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SKANDAL/002: Alle Räder der "Finkelstein-Industrie" stehen still, wenn ein starker deutscher Arm es will? (Witt-Stahl)


Alle Räder der "Finkelstein-Industrie" stehen still, wenn ein starker deutscher Arm es will?

Von Susann Witt-Stahl, April 2010


Der Autor Federico Saelzer nannte es in analyse & kritik (ak Nr. 548) eine "Zumutung, dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Norman Finkelstein in Deutschland "ein Podium zu bieten". Eine Zumutung ist es aber vor allem für Finkelstein und andere internationale jüdische Linke, ständig den Diffamierungen und Verleumdungen durch (ex-)linke Deutsche ausgesetzt zu sein.

Schluss mit lustig - Norman Finkelstein habe "genug Publikum gehabt", findet Federico Saelzer. Bevor er zu einer ausführlichen Maßregelung ungezogener jüdischer Linker ausholt, muss er aber noch den Verdacht loswerden, Finkelstein habe durch seine Kritik an der Instrumentalisierung der Shoah sicher viel Geld verdient. Was sollte den Sohn von Auschwitz- und Majdanek-Überlebenden auch sonst umtreiben als der Wunsch, aus dem größten Menschheitsverbrechen Profit zu schlagen?!

Über so viel deutschbefindliche Perfidie kann ein spanisch klingendes Pseudonym, hinter dem sich der ak-Autor verschanzt, nicht hinwegtäuschen. Daher fährt Saelzer wohl auch gleich fröhlich fort mit übler Polemik und allerlei Verleumdungen. Dabei bedient er sich der im Israel-und-USA-Fahnenschwenker-Milieu beliebten und den Judenhass banalisierenden Diffamierungstools: Die Produkte der von Saelzer so benannten "Finkelstein-Industrie" seien "antisemitisch" und die "Existenz Israels zur Disposition stellend" behauptet er, ohne dafür einen Beleg zu liefern.[i]

Für die Einnebelung kritischer Rezipienten, die womöglich auch sensibel auf die Tatsache reagieren, dass immer häufiger linke Juden aus dem Täterland gemobbt werden, hält Saelzer hilfsweise noch eine faustdicke Lüge parat: Finkelstein habe seine Vorträge über die Folgen des Gaza-Krieges abgesagt, "nachdem verschiedenenorts Widerspruch laut wurde". In Wahrheit waren ihm nach aggressiven Protesten und Drohungen von "antideutschen" und anderen Neocons in vier Fällen, u.a. von der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), die Veranstaltungsräume entzogen und damit praktisch ein Redeverbot erteilt worden.

Saelzer inszeniert sich als besonnener Beobachter. Er fordert, wie unter (anti)deutschen Linken - die es nach 89/90 gar nicht abwarten konnten, den Schlussstrich unter den "Halt's Maul, Deutschland!"-Imperativ zu ziehen - üblich, mit dem vor bürgerlicher Kälte nur so strotzenden Zungenschlag eines Fallmanagers eine "konstruktive Debatte" - und bitteschön "ohne Schaum vorm Mund". Auch wenn im Nahen Osten gemetzelt, gefoltert, unterdrückt wird und das, wie Saelzer den Kritikern dieser verheerenden Zustände generös und im poplinken Jargon zugesteht, ja "so gar nicht geht": Immer schön sachlich bleiben!

Diese Order gilt aber nur für die ständig an Israels Brachialgewaltpolitik herumnörgelnden Juden - keinesfalls für Saelzer. Denn der beschimpft Finkelstein lieber als "Berserker", während er selbst fast überschäumt vor Wut, die er auf Finkelstein projiziert, um sie schließlich an ihm und Moshe Zuckermann auszulassen. Der israelische Historiker hatte in einem Junge-Welt-Artikel über "Stiftungen und Anstifter" ans Tageslicht gebracht, was innerhalb der RLS seit Jahren wohlweislich gedeckelt wird: den wachsenden Einfluss "antideutscher" und anderer Neocons auf die Politik der Stiftung.

Zwar verfolgt die RLS eine im Kern noch kapitalismuskritische, sozialistische Agenda. Aber das Forum, das sie Finkelstein und anderen jüdischen Linken entzogen hat oder immer seltener zur Verfügung stellt, bietet sie mittlerweile "antideutschen" und anderen kulturrassistischen Muslim-Hassern, einen Erstschlag gegen den Iran beschwörenden Neomachiavellisten, gern auch Referenten an, die es auf antizionistische Juden abgesehen haben.[ii] Hauptsache, es sind Leute wie Saelzer, die das Wort Antiimperialismus nicht mehr ohne Anführungsstriche benutzen und lieber heute als morgen kurzen Prozess machen wollen mit dieser linken Altlast. Die sozialdemokratischen Linkspartei-Realos müssen den Antiimperialismus entsorgen, um so rasch wie möglich wehr- und damit regierungstauglich zu werden.

Wenn Saelzer Zuckermann für "seine jüngsten Ausfälle" rügt, dann will er freilich damit suggerieren, jener sei schon lange als eine Art Krawallbruder berüchtigt. So ein schäbiges Vorgehen bedarf schon des Vorsatzes der Rufschädigung. Ist es doch immer wieder der von Saelzer gehässig als "rührig" bezeichnete Zuckermann, der auch nach den massiven israelischen Völkerrechtsverletzungen während der Gaza-Offensive der deutschen Öffentlichkeit nüchterne Analysen anbietet und stets ressentimentgeladener Israelkritik konsequent entgegentritt.

Schlichtweg ein Täuschungsversuch ist es, wenn Saelzer behauptet, Zuckermann überführen zu können, in einem Aufsatz von 2001 eine andere Position zu Finkelstein vertreten zu haben: In Wahrheit hatte sich Zuckermann damals wie heute gegen ein Redeverbot für seinen Kollegen eingesetzt und ihn (zurecht!) für einige "problematische Thesen" kritisiert.

Das ist eine Ambivalenz, die Saelzer nicht aushalten kann - kennt er doch offenbar nur das philoantisemitische Entweder-Oder, das ein Großteil der deutschen Linken von den "antideutschen" Neocons übernommen hat. Für die gibt es nur richtige, mit dem Zionismus identifizierbare Juden, die man ausgiebig fetischisieren kann, und falsche israelkritische Juden wie Norman Finkelstein, dem man den Mund verbieten soll, weil er, nach Ansicht von Saelzer, ein "Polarisierer" ist. Dass vor allem Saelzer einer ist, weil er das Engel-oder-Teufeljuden-Ideologem perpetuiert, merkt er nicht. Auch nicht, dass es nicht Finkelstein ist, der polarisiert, sondern die von ihm mit drastischen Worten beschriebenen Verhältnisse im Nahen Osten. Diese polarisieren, müssen und sollen polarisieren, weil sie mittlerweile so sehr polarisiert sind, dass sie zur (atomaren) Katastrophe kulminieren können.

Mit seinem Appell, den Polarisierer zu ächten und bloß nicht mehr "Öl in das ohnedies lodernde Feuer der Nahost-Debatte" zu gießen, will Saelzer weismachen, dem infernalen Sein im Nahen Osten sei mit einem elysäischen Bewusstsein von diesem Sein in Deutschland beizukommen. Damit offenbart Saelzer ein Denken, das, wie Karl Marx es ausdrückte, "auf die Forderung hinausläuft, das Bestehende anders zu interpretieren, das heißt, es vermittels einer anderen Interpretation anzuerkennen": pure Ideologie. Deutsche, die an Israel ohnehin bloß narzisstisch Vergangenheitsbewältigungskatharsis vollziehen, können sich diesen Falsches-Bewusstsein-Luxus leisten, für die Menschen in der Region kann er tödlich sein.


Anmerkungen

[i] Zwei im Anhang seines Artikels angeführte und aus ihrem Kontext gerissene Finkelstein-Zitate belegen keine von Saelzers Behauptungen - sie indizieren lediglich seine manipulativen Absichten. In Finkelsteins Büchern, z.B. in "Antisemitismus als politische Waffe", ist nachzulesen, dass er den Judenhass keineswegs propagiert, rechtfertigt oder verharmlost und sich keineswegs für die Beendigung der Existenz Israels, sondern für eine Zwei-Staaten-Lösung ausspricht.

[ii] Die RLS-Ferienakademie [1] mit Neocons wie Thomas von der Osten-Sacken und Stephan Grigat, der die israelischen Kommunisten des "Aufklärungsverrats" bezichtigt und ein Knesset-Verbot für "islamistische arabische Israelis" fordert, ist nur die Spitze des Eisbergs. In einigen RLS-Dependancen, wie Hamburg und Bremen, treten bei den von ihnen geförderten Veranstaltungen häufig "antideutsche" und andere Verteidiger der "westlichen Zivilisation" (Kapitalismus) gegen die "islamische Gemeinschaftsideologie" und "islamistische Internationale" (RLS-Referent Udo Wolter) auf, die ähnliche Ansichten verbreiten: Beispielsweise Jungle-World-Autor Hannes Gießler, der die deutsche Asylpolitik begrüßt, weil sie "pragmatisch" ist. Mit dabei auch "Islam-Expertin" Claudia Dantschke. Neuerdings fühlt sie sich auch zur Juden-Expertin berufen und klagte in der Frankfurter Rundschau die in Neturei Karta organisierten ultraorthodoxen Juden als "Holocaust-Leugner" an - eine Propagandalüge, für die Dantschke eine Unterlassungserklärung unterzeichnen musste.


Federico Saelzers Artikel und Susann Witt-Stahls Replik sind in den Printausgaben von "analyse & kritik" erschienen.


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Quelle:
© Susann Witt-Stahl, April 2010
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
stahlpress Medienbüro Hamburg
Osterfeldstraße 79 b, 22529 Hamburg
Internet: www.stahlpress.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2010