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BERICHT/942: NATO - Ein expandierendes militärisches Nord-Bündnis gegen den Süden (IPPNWforum)


IPPNWforum | 116 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

NATO: Ein expandierendes militärisches Nord-Bündnis gegen den Süden

Von Jens-Peter Steffen


Eröffnet wurde die Jahresversammlung Freitag Abend mit einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zum Charakter und zur Zukunft der NATO. Auf dem Podium diskutierten der Autor und Grüne Uli Cremer, der US-amerikanische Journalist Paul Hockenos und der Friedensaktivist und Europaparlamentarier Tobias Pflüger unter der Moderation von Otfried Nassauer, Direktor des BITS, ihre Einschätzungen.


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Für Uli Cremer ist die gegenwärtige NATO größer und stärker denn je zuvor in seiner Geschichte. Allerdings sei noch nicht ins Bewusstsein aller Beteiligten gedrungen, dass an die Stelle des historischen West-Ost-Konfliktes ein Nord-Süd-Konflikt getreten sei. Im Unterschied zur "alten" NATO versammle die "neue" eine gestiegene Zahl an Mitglieds- und weiteren an das Bündnis angeschlossener Staaten unter gemeinsamen Zielsetzungen. Die Ausweitung der NATO sei noch nicht beendet, aktuell sei die Erweiterung in Ostasien im Gespräch. Ein wesentliches Charakteristikum der "neuen NATO" sei, dass sie mit großen Problemen einen Krieg in Afghanistan führe.

Auch Tobias Pflüger bekräftigt, dass die "neue" wenig mit der NATO des Kalten Krieges mehr gemein hätte. Ergänzend sieht er in der 1999 neu gegebenen Strategie und den Kriegsschauplätzen die Belege, dass die NATO für die wirtschaftlichen und strategischen Interessen der dominierenden Nationen im Bündnis stehe. Früher war Artikel 5 das konstituierende Element, laut dem der Angriff auf einen Staat als Angriff auf die gesamte NATO gesehen wurde. Die neue Strategie berechtige das Bündnis zur Selbstmandatierung militärischer Einsätze, eben auch ohne Einverständnis der UN. Zum 60. Jahrestag drohe eine weitere grundsätzliche Veränderung der NATO: Es deute sich ein transatlantischer Deal an, der aus der Übernahme militärischen "Burden Sharing" und Arbeitsteilung im Bündnis die Berechtigung ableite, auch politisch mitreden zu dürfen. Eine Konsequenz würde die fortschreitende Militarisierung der Europäischen Union sein.

Paul Hockenos konstatiert die Schwächung der NATO durch die Politik vergangener US-Administrationen: Washington habe der NATO zu viele Aufgaben übertragen, für die sie als militärisches Bündnis keine Lösungen hätte haben können. Zudem verschlimmerte die Osterweiterung der NATO die Sicherheitslage in Europa, denn sie hat Russland erneut zum Feind der NATO gemacht. Die neue außen- und sicherheitspolitische Administration in Washington bestünde nun aber aus "Atlantikern". Ihre Protagonisten denken das transatlantische Verhältnis nur im Rahmen einer NATO, die allerdings mehr auf Ausgleich und Gemeinsamkeiten basieren würde als zuvor.

Für das Podium ist der Krieg in Afghanistan der Lackmustest der NATO. Hockenos ist davon überzeugt, dass die Obama-Administration den Krieg für gewinnbar hält und das sie dafür auch alle notwendigen militärischen und zivilen Maßnahmen unternehmen würde. Pflüger und Cremer halten den Krieg weder für gewinnbar, noch glauben sie, dass das Ziel eines "Regime Change" erreichbar wäre oder erweiterte Einsätze z.B. deutscher Soldaten im Süden des Landes, der hiesigen Bevölkerung beliebig zu vermitteln seien.

Kontrovers diskutierte das Podium die Einschätzung von Uli Cremer, dass sich der Nordpakt langfristig um Russland erweitern würde - ohne dass er dies für positiv halte. Tobias Pflüger hält diese Debatte für momentan politisch stark umkämpft und damit für völlig offen. Der US-Amerikaner Paul Hockenos bezweifelt, dass sich irgendeine US-Administration für eine Erweiterung um Russland wird erwärmen können. Andererseits sieht er die Europäer schnell vereint, wenn es gegen Russland gehe.

Eine alarmierende Information gab Tobias Pflüger weiter: Laut Auskunft von NATO-Verantwortlichen seien es auch NATO-Truppen, die die aktuellen Angriffe in Pakistan fliegen. Otfried Nassauer kommentierte, sei dies der Fall, verstoße es eindeutig gegen das ISAF-Mandat, während es unter dem OEF-Mandat Teil der US-amerikanischen Strategie sei.


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Quelle:
IPPNWforum | 116 | 09, April 2009, S. 21
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2009