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EUROPA/597: Flüchtlinge - Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlingskinder gefordert


Presseerklärung vom 24. September 2015

Langjährig geduldete Flüchtlingskinder brauchen Schutz vor Abschiebung in die Fremde!

Gesellschaft für bedrohte Völker fordert Bleiberecht


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) fordert Bleiberecht für langjährig in Deutschland geduldete Flüchtlingskinder und ihre Familien. Auf einer Pressekonferenz der Menschenrechtsorganisation am Donnerstag in Hannover schilderten Kinder und Jugendliche von Roma-Flüchtlingen aus dem Kosovo ihre Ängste. Sie fürchten, dass deutsche Ämter und Politiker ihr besonderes Schicksal angesichts des erwarteten Zustroms von mehr als 800.000 Flüchtlingen nicht mehr berücksichtigen und sie in die Fremde schicken. Denn die Herkunftsländer ihrer Eltern kennen diese Kinder höchstens aus zutiefst beunruhigenden Erzählungen der Erwachsenen, die vor Verfolgung, unerträglicher Diskriminierung und Elend fliehen mussten. Der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch appellierte an die Bundesregierung, die meist in Deutschland geborenen und seit vielen Jahren hier aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen nicht abzuschieben.


Der GfbV-Appell im Wortlaut
Beschützen Sie unsere Flüchtlingskinder!

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Bundesinnenminister,
sehr geehrte Herren Innenminister und Innensenatoren,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete
von Bund und Ländern,

wir wenden uns heute an Sie in großer Sorge um das Schicksal von Zehntausenden unserer Flüchtlingskinder, die seit sechs, acht, fünfzehn oder zwanzig Jahren bei uns leben und denen noch immer langfristiger Aufenthalt und Einbürgerung versagt werden.

Oft beklagen Sie alle unser kinderloses Deutschland. Und trotzdem vertreiben Sie immer mehr dieser Flüchtlingskinder mit ihren Eltern gnadenlos aus unserem Land. Diese Flüchtlingskinder, hier geboren oder aufgewachsen, sprechen Deutsch als Muttersprache, oft mit regionalem Akzent. Unsere deutsche Gesellschaft hat sie längst kulturell zu Deutschen gemacht. Diese Kinder oder ihre Eltern sind zu uns geflohen, meist aus Kriegs-, Genozid- oder Verfolgungssituationen.

Viele von ihnen sind Roma, Aschkali und Egipvani aus dem Kosovo, Kurden, Bahá'i, Yeziden, christliche Assyrer-Chaldäer-Aramäer und Armenier, Aleviten oder Mandäer aus dem Nahen Osten, Tschetschenen aus der Russischen Föderation oder Afghanen, die den Taliban oder zuvor der sowjetischen Armee entkommen sind.

Für ihre Integration haben Lehrer, Sozialarbeiter, Geistliche, christliche Gemeinden, Flüchtlingsräte, Menschenrechtler und viele andere Bürger gekämpft und sich engagiert, haben für ihre Eingliederung unendlich viel materiell und ideell geleistet. Unnachsichtig verschleudern viele deutsche Minister, Senatoren und Abgeordnete dieses eingesetzte Kapital. Während in unserem Land zu recht ständig von Verbrechen der Vergangenheit die Rede ist, vergessen oder verdrängen Sie oft genug, dass wir Deutschen auch in unserer großen Mehrheit entweder selber noch Flüchtlinge, Vertriebene oder Aussiedler sind oder von diesen abstammen.

Wir schämen uns, dass Väter von Müttern, Eltern von Kindern oder Geschwister voneinander getrennt werden, dass man selbst Schwerstkranke, Schwangere, Alte und traumatisierte Kriegsopfer ins Nichts "deportiert". Während Bund und Länder 800.000 Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen, versagen Innenminister und -senatoren langjährig bei uns lebenden Flüchtlingskindern und Jugendlichen das Bleiberecht.

Nach der Vernichtung von 500.000 Sinti und Roma im Dritten Reich - unsere Menschenrechtsorganisation hatte seinerzeit Bundespräsident Karl Carstens und Bundeskanzler Helmut Schmidt zu einer Entschuldigung und die Bundesregierungen zu Wiedergutmachungsregelung bewegt - weigern sich Bund und Länder, den u.a. nur ca. 7.000 Roma Kindern aus dem Kosovo endlich eine Heimat zu geben, deren Eltern in den 90er Jahren flüchten mussten. Deutsche Innenminister haben diesen Flüchtlingen lange genug die Arbeitsaufnahmen erschwert, die Weiterbildung der Jugendlichen behindert, die Freizügigkeit auf den jeweiligen Landkreis beschränkt.

Wir appellieren an Sie, bitte sorgen Sie dafür, dass diese Flüchtlingskinder und ihre Angehörigen endlich in ihrer Heimat - Deutschland - bleiben dürfen und wie die Russlanddeutschen und jüdischen Aussiedler schnell eingebürgert werden. Bitte machen Sie Ihren Einfluss geltend!

Herzlichen Dank!

Tilman Zülch
Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International

*

Quelle:
Presseerklärung Hannover/Göttingen, den 24. September 2015
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2015

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