadtverwaltungen keine legalen Plätze für Travellers mehr zur Verfügung stellen, was bis dahin der Fall gewesen war. Dem fahrendem Volk wurde nahegelegt, selbst Plätze zu kaufen und sich Baugenehmigungen für ihre Behausungen zu suchen. Jedoch werden 90 Prozent dieser Genehmigungen verweigert. Zum Vergleich: Im Gesamtdurchschnitt werden in Großbritannien nur 20 Prozent aller Bauanträge nicht genehmigt.

Die Dale-Farm ist in zwei Teile unterteilt. Der eine verfügt über Baugenehmigungen für 45 Behausungen. Der andere Teil war der konfliktbeladene. Hier standen bis zum Wochenende noch 52 Unterkünfte. Diese sind nun entweder von den Bewohnern entfernt oder von den Gerichtsvollziehern der Firma Constant and Co. beschlagnahmt beziehungsweise zerstört worden. Durch die Räumung von Dale-Farm sind viele Familien obdachlos geworden.

In Großbritannien fehlen 6000 Plätze für Travellers. Der Grund und Boden der Dale-Farm gehört ihnen, doch die Stadtverwaltung redet von einer Grünfläche die es zu erhalten gelte, deshalb die Räumung. In Wirklichkeit handelt es sich um einen ehemaligen Schrottplatz, auf dem auch früher schon Gebäuden standen. Über zehn Jahre bemühten sich die Travellers erfolglos, auch für die zweite Hälfte des Platzes eine Baugenehmigung zu bekommen.

Die britische Regierung arbeitet derzeit an einer Neukonzipierung für Baugenehmigungen. Hiervon sollen aber nicht Travellers, sondern Großkonzerne profitieren. Diesen sollen »bürokratische Hürden« aus dem Weg geräumt werden, um etwa Supermärkte oder Atomkraftwerke schneller auf Grünflächen errichten zu können


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Quelle:
junge Welt vom 25.10.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011