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EUROPA/552: Stahlkonzern soll Gedenkstätte für bosnische Völkermordopfer im ehemaligen KZ errichten


Presseerklärung vom 3. August 2012

Serbisches KZ Omarska vor 20 Jahren aufgelöst (6.8.1992)

Weltgrößter Stahlkonzern ArcelorMittal soll Gedenkstätte für bosnische Völkermordopfer im ehemaligen KZ Omarska errichten



Anlässlich des 20. Jahrestages der Auflösung des serbischen Konzentrationslagers Omarska (6.8.1992) fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) von dem indisch-britischen Stahlkonzern ArcelorMittal, auf dem Gelände der Eisenerzmine im Westen Bosniens eine frei zugängliche Gedenkstätte zu errichten. "ArcelorMittal muss den Überlebenden sowie den Hinterbliebenen einen würdige Stätte zur Erinnerung an die Opfer schaffen", erklärt der Gründer der internationalen Menschenrechtsorganisation, Tilman Zülch. "Außerdem muss der Konzern neben serbischen auch bosnisch-muslimische und bosnisch-katholische Arbeitnehmer einstellen und so der fortgesetzten Diskriminierung von Nichtserben im heute serbisch verwalteten Teil Bosniens vorbildlich ein Ende setzen." Zülch kündigte an, alle europäischen Regierungen, die USA, internationale Institutionen und Konzerne zu bitten, auf ArcelorMittal in diesem Sinne einzuwirken. ArcelorMittal ist mit 60 Betrieben in 24 Staaten und rund 310.000 Mitarbeitern der weltweit größte Stahlproduzent. Das Unternehmen hält 51 Prozent des Bergwerks Omarska, das sich in der sogenannten Republika Srpska befindet.

Am Montag werden sich in Omarska mehrere tausend ehemalige Häftlinge und ihre Angehörigen treffen und der in den drei Konzentrationslagern in der Region um Prijedor Ermordeten gedenken. Die Zahl der Toten wird auf mindestens 3.227 geschätzt. So viele Menschen wurden als vermisst gemeldet. Die sterblichen Überreste von rund 2.000 Toten wurden inzwischen exhumiert. Auf dem Gelände von Omarska werden noch weitere Massengräber vermutet. Die Firmenführung hat trotz zahlreicher Bitten Hinterbliebener bisher nicht erlaubt, das Gelände näher zu untersuchen. Überlebenden ist es nur am 6. August erlaubt, das Gelände des Bergwerks zu betreten. Die Errichtung eines Denkmals lehnt der Konzern ab mit der Begründung, dies würde die dort beschäftigten Serben aufregen und den "guten" ethnischen Verhältnissen in Prijedor schaden. "Diese Ablehnung ist eine beschämende Geste des Milliardärs und Vorstandsvorsitzenden von ArcelorMittal, Lakshmi Mittal, der den Olympia-Turm in London mit 20 Millionen Pfund finanzierte und sich als Träger der olympischen Fackel selbst in Szene setzte", kritisiert Zülch.

Zwischen dem 24. und 27. Mai 1992 errichteten serbische zivile und militärische Stellen zwischen im Bezirk Prijedor die Konzentrationslager Omarska, Keraterm und Trnopolje. Dort wurden insgesamt etwa 33.000 muslimische und katholische Bürger der Region gequält, gefoltert und vergewaltigt. Die nichtserbischen Einwohner der Stadt - 49.351 Muslime und 6.316 Katholiken - wurden vertrieben und über die Welt verstreut. Anfang August 1992 wurden die drei KZs von den renommierten britischen bzw. amerikanischen Journalisten Roy Gutman, Penny Marshall, Ed Vulliamy und Jan Williams "entdeckt". Die Veröffentlichung von Bildern ausgemergelter KZ-Häftlinge sorgte für weltweite Erschütterung. Am 6. August 1992 wurden Omarska und Keraterm geschlossen. Die GfbV betreute seit dem Herbst 1992 viele der überlebenden Häftlinge, die in Deutschland aufgenommen wurden. Etwa 4.500 Muslime und 400 Katholiken sind trotz der Diskriminierung durch die serbische Administration inzwischen nach Prijedor zurückgekehrt. Der Großteil der Rückkehrer lebt in Dörfern in der Umgebung der Stadt Prijedor.

Eine der 36 weiblichen ehemaligen Gefangenen von Omarska schildert die Zustände im Lager: "Männer gab es dort etwa 7.000 bis 8.000. Den ganzen Tag mussten wir im "Restaurant" verbringen. Dort saßen wir auf zwei Heizkörpern und mussten den ganzen Prozess der Folterung, Tötung, Vergewaltigung, des Sich-Auslassens an Wehrlosen mitansehen. Vor meinen Augen waren das Weiße Haus und das Rote Haus. Wir konnten das ganze Lager sehen, die Tötungen und die Opfer. Sie zwangen uns, sauberzumachen und ihr Blut abzuspülen. ... Sie erniedrigten uns, misshandelten uns. Es waren unsere (serbischen) Nachbarn, ehemalige Freunde, Trauzeugen, Bekannte. Ich sah zu, wie sie zwei Brüder zwangen, sich gegenseitig zu töten, allein weil sie aus einer sog. "Mischehe" stammten. Einer von ihnen hieß Igor und der andere Sanel. Der eine musste den anderen töten. Sie zwangen Väter, ihre Söhne zu töten, und Söhne, ihre Väter zu töten. Sie zwangen sie, wie Tiere zu grasen, Urin zu trinken ... Dort war die gesamte Elite von Prijedor - Ärzte, Ingenieure, Professoren, alle, die in der Stadt etwas bedeuteten..."

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen/Sarajevo, den 3. August 2012
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
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Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2012