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BERICHT/959: Die Lösung kommt von unten - Transition Town Friedrichshain-Kreuzberg (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 149 - April/Mai 09
Die Berliner Umweltzeitung

Die Lösung kommt von unten

Transition Town Friedrichshain-Kreuzberg - Wir sind genau die Leute, auf die wir immer gewartet haben

Von Jörg Petzold


Es gibt ordentlich zu tun in Wirtschaftskrisenzeiten. Banken müssen gekauft (vergesellschaftet!), Automobilhersteller gestützt und natürlich die Binnenkonjunktur ordentlich angekurbelt werden. Die Entwicklungsländer verstehen die Welt nicht mehr angesichts der Summen, mit denen jongliert wird, könnte man doch mit einem Bruchteil davon das Hungerproblem weltweit lösen.

Und dann ist da ja noch der Klimawandel als Aushängeschild der vielfältigen ökologischen Fragen und Aufgaben unserer vernetzten Welt. Der muss aber, so scheint es, warten, bis wir mit der Krise fertig sind, denn das kostet ja alles Geld, vor allem der Umweltschutz, und Geld ist knapp oder sogar verbrannt. Keine Situation, die angetan ist, große Hoffnungen zu wecken.

Hoffnung brauchen wir aber gar nicht, meint zumindest Joseph Beuys: "Ich gebrauche nicht so gern das Wort Hoffnung, weil ich meine, es müsste auch ohne Hoffnung gehen, weil es ja jeden Tag die Möglichkeit gib, etwas Vernünftiges zu tun. Wenn er [der Mensch] immer nur hofft, verschiebt er ja die Sache, er verlegt quasi die Verantwortung auf einen Helfer von außerhalb."

Bleibt die Frage, was vernünftig ist in diesen Zeiten. Eine großartige Antwort kommt aus England, wo sich seit 2005 die Transition-Town-Bewegung formiert hat und in alle Welt ausbreitet. Rob Hopkins, Hauptinitiator und Autor des "Transition Handbook" ("Energiewende - Das Handbuch", Zweitausendeins), schlägt vor, die Probleme wie Klimawandel und Ressourcenknappheit, Konsumterror und Politikverdrossenheit zusammen zu denken und gemeinsam anzugehen.


Wie geht das?

Man beginne damit, über einen nicht zu knappen Zeitraum die Menschen seiner Stadt mit den oben genannten Problemen vertraut zu machen. Man bilde also ein Bewusstsein für Peak Oil (Erdölverknappung nach dem Fördermaximum, prognostiziert zwischen 2005 und 2012) und natürliche Kreisläufe, wirtschaftliche Zusammenhänge und Eigenverantwortung. Man verdeutliche die Brisanz und Tragweite der Veränderungen, wenn unser vollständig vom Öl abhängiges Leben in kürzester Zeit seiner Basis beraubt wird.

Man biete außerdem einen Ort, wo die Bewohner ihre Ängste und Fragen formulieren können, jedoch genauso ihre Visionen eines lebenswerteren und verantwortungsbewussteren Daseins.

Aus diesen Fragen und Visionen forme man Themengruppen wie Ernährung, Bildung, Mobilität, Energie oder Ökonomie. Man integriere die älteren, oft krisenerprobten Generationen mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen aus der Zeit vor den allgegenwärtigen Dienstleistungen (reparieren, selbst herstellen, improvisieren) und die Migranten mit noch ganz anderen Ideen und Gewohnheiten und freue sich dann an der Kreativität und Intelligenz, die in den Menschen wohnt und wieder gefragt ist angesichts der großen Aufgaben.

Der Weg ist also, Dörfer und Städte zuallererst dadurch anpassungs-und widerstandsfähiger zu machen, dass die Bewohner wieder einbezogen werden. Auf Englisch heißt das Bottom up - von unten nach oben (aber auch A... hoch!).

Alle Visionen und Ansätze sollen natürlich umgesetzt werden, nicht irgendwo, sondern vor der Haustür. Bauern aus der Umgebung werden einbezogen und versorgen die Gemeinde mit Nahrungsmitteln, lokales Handwerk wird gefördert und gleichzeitig gelehrt bei den Teilnehmern der Initiative, öffentlicher und nichtmotorisierter Verkehr gestärkt und städtische Brachen für Gärten und Felder genutzt.

Alles Wissen über Energieeinsparungen und alternative Energiegewinnung sowie ressourcenschonende Kreisläufe wird einbezogen. Kommt die Butter vom Bauern aus der Gegend, nützt das nicht nur dem Bauern, sondern - wie mittlerweile jedes Kind weiß - auch der Umwelt. Lokales, gemeinschaftliches Wirtschaften und Handeln, schon lange im Verdacht, das Beste für eine Kommune zu sein, steht so im Mittelpunkt der praktischen Umsetzungen.

Natürlich muss die lokale Politik beizeiten einbezogen werden. In England geschieht das schon mit großem Erfolg. Die Drohkulissen werden umgewandelt in kraftvolle positive Visionen für unsere Zukunft, die Gemeinschaft entsteht neu. Und nicht nur in England. Innerhalb von reichlich 3 Jahren sind aus der Ur-Transition-Town in Totnes (Südengland) über 130 Transition Towns weltweit geworden.


Konkrete Projekte in Berlin

Die erste ihrer Art in Deutschland findet sich in Berlin, nämlich in Friedrichshain-Kreuzberg!

Seit September 2008 laufen hier Veranstaltungen mit Filmen, Vorträgen und Diskussionen zu Themen wie Klimawandel und seinen Folgen, alternativen Landprojekten, beispielhaften Prozessen der Krisenbewältigung wie in Kuba nach dem Ausbleiben der russischen Unterstützung oder genossenschaftlichem Wirtschaften. Konkrete Projekte wurden beim Bürgerhaushalt eingereicht, eine Lerngruppe zu landwirtschaftlichen Themen und Fähigkeiten hat sich im Umfeld formiert, die Initiative BISS zur Verhinderung der Stadtautobahn durch Treptow und Friedrichshain wird unterstützt und der weitere Prozess der Vernetzung mit bestehenden Projekten sowie der Umsetzung der Visionen wird bei den Treffen gemeinschaftlich erarbeitet.

Die Transition Town Friedrichshain-Kreuzberg trifft sich wöchentlich zu gemeinsamen Veranstaltungen. Auch in den Themengruppen Ernährung, Mobilität, Energie und Öffentlichkeitsarbeit finden regelmäßige Zusammenkünfte statt. Man muss betonen, dass wir noch in den Kinderschuhen stecken, aber das Interesse ist groß und die Ideen sind vielfältig.

Und weil es uns vergleichsweise sehr gut geht in Deutschland, selbst in Zeiten der Krise, und der Kirschbaum viel mehr Blüten treibt, als er eigentlich braucht und dadurch viele andere mit diesem öoeberfluss beglückt, versuchen auch wir über unseren Trägerverein SONED e.V. und dessen Aktivitäten in der sogenannten dritten Welt, Partner- Transition-Towns in Afrika und Lateinamerika zu finden und zu fördern.

Jörg Petzold
Transition Town Initiative
Friedrichshain-Kreuzberg

www.transitiontowns.org/Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg
energiewende.wordpress.com

http://www.grueneliga-berlin.de/rabe_ralf/rabe_archiv_2009/04_05_2009/8_04_05_2009.html


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 149, April/Mai 09
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2009