Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → BEDROHTE VÖLKER

NAHOST/164: Ägypten - Kopten leiden zunehmend unter Rechtlosigkeit und Willkür


Presseerklärung vom 9. November 2011

Ägypten neun Monate nach Mubaraks Sturz

Kopten leiden unter Rechtlosigkeit und Willkür


Ägyptens Kopten sind zunehmender Rechtlosigkeit und staatlicher Willkür ausgesetzt, seit Diktator Hosni Mubarak vor neun Monaten gestürzt wurde. Mit wachsender Sorge registriert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen, dass Christen in Ägypten immer häufiger Opfer von Entführungen werden, um Lösegeld zu erpressen. "Waren es anfangs Plünderer, die vom Chaos unter den Sicherheitskräften profitierten und ungestraft Geschäfte von Kopten überfielen, so steigt jetzt die Gefahr, dass Christen verschleppt werden", berichtete der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Mittwoch. Seit Anfang Oktober 2011 wurden allein in der südlich von Kairo gelegenen Provinz El Minya mindestens zwölf Kopten entführt. Bis zu 25.000 Euro Lösegeld mussten die koptischen Familien zahlen, um die Freilassung ihrer Angehörigen zu erreichen.

"Wieder einmal werden die Kopten als Minderheit nicht nur besonders häufig Opfer Krimineller", sagte Delius, "sie sind auch staatlicher Willkür in bedrohlichem Ausmaß ausgesetzt." So scheinen die Militärs ungeachtet zahlreicher Proteste im In- und Ausland entschlossen zu sein, die Verantwortung für Proteste tausender Christen am 9. Oktober 2011 in Kairo, die in einem Blutbad endeten, Kopten in die Schuhe zu schieben. 34 koptische Christen sollen deshalb vor Gericht gestellt werden. Unter ihnen befinden sich auch drei Minderjährige sowie mehrere Personen, die an den Protesten nicht teilgenommen haben und nur aufgrund ihres Glaubens verhaftet wurden. Der Militär-Staatsanwalt hat am 3. November entschieden, dass alle Beschuldigten noch zwei Wochen in Gewahrsam gehalten werden dürfen. Mehrere Betroffene berichteten, dass sie nach ihrer Festnahme von Soldaten geschlagen worden seien.

Für das Maspero-Massaker, bei dem am 9. Oktober 27 Christen starben und 329 Menschen verletzt wurden, machen Kopten und viele andere Augenzeugen die Armee verantwortlich. Sie berichten, dass es Soldaten waren, die das Feuer auf Demonstranten eröffneten. "Doch um sich von jeder Schuld reinzuwaschen, macht Ägyptens Militär die Opfer zu Tätern", kritisierte Delius. "Das offensichtliche Versagen des ägyptischen Militärs und der Militärgerichtsbarkeit hat katastrophale Folgen für die Kopten. Sie fühlen sich noch unsicherer in Ägypten, da staatliche Sicherheitskräfte sie nicht schützen, sondern kriminalisieren und Vorurteile gegen Kopten bewusst schüren."

Verbittert sind die Christen auch, weil der Terroranschlag auf die Kathedrale Alexandrias in der Neujahrsnacht noch immer nicht aufgeklärt ist. Bei dem Anschlag wurden 24 Gläubige getötet und 97 verletzt. Die Koptische Kirche wirft dem Ministerpräsidenten, dem Justizminister und dem obersten Bundesanwalt Ägyptens vor, die Ermittlungen gegen die Täter gezielt zu verschleppen. "So wird ein Klima der Straflosigkeit geschürt, in dem Kopten keine Zukunft mehr für sich in Ägypten sehen und massenhaft auswandern", erklärte Delius.


*


Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 9. November 2011
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011