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ASIEN/300: Dagestan - Hintergrund des Konflikts in der Kaukasusrepublik


Presseerklärung vom 24. März 2009

Der Konflikt in Dagestan


In den vergangenen Tagen sind bei Gefechten in der Kaukasusrepublik Dagestan im Süden Russlands 21 Menschen ums Leben gekommen: Fünf Soldaten und Polizisten sowie 16 Kämpfer des bewaffneten islamistischen Widerstands. Trotz gegenteiliger Beteuerungen der dagestanischen Regierung unter Präsident Muchu Alijew schwelt in Dagestan seit mehreren Jahren ein Krieg, dem mehr und mehr Menschen zum Opfer fallen.

In Dagestan, das 50 300 Quadratkilometer umfasst, leben 14 verschiedene Nationalitäten. Die Awaren stellen mit 28% die größte Bevölkerungsgruppe, gefolgt von den Lesginen, Darginern und Laken. Sie alle gehören zur westkaukasischen Sprachgruppe. Die Kumyken, Aserbaidschaner und Nogaier sind turksprachige Gemeinschaften. Zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehören Russen, Taten und Bergjuden.

Zwischen Anfang 2007 und November 2008 wurden in Dagestan 83 Angehörige der Miliz und 19 Zivilisten getötet. Im gleichen Zeitraum wurden offiziellen Berichten zufolge 124 Mitglieder "ungesetzlicher militärischer Zusammenschlüsse" getötet und 192 verhaftet. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial gibt an, dass in Dagestan 2008 so viele Menschen entführt, gefoltert und ermordet wurden wie nie zuvor. Memorial hat 2008 zwölf Fälle von "Verschwindenlassen" dokumentiert. Man kann jedoch davon ausgehen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. In der Hoffnung, das Leben ihrer Angehörigen retten zu können, schweigen die meisten Betroffenen.

Mehrere Faktoren tragen zur Eskalation der Gewalt bei: Zwischen 70% und 80% des Staatshaushalts von Dagestan werden von der Moskauer Zentralregierung finanziert. Die Republik hat mit über 50% die höchste Arbeitslosenquote in ganz Russland. Gerade der Alltag von jungen Menschen ist von Armut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit geprägt. Korruption ist das entscheidende Merkmal des politischen und wirtschaftlichen Systems. Empörung über das brutale und willkürliche Vorgehen der Sicherheitskräfte treibt viele junge Männer in die Arme der so genannten Dschaamate, bewaffneter islamischer Gemeinschaften. In den letzten Jahren hat sich so ein wachsender bewaffneter islamistischer Untergrund herausgebildet, der sehr gezielt und koordiniert gegen die dagestanischen Sicherheitskräfte vorgeht. Ziele sind die ranghöhere Polizisten und Armeeangehörige wie Offiziere oder Majore.

Nach dem Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges 1999 gingen die Sicherheitskräfte in Dagestan gegen junge Männer vor. Sie wurde beschuldigt, den Kampf der Tschetschenen zu unterstützen und selbst Mitglieder in bewaffneten Gruppen zu sein. Häufig wurden sie zu Haftstrafen verurteilt, egal, ob diese Anschuldigungen stimmten oder nicht. Geständnisse wurden durch Folter erpresst. Diese Personen kamen in den letzten Jahren wieder frei und waren erst recht gewaltbereit. Es kommt immer wieder zu Racheaktionen wie gezielten Erschießungen von Milizionären, auf die regelrecht Jagd gemacht wird.

Die einzige Antwort auf die Gewalt ist die massive Gegengewalt des Staates, der von der russischen Regierung mit Waffen und Soldaten unterstützt wird. Es kommt zu Entführungen und Kämpfen wie in den letzten Tagen. Auch unschuldige Zivilisten werden immer wieder zu Opfern der staatlichen Willkür. Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter und droht mehr und mehr Unbeteiligte in Mitleidenschaft zu ziehen.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen/Berlin, den 24.03.009
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2009