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BERICHT/1006: Prozeß gegen Abschiebearzt wird vor dem Amtsgericht Frankfurt fortgesetzt (Pro Asyl)


Pro Asyl - Presseerklärung vom 12. August 2009

Prozess gegen Abschiebearzt wird vor dem AmtsgerichtFrankfurt am Main fortgesetzt
Urteil für Freitag erwartet

PRO ASYL: Weiterer Abschiebungsarzt treibt sein Unwesen


Vor dem Amtsgericht Frankfurt wird am Donnerstag und Freitag der Prozess gegen den Facharzt Heinrich W. weitergeführt. Dieser ist wegen fahrlässiger Tötung eines kurdischen Abschiebehäftlings angeklagt, dessen "Abschiebefähigkeit" er bestätigt hatte. Von W. für nicht suizidgefährdet erklärt, erhängte sich Mustafa Alcali am 27. Juni 2007 in der Abschiebungshaft in der JVA Frankfurt.

Für Freitag ist voraussichtlich die Anhörung der Sachverständigen und das Urteil zu erwarten. Dabei wird es u.a. darum gehen, ob und in welchem Maße W. gegen medizinische Sorgfaltspflichten verstoßen hat. Eine Rücksprache mit Ärzten, die Alcali in der Zeit vor seinem Tod mehrere Wochen behandelt hatten, hatte der Arzt offenbar nicht für nötig gehalten. Einen ersten kurz gefassten Arztbrief der Klinik Hanau mit einem deutlichen Hinweis auf die Suizidgefahr hatte W. ignoriert und war - offenbar aufgrund eines einzigen diagnostischen Gespräches mit Alcali - zu der Diagnose "keine Suizidgefahr" gelangt.

Noch während dieses Verfahren läuft, ist der nächste Abschiebearzt bei seiner lebensbedrohlichen Arbeit aufgefallen. PRO ASYL liegt ein nervenärztliches Gutachten aus Lüneburg im Fall eines Kurden aus Syrien vor. Dieser wurde trotz schwerer Traumatisierung aufgrund erlittener Folter in Niedersachsen in Abschiebungshaft genommen. Mehrere Ärzte hatten die Diagnose einer Traumatisierung bestätigt. Selbst die verantwortlichen Ärzte der Abschiebungshaftanstalt hatten die Entlassung aus der Haft beantragt und auf ein Suizidrisiko hingewiesen. Stattdessen schaltete der Landkreis Emsland Professor Dr. med. V. ein. Dieser kam nach einer von der Ausländerbehörde veranlassten Untersuchung zu dem Schluss, der Kurde habe sich unter Ausnutzung einer wohl zum Teil stressbedingten Magenerkrankung, zu der er von mütterlicher Seite offenbar disponiert sei, selbst in seinen aktuellen schlechten Allgemeinzustand gebracht. Da er aufgrund dessen nicht uneingeschränkt flugreisefähig sei, empfiehlt Professor V. eine Schnellkur: "Um das Dilemma zu beheben wird empfohlen, Herrn A. in einem Justizvollzugskrankenhaus fachgerecht behandeln und wieder aufpäppeln zu lassen, was in vier, allenfalls spätestens sechs Wochen durchführbar ist. Danach ist er mit Sicherheit wieder reise- und flugreisefähig."

Wie der in Frankfurt vor Gericht stehende Facharzt W. neigt Professor V. zur Überschätzung der eigenen Kompetenzen. Sein nervenärztliches Gutachten beschäftigt sich in weiten Teilen spekulativ mit Dingen, die er als ärztlicher Gutachter weder zu beurteilen hat noch beurteilen kann. Eine posttraumatische Belastungsstörung, unter der der Kurde nach den Angaben der anderen Ärzte leidet, will er allein deshalb "sicher ausschließen", weil Herr A. noch jahrelang unbeeinträchtigt in Syrien ein Fotogeschäft betrieben habe. Seine eigene Beurteilung setzt er selbstgewiss an die Stelle der dafür zuständigen Gerichte und behauptet: "Einer der führenden Köpfe der kurdischen Partei war und ist er sicher nicht, so dass auch gänzlich unwahrscheinlich ist, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien sofort überwacht bzw. verhaftet und dann gefoltert werden würde."

Das Landgericht Hannover hat mit Beschluss vom 11. August 2009 die Abschiebungshaft gegen A. beendet und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Gericht bei dieser Entscheidung nicht den Ausführungen des Gutachtens von Professor Dr. V. folgte, der "ohne eingehende Begründung das Vorliegen einer psychischen Störung ausschließt und sich im übrigen in wertender Weise zu nicht-medizinischen Fragen äußert."

Doch der Skandal ist größer: Auch Professor V. hat mehrfache Hinweise auf konkrete Suizidalität in seinem Gutachten unbeachtet gelassen. Eine gefährliche Zuspitzung in Richtung Suizid war analog zum Frankfurter Fall durchaus möglich.

Sollte die Schuld des Facharztes Heinrich W. im Frankfurter Verfahren erwiesen sein, so muss eine Strafe mit generalpräventiver Wirkung verhängt werden. Die Justiz muss dafür sorgen, dass Ärzte in diesem Land nicht unter Außerachtlassung ärztlicher Sorgfaltspflichten ihre Patienten dem Zugriff abschiebegeiler Behörden überantworten.

gez. Bernd Mesovic
Referent


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
siehe auch:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Bürger und Gesellschaft -> Fakten
BERICHT/987: Gerichtliches Nachspiel zu einem Suizid in Abschiebungshaft (Pro Asyl)
BERICHT/988: Prozeß gegen Abschiebearzt vor dem Amtsgericht Frankfurt (Pro Asyl)


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Quelle:
Pro Asyl - Presseerklärung vom 12. August 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2009