Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → BEDROHTE VÖLKER

EUROPA/424: Deutsches und europäisches Wiederaufbauprogramm für Halabja gefordert


Presseerklärung vom 13. März 2008

Halabja 1988: Größtes Giftgas-Massaker an Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg - deutsche und europäische Firmen waren beteiligt

Gesellschaft für bedrohte Völker fordert deutsches und europäisches Wiederaufbauprogramm für Halabja


"Für die Leute in Deutschland ist Giftgas eine ganz furchtbare Sache, Kunden im Ausland stört das nicht."
Dieter Backfisch, Geschäftsführer der Firma Karl Kolb, 06.01.89

Am kommenden Sonntag, dem 16. März, werden die Einwohner der Stadt Halabja im irakischen Bundesstaat Kurdistan der Giftgasangriffe Saddam Husseins gedenken, bei denen vor 20 Jahren 5000 Kinder, Frauen und Männer ihr Leben verloren. Viele Tausend wurden verletzt, für immer geschädigt oder starben seither an den Folgen der Gasangriffe. Die Überlebenden werden in der Regel bis heute medizinisch nur unzureichend versorgt. Der Angriff gilt als das größte Giftgasmassaker an Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg.

Der Angriff auf Halabja war "nur" Teil eines 1987 begonnenen Vernichtungsfeldzuges des Baath-Regimes gegen die Kurden des Nordirak und die mit ihnen lebenden assyro-chaldäischen, turkmenischen und yezidischen Volksgruppen. Bereits seit April 1987 hatte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die deutschsprachigen Medien kontinuierlich über Giftgasangriffe der irakischen Luftwaffe gegen insgesamt 87 Dörfer im kurdischen Bergland informiert. Gleichzeitig hatte die GfbV die hessischen Firmen Karl Kolb GmbH und Pilot Plant neben über 40 anderen deutschen und europäischen Firmen der Mitverantwortung für die begangenen Kriegsverbrechen bezichtigt. Denn sie hatten zum Aufbau der Giftgasanlagen vor allem im irakischen Samara beigetragen.

Das Bonner Landgericht hatte die GfbV daraufhin bei Androhung von zwei Mal 500 000 DM Bußgeld am 4. August 1987 untersagt, ihre Beschuldigungen gegen die beiden hessischen Unternehmen zu wiederholen. Am 11. Januar 1988 hob das Kölner Oberlandesgericht diesen Richterspruch wieder auf, nachdem die GfbV sich jetzt auf israelische Quellen berufen hatte. Nach mehreren GfbV-Mahnwachen vor den Werktoren der beiden Firmen kam es später zur Verhaftung der Beschuldigten, die aber mangels vorliegender Gesetze wieder freigelassen wurden. Die irakische Regierung plant nun rechtliche Schritte gegen Firmen, die Saddam Hussein damals Chemikalien geliefert haben.

Da die damalige deutsche Bundesregierung Kohl/Genscher diese Firmen lange Zeit hatte gewähren und zudem die tödlichen Exporte durch Hermes-Bürgschaften hatte absichern lassen, appelliert die GfbV heute an die Bundesregierung die Kriegsverbrechen auch deutscher Firmen wenigstens ein Stück weit durch ein Wiederaufbau- und Gesundheitsprogramm wiedergutzumachen.

Die überlebenden Dorfbewohner wurden nach den Giftgasangriffen in der Regel liquidiert oder ins Landesinnere deportiert. In den Provinzen Arbil, Suleimaniya, Dohuk, Kirkuk, Diala und Mosul folgten zahlreiche Verschleppungen in die Wüsten und Steppen des Südirak, Konzentrationslager wurden eingerichtet und Tausende durch Massenerschießungen hingerichtet. Durch Massaker in den Dörfern wurden ganze Landstriche entvölkert. Dieser Politik der Verbrannten Erde, inzwischen als Operation "Anfal" in die Genozid-Geschichte eingegangen, werden insgesamt bis zu 180 000 Einwohner von Irakisch-Kurdistan zum Opfer gefallen sein. Auf dem Anfal-Kongress im Februar 2008 in Arbil, an dem auch der Präsident der GfbV International Tilman Zülch teilgenommen hatte, wurde diese Zahl von europäischen und nahöstlichen Experten bestätigt.


*


Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 13. März 2008
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-0, Fax: 0551/58028
E-Mail: info@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2008