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EUROPA/485: Scharfe Kritik an geplanter "Deportation" von Kosovo-Roma


Presseerklärung vom 15. Oktober 2009

Kosovo / Flüchtlinge - Scharfe Kritik an geplanter "Deportation" von Kosovo-Roma


"Im Dritten Reich galten wir Juden als Untermenschen, die Sinti und Roma
aber werden noch heute als Untermenschen zwar nicht bezeichnet, aber
empfunden und behandelt".
(Prof. Ernst Tugendhat, deutsch-jüdischer Philosoph)

Erklärung des Generalsekretärs der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Tilman Zülch zur geplanten "Deportation" von 10.000 Roma in das Kosovo

Die Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die radikalen Hardliner in Sachen Flüchtlingspolitik Uwe Schünemann (Niedersachsen) und Wolfgang Schäuble (Bund), wollen in diesem Herbst über 10.000 Roma - Kinder, Frauen und Männer - in das Kosovo abschieben. Dort sind sie nicht willkommen. Nach der Befreiung der Albaner durch die NATO im Juni 1999 hatte sich ein landesweiter Sturm von Massen albanischer Extremisten gegen diese hilflose Minderheit gewandt. 70 von 75 ihrer Stadtteile und Dörfer wurden in Brand gesetzt oder auf andere Weise zerstört. Menschen wurden misshandelt, gefoltert, vergewaltigt, ermordet und die große Mehrheit musste flüchten oder wurde vertrieben.

Im Kosovo hat sich die Situation der verfolgten Minderheit nicht wesentlich geändert. Nur der Aufbau eines einzigen der zerstörten Stadtteile und Dörfer, der Roma-Mahala in Süd-Mitrovica, wurde in großem Stil begonnen. Die Arbeitslosigkeit der Roma übertrifft mit fast 100 % diejenige der Albaner (bis zu 70 %). Eine medizinische Versorgung ist für die Angehörigen dieser rassisch diskriminierten Minderheit so gut wie nicht vorhanden. An Schulbesuch ist nur in Ausnahmefällen zu denken, weil Kinder und Eltern die Diskriminierung durch der Mehrheit meist nicht ertragen können.

Obwohl die Roma-Familien meist seit zehn Jahren in Deutschland sind, die Kinder und Jugendlichen hier geboren oder aufgewachsen sind, zwingen die deutschen Minister des Inneren die Ausländerbehörden zu gnadenlosen Aktionen. Väter werden von ihren Familien getrennt, Frauen mit Kleinkindern, Schwerstkranke und Alte werden abgeschoben, Eltern müssen ihre Jugendlichen allein lassen, Kinder werden aus ihrem Umfeld, aus Schulen und Sportvereinen herausgerissen. An vielen Orten wenden sich Lehrer, Sozialarbeiter, Geistliche, Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsräte, aber auch deutsche Freunde, Schul- und Studienkameraden gegen diese Unmenschlichkeiten.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker stellt fest, dass diese Abschiebungen zu einer Art Deportation ins "Nichts" werden. Wir sind fassungslos, dass man sich zwar sonst ständig auf die Verbrechen des Dritten Reiches bezieht, aber die "braunhäutigen" Opfer des Holocaust, von denen bis zu 500.000 ums Leben kamen, verdrängt und vergisst. Simone Veil, ehemalige Präsidentin des Europäischen Parlaments, die als Kind ihre Mutter im KZ Bergen-Belsen verlor, sagte am 27.10.1979 auf der international beachteten Kundgebung unserer Menschenrechtsorganisation: "Einige von ihnen hatten ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Geschwister und ihre Freunde verloren und fragten sich, warum sie selbst noch nicht tot waren. Alle waren dem gleichen Schicksal unterworfen, die meisten waren Juden und Zigeuner. Wenn man weiß, dass wir zusammen unsere Toten beweint haben, die in den Krematorien verbrannt wurden, dass dieses Denkmal hier die letzten Reste, etwas Asche aller unserer Eltern in sich schließt, dann bezeugt meine Anwesenheit hier meine Solidarität gegenüber den Zigeunern. Wir waren zu sehr getrennt in den Lagern. Wir wurden nacheinander, aber trotzdem mit dem gleichen Hass und gleicher Gründlichkeit geopfert".

Die GfbV hat seit 1999, meist vergeblich, versucht, Öffentlichkeit, Medien und Politik darauf aufmerksam zu machen, dass im Kosovo bis zu 600 Roma-Flüchtlinge in bleibverseuchte Flüchtlingslager in Mitrovica gezwungen wurden. 83 dieser Flüchtlinge kamen - häufig an den Folgen der Bleivergiftung - ums Leben. Auch ein Gespräch mit Peter Altmaier, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, blieb ergebnislos. Dennoch begrüßen wir, den Appell der Weltgesundheitsorganisation und des Menschenrechtskommissars des Europarates, Thomas Hammarberg, sowie die Sendung der Tagesschau von gestern Abend für diese Flüchtlinge.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert für diese 10.000 unschuldigen Opfer von Krieg und Rassismus im Kosovo, dass man sie genauso großzügig aufnimmt, wie die 120.000 jüdischen Nachkommen der Überlebenden des Holocaust und die über zwei Millionen Russlanddeutschen, die während des Stalinismus 500.000 Angehörige verloren.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 15. Oktober 2009
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2009