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FRAGEN/014: Duisburger Bürgerinitiative protestiert gegen Abrisse ganzer Siedlungen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 31 vom 2. August 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Der Größenwahn wird den Verantwortlichen auf die Füße fallen"
Duisburger Bürgerinitiative protestiert gegen Abrisse ganzer Siedlungen

Interview mit Sylvia Brennemann, Sprecherin der Duisburger "Bürgerinitiative Zinkhüttenplatz" von Markus Bernhardt



UZ: Die Duisburger "Bürgerinitiative Zinkhüttenplatz" kämpft seit Monaten um den Erhalt der dortigen Wohnsiedlung, die aufgrund des Baus eines "Factory Outlet Center" (FOC) abgerissen werden soll. Welchen Umfang soll das FOC haben? Wieviele Häuser sollen dafür abgerissen werden?

Sylvia Brennemann: Das geplante Factory Outlet Center soll insgesamt eine Verkaufsfläche von 31 000 Quadratmetern haben. Es soll zwischen zwei Stadtteilen im Duisburger Norden installiert werden. Eine alte Veranstaltungshalle und ein ausgedientes Schwimmbad, sowie die Zinkhüttensiedlung sollen für die Pläne herhalten.

Die Wohnsiedlung galt bis dato als gut vermietbar, vertretbare Mieten und gut erhaltene Wohnsubstanz zeichnen die 400 Wohnungen aus. Die zumeist älteren etwa 1000 Betroffenen sollten, wenn es nach dem Willen der Stadt Duisburg und des Investors geht, wie sie es nennen, sozialverträglich umgesiedelt werden. Viele der Betroffenen wohnen inzwischen mehrere Jahrzehnte in der Siedlung. Gute nachbarschaftliche Vernetzung und ein intaktes soziales Gefüge prägen nach wie vor das Wohnklima innerhalb der Siedlung.

UZ: Und was sind fernab davon Ihre Hauptargumente gegen den Bau des FOC?

Sylvia Brennemann: Das stärkste Argument ist zweifellos der ungebrochene Widerstand von etwa 150 Familien.

UZ: Jedoch wurde verschiedentlich behauptet, dass der Widerstand der Mieter nahezu am Ende wäre und viele Menschen ihre Wohnungen bereits verlassen hätten. Also ist Ihre Kritik offensichtlich selbst bei den Betroffenen nicht wirklich mehrheitsfähig?

Sylvia Brennemann: Eine Umfrage unter den Betroffenen zu Beginn hat ergeben, dass 97 Prozent keinesfalls ihre Wohnungen räumen wollten. Tatsächlich wurden die Betroffenen massiv unter Druck gesetzt. Das sogenannte sozialverträgliche Umzugsmangement ist eine Farce und taktiert letztlich mit höchst mafiösen Methoden, die der Vertreibung dienen. Einen Sozialplan gibt und gab es nie. Die Angst am Ende ohne Wohnung dazustehen oder eventuell auch keine Unterstützung für den Umzug mehr zu bekommen, hat viele Betroffene zum Auszug gezwungen. Zu einem großen Teil halten wir den Kontakt zu den alten Nachbarn. Viele schaffen es nicht, sozialen Anschluss in der neuen Wohnumgebung zu finden und fühlen sich entwurzelt.

Aber zurück zu unseren Hauptargumenten gegen den FOC-Bau: Dieser hätte schwerwiegende Folgen für die beiden umgebenden Stadtteile Hamborn und Marxloh. Gerade Marxloh hat sich nach Jahren des Niedergangs der Schwerindustrie durch eigene Ideen und Kreativität zu einer Identität verholfen, die sich jenseits des allgemein bekannten Schmuddelimage bewegt. Marxloh hat Deutschlands größte Moschee gebaut, verfügt über Europas größte Brautmodenmeile und ist inzwischen Anziehungspunkt für Touristen über die NRW-Landesgrenzen hinaus.

Diese noch sehr junge und fragile Identität wäre durch den Abzug von Kaufkraft sehr stark gefährdet. Die Einzelhändler hätten Einnahmeverluste von bis zu 15 Prozent zu verkraften und das FOC würde in seiner Massivität jegliche Initiative zerdrücken.

Die von den Befürwortern versprochenen 800 Arbeitsplätze wären in weiten Teilen nur Minijobs. Ausbildungsplätze sind kaum vorgesehen und die Betreiber sind an keinerlei Tarife gebunden, das niedrige Lohnniveau wird selbst von den Planern nicht bestritten.

Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen in einem stark belasteten Umfeld lässt die Planungen zynisch wirken. Das zu erwartende Verkehrschaos macht auch die Gutachtensituation rund um das noch laufende Bauleitverfahren äußerst schwierig.

Dann gibt es in einem Abstand von nur 100 Metern zum Areal die Grillo-Werke, die als Störfallbetrieb eingestuft sind. Ein gesetzlicher Mindestabstand für jegliche Neuansiedlung rund um den Betrieb beträgt aber 800 Meter. Damit dürfte das FOC nicht genehmigungsfähig sein.

UZ: Aber können Sie dem Bau des "Factory Outlet Center" nicht auch irgendetwas Positives abgewinnen?

Sylvia Brennemann: Das Factory Outlet Center ist Teil einer von Größenwahn geprägten Politik und Teil eines perfiden Plans des Stadtumbaus. Das FOC vernichtet bezahlbaren Wohnraum und schafft keine nachhaltigen Arbeitsplätze, mit denen die Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die knappen Kassen der Stadt haben bei den Verantwortlichen eine Art Panik ausgelöst, aus der heraus sie alternativlos ganze Gebiete der Stadt oft unseriösen Investoren überlässt. Vertreibung und Verdrängung sind die Folge.

Mit dem harmlos klingenden Namen "Duisburg 2027" und unter dem Deckmäntelchen von Bürgerbeteiligung haben die Verantwortlichen den Plan entwickelt, mehr und mehr besserverdienende und wohlhabende Familien in die Stadt zu locken. Dazu gehören offenbar Megaeinkaufszentren. Der Norden ist durch derlei Abrissorgien gleich mehrfach betroffen. Der Nachbarstadtteil Bruckhausen soll im Rahmen einer Umfeldmaßnahme für den Stahlkonzern Thyssen Krupp zu großen Teilen dem Erdboden gleichgemacht werden. Seit einigen Jahren werden hier die Menschen zugunsten des sogenannten Grüngürtels aus ihrem Stadtteil verdrängt. Im Rahmen von "Duisburg 2027" sollen insgesamt noch weitere 500 Häuser in Marxloh abgerissen werden, um hier dann überwiegend Einkaufsmöglichkeiten und Mischgewerbe anzusiedeln.

Auch die Linksfraktion, die im Duisburger Stadtrat mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen kooperiert, hat jedoch etwa dem Bau des Einkaufszentrums zugestimmt ....

Die Begründung der Linksfraktion für den Bau des FOC unterscheidet sich in keiner Weise von der der anderen Parteien. Ausverkauf als letzte Chance für die Stadt ist das gelebte Motto. Ein Umdenken oder die Entwicklung einer alternativen Politik hin zu einer solidarischen Gesellschaft stehen bei den Duisburger Linken leider nicht im Fokus ihrer Politik. Vielmehr schwimmen sie mit in der Welle des neoliberalem Stadtumbaus und bieten für die Menschen im Norden keinerlei Unterstützung. Auch die Linkspartei hat nicht verstanden, dass der ewige Ruf nach Mehreinnahmen und der damit verbundene Ausverkauf letztlich nur die Kassen der Investoren füllt und eben nicht zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Norden führen wird. Dabei verstoßen sie grob gegen die Grundsätze, die die Partei sich selbst gesteckt hat.

UZ: Sie haben die Linkspartei aus Protest gegen deren Politik verlassen. Sehen Sie keine Chance, dass es dort in Sachen FOC doch noch zu einem Umdenken kommt?

Sylvia Brennemann: Nein. Die Fraktion zieht nahezu ungebremst ihren Stiefel durch. Es hat immer wieder Versuche der Mitgliedschaft gegeben, durch etwaige Beschlüsse diesen Politikstil zu durchbrechen, leider haben sie sich auch nicht als konsequent genug erwiesen. Aus der Angst heraus der Partei Schaden zuzufügen, gehen sie der notwendigen Richtungsdiskussion aus dem Weg. Dabei werden sie von ihren Wählern aus dem Duisburger Norden nicht verstanden und sind politisch kaum wahrnehmbar. Diese Strategie geht zu Lasten eines eigenen politischen Ausdrucks. Aber gerade das ist im Zeichen der zunehmenden Krise unabdingbar: eine ausdrucksstarke und kämpferische Linke, die sich zugunsten der von Krisen Betroffenen und von Armut Bedrohten deutlich positioniert und ein dementsprechendes Politikkonzept vorlegt.

UZ: In der Vergangenheit kam es mehrfach zu Bedrohungen von Mitgliedern Ihrer Bürgerinitiative. Was genau ist vorgefallen und wie gehen Polizei und Politik mit der Bedrohungssituation um?

Sylvia Brennemann: Seit Beginn des Kampfes um die Siedlung werden die Bewohnerinnen, Bewohner und deren Unterstützerkreis regelmäßig mit Drohbriefen und Sprayaktionen traktiert. Der oder die Täter schrecken auch vor Morddrohungen nicht zurück. Den Behörden liegen inzwischen über 30 Strafanzeigen vor. Die Politik nimmt dies zur Kenntnis, die Ermittlungsergebnisse gehen gegen Null. Wer auch immer hinter diesen Übergriffen steckt, fügt den Planern natürlich keinen Schaden zu. Einschüchterung als Mittel, eine Siedlung doch noch leer zu kriegen, wird offenbar geduldet.

UZ: Gehen Sie davon aus, dass das FOC noch gestoppt werden kann?

Sylvia Brennemann: Es wird im Duisburger Norden kein FOC geben und das sollte den Verantwortlichen klar sein. Zudem, dass der Abstandserlass eine Genehmigung nicht zulassen wird, ist der Widerstand der verbleibenden 150 Familien ungebrochen. Der Größenwahn wird den Verantwortlichen auf die Füße fallen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 31 vom 2. August 2013, Seite 8
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2013