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AKTION/228: Mahnwache vor dem Niedersächsischen Landtag - Flüchtlingskinder retten


Presseerklärung vom 7. Dezember 2011

Mahnwache vor dem Niedersächsischen Landtag:

Flüchtlingskinder retten - kein Bleiberecht für Schünemann!


Mit einer Mahnwache vor dem Niedersächsischen Landtag hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Mittwoch die sofortige Entlassung von Innenminister Uwe Schünemann gefordert. "Wer Menschen bei Nacht und Nebel deportieren lässt, selbst das Kirchenasyl kriminalisiert und Härtefälle nicht verschont, hat in der Regierung eines deutschen Bundeslandes nichts zu suchen", begründete der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch in Schreiben an Ministerpräsident David McAllister und alle Landtagsabgeordneten die Forderung. "Wer so handelt, beschädigt die Rechtskultur und die demokratische Ordnung unseres Landes und verletzt die Menschenwürde." Die Politik Schünemanns sei eine Provokation für die Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen und die vielen Einzelnen, die für Humanität und Menschenrechte stehen."


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ES FOLGT DER APPELL DER GFBV IM WORTLAUT


Appell
an den niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister
und die niedersächsischen Landtagsabgeordneten

Hannover, den 7. Dezember 2011

Flüchtlingskinder retten! Kein Bleiberecht für Schünemann!

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

drei von vier Niedersachsen sind entweder selbst Flüchtlinge, Vertriebene oder Spätaussiedler oder stammen mit mindestens einem Eltern- oder Großelternteil von diesen ab. Bis heute leiden die Deutschen aus Schlesien, die in Hannover jedes Jahr ein bundesweites Treffen organisieren, unter ihrer Vertreibung. Sie mussten nach dem Zweiten Weltkrieg Furchtbares erleben und erreichten unser Land verelendet und meist krank.

Das haben Niedersachsens gefürchteter Innenminister Uwe Schünemann und größere Teile der Christlich-Demokratischen Union (CDU) in unserem Bundesland anscheinend vergessen. Denn gnadenlos deportieren sie Flüchtlingskinder, die seit sechs, acht, 15 oder gar 20 Jahren bei uns leben, in Kriegs-, Genozid- oder Verfolgungsgebiete. Polizisten reißen sie von der Schulbank weg, nehmen ihnen ihre Klassenkameraden und setzen sie ins Flugzeug.

Meistens gehören diese Flüchtlingskinder und Jugendlichen Minderheiten an. Es sind Roma aus dem Kosovo, Kurden, Yeziden, christliche Assyrer-Chaldäer, Armenier, Aleviten oder Mandäer aus dem Nahen Osten, Tschetschenen aus der Russischen Föderation.

Was nützt es, wenn bei uns ständig von den Verbrechen der Nazis die Rede ist, wenn doch niedersächsische Ausländerämter und Innenbehörden diese Kinder jagen, für deren Integration Lehrer, Sozialarbeiter, christliche Gemeinden, Flüchtlingsräte, Menschenrechtler und viele andere Bürger unendlich viel geleistet haben.

Aus dem Land ohne Kinder - Deutschland steht demographisch, in Bezug auf die Geburtenhäufigkeit, an 27. Stelle in Europa - werden von Woche zu Woche hier geborene und aufgewachsene junge Menschen vertrieben, die als Deutschsprachige keine Chance in der Heimat ihrer Eltern haben. Wir schämen uns, dass die Politik Schünemanns Väter von Müttern, Eltern von Kindern oder sogar Geschwister voneinander trennt und dass selbst Schwerstkranke, Schwangere, alte und traumatisierte Kriegsopfer ins Nichts deportiert werden.

Auch deutsche Nato-Truppen haben nach der Befreiung der Albaner im Kosovo im Frühsommer 1999 zugesehen, wie albanische Nationalisten 70 der 75 Dörfer ihrer Roma-Minderheit verbrannten und diese Menschen, begleitet von Vergewaltigung, Morden und Misshandlungen, aus dem Lande jagten. Schünemann und sein Team haben offensichtlich vergessen, dass Nazis 500.000 Roma ermordeten, wenn er dem Land Niedersachsen mit seinen acht Millionen Einwohnern nicht zutraut, 3500 Kosovo-Roma eine Heimat geben zu können, statt sie ins Nichts auszuweisen, und davon nicht ablässt, die Bürger unseres Landes zu belügen und die unerträgliche Situation für Roma im Kosovo schön zu färben. "Im Dritten Reich galten wir Juden als Untermenschen", sagte unser Schirmherr, der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Tugenthat, "für uns ist dieser Alptraum vorbei, aber die Zigeuner werden noch heute als Untermenschen zwar nicht offen bezeichnet, aber so empfunden und behandelt."

Der große deutsch-böhmische Schriftsteller H.G. Adler hat die Methoden der Vertreibung von über 100.000 Juden schon nach dem Ersten Weltkrieg aus Deutschland und Österreich in seinem Buch "Die Juden in Deutshclnad von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus" (München 1960) so geschildert: "Es geschah mit dem Verzicht auf gerechte Untersuchung. Es war begeisterte Empfindungslosigkeit für sittliche Hemmungen."

Wir schließen uns dem Appell der kürzlich verstorbenen großen Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley an: "Verteidigen wir doch hier und heute die Menschenrechte und deportieren nicht entwurzelte und hilfesuchende Flüchtlinge erneut ins Ungewisse. Geben wir ihnen endlich das neue Zuhause und akzeptieren wir sie in unserer Mitte."

Wir appellieren an Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lassen Sie Ihren gnadenlosen Innenminister nicht länger gewähren: Uwe Schünemann darf das Leben von langansässigen Flüchtlingsfamilien nicht länger zerstören. Wir appellieren an die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages, diese Jagd auf Menschen, die meist seit vielen Jahren hier auf ihre Anerkennung warten, endlich zu beenden. Wir fordern, dass Sie sich von einem Innenminister distanzieren, der eher in der NPD Platz hätte als in einer demokratischen Partei.

Wer Menschen bei Nacht und Nebel deportieren lässt, selbst das Kirchenasyl kriminalisiert und Härtefälle nicht verschont, hat in der Regierung eines deutschen Bundeslandes nichts zu suchen. Wer so handelt, beschädigt die Rechtskultur und die demokratische Ordnung unseres Landes und verletzt die Menschenwürde. Diese Politik ist eine Provokation für unsere Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen und die vielen Einzelnen, die für Humanität und Menschenrechte stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Tilman Zülch
Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 7. Dezember 2011
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2011