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ASIEN/372: China - Im Schatten von Liu Xiaobo - Chinas bekanntester Menschenrechtsanwalt verschwunden


Presseerklärung vom 19. November 2010

China: Im Schatten von Liu Xiaobo

Chinas bekanntester Menschenrechtsanwalt seit sieben Monaten verschwunden


Seit sieben Monaten ist Gao Zhisheng, Chinas bedeutendster Menschenrechtsanwalt, verschwunden. Auf das Schicksal des engagierten Protestanten, der wegen seines Einsates für verfolgte Christen, Falun Gong-Anhänger, enteignete Bauern und Gegner der staatlich verordneten Ein-Kind-Politik auch "das Gewissen Chinas" genannt wird, machte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Freitag aufmerksam. "Das Schicksal des von den chinesischen Behörden verschleppten Menschenrechtsanwalts muss endlich geklärt werden", forderte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius. "Dass ihm noch nicht einmal öffentlich der Prozess gemacht werde, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nicht zu erregen, sei besorgniserregend und beweise die enorme Bedeutung Gao Zhishengs für die Demokratiebewegung Chinas", mahnte Delius.

Zuletzt hatte sein Bruder Gao Zhiyi am 20. April 2010 Kontakt mit dem Anwalt, der im Jahr 2008 für den Friedensnobelpreis nominiert worden war. Gao Zhisheng habe in diesem Telefongespräch äußerst angespannt geklungen und berichtet, er halte sich in einem buddhistischen Meditationszentrum am Wutai Berg im Norden Chinas auf, berichtete sein Bruder. Seither fehle jede Spur von ihm. "Wir sind sehr besorgt über sein Verschwinden. Wir fürchten, dass er gewaltsam von den chinesischen Sicherheitsbehörden festgehalten wird", erklärte Delius. "Es ist skandalös, dass Chinas Behörden jede Auskunft über seinen Verbleib verweigern." Noch nicht einmal eine Vermisstenanzeige konnte Gao Zhiyi aufgeben. Bei einem Versuch in Peking im Oktober2010 lehnten die Beamten einer Polizeiwache die Annahme der Anzeige ab.

Es ist nicht das erste Mal, dass Chinas Behörden die Weltöffentlichkeit über das Schicksal Gao Zhishengs täuschen. Nach seiner Entführung durch chinesische Sicherheitsbeamte am 4. Februar 2009 blieb er 400 Tage spurlos verschwunden. Monatelang leugneten Sprecher der Behörden, etwas über seinen Aufenthaltsort zu wissen. China habe 1,3 Milliarden Einwohner und man könne nicht wissen, wo sich jeder aufhalte, erklärten sie lakonisch. Als im Ausland die Forderung, ihn endlich freizulassen, immer stärker wurde, konnte Zhisheng am 28. März 2010 ein erstes Lebenszeichen per Telefon geben. Offensichtlich unter Druck der Behörden kündigte er in einem Interview am 7. April 2010 an, er werde zukünftig nicht mehr als Menschenrechtsanwalt arbeiten. Dies war eines seiner letzten Lebenszeichen.

Aufgrund seines Menschenrechtsengagements war seine Anwaltskanzlei im November 2005 geschlossen worden. Er verlor seine Zulassung als Rechtsanwalt, wurde eingeschüchtert und von Sicherheitsbeamten überwacht. Im August 2006 wurde er schließlich verhaftet, tagelang gefoltert und wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und er wurde unter Hausarrest gestellt.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 19. November 2010
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2010